Mehr Akzeptanz für traumatisierte Soldaten

Peter Zimmermann, Leiter des Psychotrauma-Zentrums der Bundeswehr, fürchtet, dass die Zahl der Soldaten mit post-traumatischen Störungen wegen der Auslandseinsätze weiter wachsen wird. Interne Aufklärungsarbeit habe aber zu mehr Sensibilität im Umgang mit diesem Thema geführt.
Jan-Christoph Kitzler: Immer mehr Belastungen für die Soldaten, immer größere Gefahren, denen sie sich aussetzen, die hinterlassen ihre Spuren. Die Zahl der psychischen Erkrankungen in der Truppe ist angewachsen: Allein im Jahr 2010 gab es 729 Fälle sogenannter post-traumatischer Belastungsstörungen. Dazu kommt eine Dunkelziffer, die man nur schätzen kann. Wie aber geht es Soldaten, die ein Trauma erlitten haben? Das frage ich jetzt Oberstarzt Peter Zimmermann, er leitet das Psychotrauma-Zentrum der Bundeswehr in Berlin. Schönen guten Morgen!

Peter Zimmermann: Schönen guten Morgen!

Kitzler: Woran erkennt man das eigentlich, post-traumatische Belastungssyndrome?

Zimmermann: Post-traumatische Belastungssyndrome sind Teil des psychiatrischen Krankheitsspektrums, das heißt, es ist eine psychische Erkrankung, und die hat verschiedene Symptome. Nehmen wir mal zunächst den Klassiker, die post-traumatische Belastungsstörung an sich, das ist eine eigene Diagnose, PTBS, die hat dreierlei Symptome. Die zeichnen sich zum einen aus durch ein ständiges Wiedererleben des schlimmen Erlebten, sogenannte Intrusionen. Diejenigen ziehen sich dann zusätzlich auch zurück, meist von ihren sozialen Kontakten, und sie sind ständig angespannt, erregbar, nervös, reizbar, haben viel Schlafstörungen, und werden dadurch auch für sich selbst und für ihre Umgebung natürlich auch zu einer gewissen Belastung. Das ist so der Hauptsymptom-Komplex. Es gibt aber auch noch eine Vielzahl anderer: Manche haben nur Angststörungen, manche haben ganz eigenartige körperliche Symptome, auch die können durch schwere Belastungen in Auslandseinsätzen hervorgerufen werden.

Kitzler: Erlebnisse, die Soldaten am liebsten vergessen möchten, aber auch nicht können, zum Beispiel, wenn man erlebt, wie ein Kamerad stirbt. Ich habe schon von einer gewissen Dunkelziffer gesprochen. Manch ein Soldat wird sich nicht trauen, mit seinen Problemen an die Öffentlichkeit zu gehen, auch vielleicht, weil in einer Armee oft ein eher rauer Ton herrscht, da macht man das vielleicht lieber mit sich selber aus. Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer?

Zimmermann: Wir haben da inzwischen relativ präzise Werte. Zum einen vielleicht vorweg: Ja, natürlich gibt es in hierarchischen Systemen wie auch der Bundeswehr, aber auch der Polizei, der Feuerwehr, gibt es so Männlichkeitsbilder, und die können natürlich schon auch hemmen, sich zum Arzt zu begeben. Ich muss allerdings der Fairness halber sagen, dass wirklich auch auf den Ebenen der Vorgesetzten eine Menge Aufklärungsarbeit in den letzten Jahren gelaufen ist, und das bessert sich deutlich. Und diese Anstiege in unseren Versorgungssystemen, die wir sehen, die jetzt in einer Zahl von 729 gegipfelt haben, sind, denke ich, auch darauf zurückzuführen, dass sich die Leute inzwischen mehr trauen. Das heißt, wir haben einen gewissen Öffnungsprozess im Augenblick für solche Art von Erkrankungen in der Bundeswehr, und deswegen wird es auch ein bisschen leichter.

Kitzler: Bei Ihnen kommen ja auch zivile Fälle manchmal vorbei, also zum Beispiel Feuerwehr-, Polizeikräfte, die im Auslandseinsatz ein Trauma erlitten haben. Gibt es da Unterschiede? Fällt es Soldaten schwerer, darüber zu reden, oder nicht?

Zimmermann: Ich würde sagen, das ist ungefähr auf einem Niveau. Das sind alles so Systeme, wo natürlich auch eine Menge es darum geht, sich männlich zu präsentieren, mutig zu präsentieren, et cetera. Deswegen fällt es, glaube ich, allen diesen ein bisschen schwerer. Ob Soldaten da tatsächlich gegenüber einem Bundespolizisten einen Unterschied machen, wage ich zu bezweifeln. Ich würde aus meiner klinischen Erfahrung sagen – wir behandeln alle diese drei Gruppen bei uns auch –, dass das ungefähr gleichwertig ist.

Kitzler: Soldaten können einen Antrag stellen auf Anerkennung einer sogenannten Wehrdienstbeschädigung. Das ist wichtig für die Versorgung hinterher. Aber ich habe eine Zahl gefunden. Fast drei Viertel aller Anträge, die zwischen 1995 und 2010 gestellt worden sind, die wurden abgelehnt, weil der Nachweis schwer zu führen ist, dass die Schädigung auch wirklich am Auslandseinsatz liegt. Ist der Nachweis wirklich so schwer?

Zimmermann: Das ist tatsächlich eine schwierige Geschichte, gerade psychische Störungen sauber gutachterlich einzuschätzen. Man muss zum einen gucken, besteht wirklich eine Kausalität, das heißt, ist ein Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und dem schädigenden Ereignis, also dem Auslandseinsatz da? Stellt der Auslandseinsatz dann auch die wesentliche Bedingung dar, oder gibt es andere Formen von Erkrankungen, die schon lange vor dem Auslandseinsatz bestanden haben, und die dann die führende Rolle spielen? Das ist das Eine. Und das Zweite ist, dass es anerkannt und für den Soldaten auch wirklich finanzielle Folgen hat. Das geht erst ab einem Grad der Schädigung von 25 Prozent, wenn es also geringfügige Schädigungen sind, fließt auch kein Geld, das ist allerdings nicht nur bei der Bundeswehr so, sondern die Bundeswehr hat da die Regelungen des allgemeinen Entschädigungsrechts quasi eins zu eins übernommen. Also wir halten uns da an das, was auch der Zivilbegutachter und der begutachtende Sektor vorsieht für so was.

Kitzler: Diese Prozentzahlen sind wichtig. Kann man denn überhaupt eindeutig feststellen, ein Soldat ist jetzt noch zu 25 Prozent einsatzfähig oder vielleicht zu 50 Prozent? Ist das eindeutig klar zu regeln?

Zimmermann: Nein, die Regelungen, die da in diesen Anhaltspunkten, beziehungsweise jetzt versorgungsmedizinischen Grundsätzen – so heißt das, das ist so ein Standardwerk, was die Quantifizierung festlegt –, und die Beschreibungen für die psychischen Erkrankungen sind momentan noch nicht sehr präzise. Das heißt also, genau auf den Punkt festzulegen, dieser Soldat hat 26,5 Prozent, ist nach den bisherigen Regelungen nicht möglich. Das hängt sehr oft von der Einschätzung des begutachtenden Arztes ab.

Kitzler: Die Fälle, die zu Ihnen kommen mit posttraumatischen Belastungsstörungen, sind das Fälle, in denen immer Gewalt im Spiel ist, oder was sind das für Fälle normalerweise?

Zimmermann: Zunehmend häufiger leider Gewalt, dadurch, dass eben Soldaten auch in Kampfhandlungen verwickelt werden oder Opfer von Anschlägen werden in Afghanistan, Opfer von Beschuss werden, gerade in Kundus, das spielt die zunehmend führende Rolle, das ja. Es ist aber nicht die einzig mögliche Verursachung. Wir sehen immer auch wieder Menschen, die zum Beispiel noch aus dem Jahr 1999/2000 aus dem Kosovo-Einsatz übriggeblieben sind mit ihren Symptomen, auch nach vielen Jahren, die da zum Beispiel Massengräber ausgehoben haben. Also auch so etwas kann eine schlimme psychische, aber auch moralische Erschütterung bedeuten und zu krankheitswertigen Symptomen führen, und in Afghanistan wären das Symptome wie zum Beispiel auch das Leid und das Elend der Zivilbevölkerung in sehr ausgeprägtem Maße mitzubekommen. Auch das kann tatsächlich einen Menschen krank machen.

Kitzler: Und oft auch lange nach dem Einsatz, das habe ich auch gelesen.

Zimmermann: Ganz definitiv!

Kitzler: Sie haben tagtäglich mit traumatisierten Soldaten zu tun. Was müsste sich denn aus Ihrer Sicht verbessern für sie?

Zimmermann: Nun, im Moment behandeln wir diese Störungen, ich glaube auch, mit einem gewissen Erfolg hier bei uns in den Bundeswehrkrankenhäusern. Soldaten kommen auch gern in die Bundeswehrkrankenhäuser, weil sie sich da verstanden fühlen. Wenn die Zahlen weiter so steigen der Soldaten, die sich in Behandlung begeben, dann müsste sich ändern, dass wir mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, um diese Soldaten auch zu behandeln. Im Moment würde ich sagen, reicht es noch, aber ich befürchte, das wird sich bald ändern.

Das Zweite ist, dass wir, glaube ich, noch in der Gesellschaft ein bisschen was zu tun haben, um die Soldaten, die psychisch verwundet wiederkommen, den Soldaten das Gefühl zu geben, zum einen, sie wertzuschätzen für das, was sie geleistet haben, unabhängig davon, ob man diesen Einsatz gut findet oder nicht, aber sie wertzuschätzen für das, was sie als Mensch getan haben: Für das Land, für den Auftrag, et cetera. Zum Zweiten, dass auch die Gesellschaft sieht: Diese Menschen, auch wenn sie belastet sind und vielleicht manchmal Symptome haben, die gehören zu uns, sie gehören in die Gesellschaft rein, das ist schon etwas, was die Soldaten manchmal auch bei uns bemängeln, wir fühlen uns nicht verstanden. Also da, glaube ich, wäre auch noch ein wichtiger Schritt.

Kitzler: Oberstarzt Peter Zimmermann, er leitet das Psychotrauma-Zentrum der Bundeswehr in Berlin. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Zimmermann: Herzlich gern!

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