"Straße der Romanik" wird 25
Eine Straße als Freilichtmuseum: die "Straße der Romanik", die durch Sachsen-Anhalt verläuft, wird 25 Jahre alt. Die Straße war einst die Basis der Christianisierung der heidnisch-sächsischen, "wilden" Völker im Osten.
Zscheiplitz bei Freyburg: Auf halber Strecke zwischen Weimar und Leipzig, 150 Einwohner. Das Besondere: Die auf einem hohen Bergvorsprung thronende romanische Klosterkirche, mit dem weithin sichtbaren Turm und dem vergoldeten Kreuz. Unten plätschert die sich vielfach windende Unstrut. Gegenüber sieht man das hochmittelalterliche Schloss Neuenburg aus dem späten 11. Jahrhundert. Ansonsten Streuobstwiesen, Weinberge und Wälder. Wie auf einem Gemälde von Caspar David Friedrich. Heute: Teil der Themen-Straße Romanik.
"Ja, es ist so. Wenn hier Führungen stattfinden und wir treffen uns draußen mit den Besuchergruppen, sage ich immer: Wir stehen auf dem Balkon von Freyburg."
Erzählt Hubert Skupin, einst Schlosser, jetzt Rentner. Gemeint ist nicht das badische Freiburg, sondern das mit Y-geschriebene Freyburg im südlichen Sachsen-Anhalt.
"Viele sagen dann: Wenn man hier runterschaut, man guckt wie ins kleine Rheinland."
14 verwegene Klosterbrüder retten Kloster
14 Verwegene – die sich heute Klosterbrüder nennen - haben die hochmittelalterliche Klosteranlage Zscheiplitz – 1985, also noch zu tiefsten DDR-Zeiten – in letzter Minute vor dem Verfall gerettet. Ansonsten würde man heute vor einem Ruinenberg stehen, sagen sie.
Das Nonnenkloster des Benediktinerordens in Zscheiplitz wurde Anfang des ersten Jahrtausends, in den Jahren 1085 bis 1110 errichtet. Sie gilt als der älteste – noch erhaltene – Kirchenbau in der weiteren Umgebung. Eine Gegend, die etwas vom Val de Loire und der Hochebene Kastiliens hat.
"Wir stehen zwar in dem Heft zur Straße der Romanik relativ weit hinten drin. Aber man sollte in Zscheiplitz, also hinten anfangen. Um überhaupt ein Bild zu bekommen, was hier geleistet wurde."
Einzigartiges Freilichtmuseum des Mittelalters
1993 – also vor genau 25 Jahren – wurde die sachsen-anhaltische Straße der Romanik gegründet. Sie umfasst heute 88 Bauwerke an 73 Orten. Ein weltweit einzigartiges Freilichtmuseum des Mittelalters. Und schlängelt sich 1.000 Kilometer lang, wie ein roter Faden durch Sachsen-Anhalt. 1.000 Jahre europäische Geschichte: Vom Kloster über Dorfkirchen, Burgen, Dome und Kaiserpfalzen, also Stützpunkte für die damaligen Herrscher.
"Hier halten sich die Herrscher auf, die kommen von Italien. Und sind dann meistens hier. Und als dann die Zeit endet, die Herrscher nicht mehr da sind, bedeutet das für die Region eine Art Konservierung. Und so sind diese alten Kirchen aus der Romanik, der Früh-Gotik hier noch erhalten geblieben. Das ist das Bemerkenswerte der Region."
Matthias Ludwig ist Mediävist, Mittelalterforscher.
Typisch romanisch: die Rundbögen
Das Typische der Romanik sind die markanten Rundbögen, der altchristlich-römische Baustil aus der Zeit zwischen 900 und 1300. Als Könige und Kaiser im mitteldeutschen Raum – dem damaligen so genannten Grenzland – unzählige Klöster und Kirchen gegründet haben. Als Basis für die Christianisierung der heidnisch-sächsischen – also der wilden – Völker im Osten. Jenseits der Elbe, heute würde man sagen jenseits der A 9.
"Diese Zeit umfasst nicht nur Bauwerke, sie umfasst den Begriff der Kunst. Da entstehen besondere Formen der Malerei, die genau in dieser Zeit stattfinden. Es ist eine Frage der Bildung, der Architektur und auch der Bildhauerei."
Nach Angaben des Landes Sachsen-Anhalt besuchen jährlich etwa 1,6 Millionen Besucher die Straße der Romanik.
"Die Straßen erfüllen verschiedene Funktionen. Zum einen bringen sie bestimmte Regionen erstmal auf die touristische Landkarte. Sie machen Gebiete durch das Thema, was da verstärkt gezeigt wird, zunächst erstmal interessant."
Meint Axel Dreyer. Er ist Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Harz in Wernigerode und Gründungsdirektor des Instituts für Tourismusforschung.
"Und gerade bei der Straße der Romanik spielt eine ganz entscheidende Rolle, dass die Straße von Beginn an, identitätsstiftend wirken sollte. Sie bildet ja so eine gefühlte Acht durch Sachsen-Anhalt. Nimmt alle Regionen mit, weil es in allen Regionen romanische Bauwerke von Bedeutung gibt."
Sachsen-Anhalt könnte sich als Kulturreiseland etablieren
Mit der Straße der Romanik könne sich Sachsen-Anhalt als Kulturreiseland etablieren, so Dreyer weiter. Aber auch als Land des Weins. Denn der Wein verbindet das Jetzt mit dem Früher: Mit der Romanik kam auch der Weinanbau ins Land. Jedes Kloster auf der Südroute der Straße der Romanik hatte seinen eigenen Weinberg.
Großen Anteil daran hatten beispielsweise die Zisterzienser des Klosters Pforte, das auch an der Straße der Romanik liegt. Heute Landesschule, früher Fürstenschule. Fichte, Klopstock und Schlegel sind hier zur Schule gegangen. Little Hogwarts nennt man es, weil es was von der Zauberschule Harry Potters hat. In unmittelbarer Nähe hat sich der junge Winzer Matthias Hey niedergelassen. Und betreibt Weinanbau in extremer Steillage.
"Der heißt Naumburger Steinmeister. Der klingt schon steinig, ist es auch."
Hey arbeitet bei gleißender Sonne. Um zu wissen wie es ist, muss der Reporter mit auf den Berg.
Man keucht und schwitzt. Aber wird mit einem einzigartigem Blick über das Saale-Tal, die mittelalterliche Kulturlandschaft der Romanik belohnt. Burgen, Schlösser und Dome sind mit der Hand zu greifen. Wie in einer Märklin-Modelleisenbahn-Landschaft.
"Das Faszinierende für mich überhaupt, mich mit dem Winzerberuf so anfreunden zu können, ist, dass es von Anfang an nicht nur eine landwirtschaftliche Arbeit war. Sondern, dass Bewusstsein in einer tausend Jahre alten Kulturlandschaft mir die Hände dreckig zu machen. An einem Weinberg. Und Rebstöcke wieder aus Brombeergestrüpp befreie. Das ist ein unglaublich tolles Gefühl."
Highlight der Straße: der Naumburger Dom
Das Ziel des 36-jährigen Winzers: Die Gegend – vom Geheimtipp unter Kennern - zum Moselgebiet des Ostens zu machen.
Ähnliches probiert Winzer Gerd Wölbling am Weischützer Nüssenberg bei Freyburg. An seinem Weingut entlang plätschert die idyllische Unstrut.
"Hier der Birnbaum, Apfelbäume. Sei sehen den Fluss. Sie sehen Felder, sie sehen Hügel, Sie sehen Wälder und Sie sehen auch Weinberge. Also es geht ineinander über. In den großen Weinbau-Regionen, wo Wein-Felder herrschen, das gibt es hier nicht. Deswegen heißt es ja Toskana des Nordens. Die ganze Vielfalt ist miteinander vereint."
Highlight der Straße der Romanik: Der Naumburger Dom, seit Anfang Juli UNESCO-Weltkulturerbe. 120.000 Besucher kommen jedes Jahr. Die Meisten wegen der Uta. Eine überlebensgroße Stifter-Figur, die man auch die Mona Lisa des Mittelalters nennt. Makellos schön. Ein unübertroffenes Paradebeispiel europäischer mittelalterlicher Bildhauerei. Geschaffen von einem namenlosen Künstler.
Oft vergessen wird jedoch die Krypta, der älteste Teil des Naumburger Doms. Wenn man die abgetretenen Stufen hinuntersteigt, fühlt man sich wie im Film "Der Name der Rose". Kerzen erleuchten diffus das Kellergewölbe. Versehen mit einem Kunstwerk von herausragender Bedeutung, einer romanischen Darstellung von Jesus am Kreuz.
"Es ist ein sogenanntes Vierpunkt-Kreuz, das heißt, die Füße sind parallel. Aufrecht stehend. Auch die weit aufgerissenen Augen, fast schon Glubschaugen. Die viel zu groß wirkenden Hände im Vergleich zum Rest. Typisch für die romanische Skulptur-Kunst. Er trägt keine Dornenkrone, er hat keine Wundmale. Er triumphiert über den Tod."
Internationales Flair existiert kaum
Erklärt Kirsten Reichert, 36. Dom-Führerin und Ethnologin.
"Wirkt fast schon expressionistisch. Würde einem Laien in einer modernen Ausstellung nicht mal auffallen."
Doch wer in den kleinen Städten und Dörfern Sachsen-Anhalts - auf der Straße der Romanik unterwegs ist - stößt nicht selten auf das Problem, dass Gasthöfe und Restaurants wegen Mitarbeitermangels geschlossen sind oder gänzlich fehlen. Kleinere Pensionen wirken wie aus der Zeit gefallen, als ob man in den 70er Jahren Station macht. Einzige Verkehrssprache: Deutsch. Internationales Flair existiert kaum.
Auch das ist ein Aspekt der Straße der Romanik. Man wird in die aktuellen Probleme hineingeworfen: Abgehängte Regionen, leere Dörfer, Fachkräftemangel, Reste der alten DDR. Aber genau das macht eine Reise durch Sachsen-Anhalt natürlich auch hoch-interessant: Eine Region der scharfen Kontraste, Widersprüche und Risse. Das Hier und Jetzt, es ist augenfällig.
Doch sollte man sich davon nicht abschrecken lassen, sagt Touristiker Axel Dreyer. Und rät den Gastronomen vor Ort:
"Mehr Einsatz regionaler Produkte, ich wünsch mir mehr positiven Service, was wir als besondere Gastlichkeit bezeichnen würden. Mir fehlt in der Region ein größeres Vier-bis Fünf-Sterne Hotel."
Die Straße der Romanik ist Teil des europäischen Projekts "Transromanica". Und steht für das romanische Erbe zwischen Ostsee und Mittelmeer, die Ursprünge des gegenwärtigen Europas. Als sich Kultur und Fortschritt über die Grenzen hinweg entwickelt haben, ohne Schlagbäume, ohne Transit- oder Ankerzentren.