Mehr als die monogame Ehe
Polyamore Beziehungen, One-Night-Stands, Intersexualität: Zwei Initiativen in der evangelischen Kirche fordern die Akzeptanz alternativer Lebens- und Liebesformen, sie wollen Einfluss nehmen auf eine neue EKD-Denkschrift zur Sexualethik. Konservative warnen dagegen vor einem Ausverkauf an den Zeitgeist.
Für Eske Wollrad von den Evangelischen Frauen und Martin Rosowski von der Männerarbeit weist die EKD-Orientierungshilfe zum Thema "Familie als verlässliche Gemeinschaft" den Weg in die richtige Richtung: Nicht allein die Ehe könne und müsse Ort und Hort einer glücklichen Beziehung sein.
"Wir gehen noch einen Schritt weiter: Uns geht es im Grunde um das Aufbrechen von Stereotypen, weil wir uns mit den Normen der Heterosexualität und der Zweigeschlechtigkeit viel zu stark einengen."
"Wir stellen die Frage: Wie ernst ist es der Kirche mit der Öffnung? Deswegen stellen wir zum Beispiel auch die Frage nach einer Akzeptanz und Wertschätzung von Single-Lebensformen ebenso wie polyamoren Lebensformen."
Polyamore Lebensformen – vielfältige, gleichberechtige Liebesbeziehungen. Eine 28-Jährige, die hauptamtlich in der evangelischen Jugendarbeit tätig ist und lieber anonym bleiben möchte, erklärt ihr polyamores Beziehungsleben:
"Für mich persönlich bedeutet das, dass ich die Möglichkeit habe, mit verschiedenen Menschen Sexualität und Liebe zu teilen, und dass mein Partner mir das auch freistellt und ermöglicht."
Es gehe dabei nicht um heimliche Seitensprünge, sondern um Offenheit und Kommunikation darüber, dass Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen gleichzeitig möglich seien. Doch mit ihrem polyamoren Lebenswandel hat sie sich innerhalb ihrer Kirche noch nicht geoutet:
"Aber man merkt es daran, das Interview wird anonym geführt, das hat seine Gründe, ich würde mir wünschen, dass das auf Dauer nicht notwendig ist."
"Wir gehen noch einen Schritt weiter: Uns geht es im Grunde um das Aufbrechen von Stereotypen, weil wir uns mit den Normen der Heterosexualität und der Zweigeschlechtigkeit viel zu stark einengen."
"Wir stellen die Frage: Wie ernst ist es der Kirche mit der Öffnung? Deswegen stellen wir zum Beispiel auch die Frage nach einer Akzeptanz und Wertschätzung von Single-Lebensformen ebenso wie polyamoren Lebensformen."
Polyamore Lebensformen – vielfältige, gleichberechtige Liebesbeziehungen. Eine 28-Jährige, die hauptamtlich in der evangelischen Jugendarbeit tätig ist und lieber anonym bleiben möchte, erklärt ihr polyamores Beziehungsleben:
"Für mich persönlich bedeutet das, dass ich die Möglichkeit habe, mit verschiedenen Menschen Sexualität und Liebe zu teilen, und dass mein Partner mir das auch freistellt und ermöglicht."
Es gehe dabei nicht um heimliche Seitensprünge, sondern um Offenheit und Kommunikation darüber, dass Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen gleichzeitig möglich seien. Doch mit ihrem polyamoren Lebenswandel hat sie sich innerhalb ihrer Kirche noch nicht geoutet:
"Aber man merkt es daran, das Interview wird anonym geführt, das hat seine Gründe, ich würde mir wünschen, dass das auf Dauer nicht notwendig ist."
Liebe wird teilbar und vervielfältigbar
Die Hamburger Sexualwissenschaftlerin Marianne Pieper spricht bereits von einer polyamoren Bewegung. Für deren Anhänger sei es eine Art Lebens- und Liebesphilosophie mit hohen ethischen Ansprüchen. Marianne Pieper sieht in den polyamoren Beziehungen durchaus eine Herausforderung für die monogame Ehe.
"Denn wir sehen ja, dass es weiterhin normative Muster gibt, auch innerhalb der Polyamorie gibt es normative Muster. Treue ist eben nicht die Treue einem Partner gegenüber, sondern das ist eher die Frage der Offenheit, da verschiebt sich etwas, und es ist eben Liebe, die sich nicht mehr auf eine Person richtet, sondern die gewissermaßen teilbar wird oder vervielfältigbar."
Auch die Frauen- und Männerarbeit der evangelischen Kirche befürwortet eine Auseinandersetzung mit alternativen Lebensformen und Liebesbeziehungen. Es soll nicht länger um die Form einer Beziehung – wie zum Beispiel die der Ehe gehen, sondern um die Art, sagt Eske Wollrad.
"Was aus unserer Sicht fehlt, ist ein Paradigmenwechsel hin von Institutionen und deren Wertigkeiten hin zu den Inhalten. Das heißt, wir bestimmen die Lebensformen nicht nach Institutionen zum Beispiel Ehe, sondern über Grundwerte christlicher Lebensführung: gegenseitige Fürsorge, Vertrauen, Verlässlichkeit und Respekt sind für uns die Grundwerte christlicher Beziehungen."
"Für mich ist es das Liebesgebot, das uns Jesus auf den Weg gegeben hat, dass es um grundlegende Dinge geht wie Anerkenntnis der Singularität jeder Person, Respekt, Verzicht auf Gewalt, auf das Bedürfnis zu beherrschen, das ist meines Erachtens ein zentraler Punkt christlicher Sexualethik."
Die Wuppertaler Theologieprofessorin Andrea Bieler hat beobachtet, dass sich in der evangelischen Kirche nicht nur bei den ethischen Grundwerten eine deutliche Veränderung bemerkbar macht, sondern auch in den theologischen Begründungen der Beziehungen.
"Da ist eine größere Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Prozessen, die jetzt stattfinden, wahrzunehmen, und auch theologisch wird ein Wandel vollzogen von einer Schöpfungsordnungstheologie, die doch sehr rigide immer festgeschrieben hat die Komplementarität und Exklusivität von Mann und Frau, die das absolut normative Leitbild ist, das hat sich verändert und zwar in Richtung eines eher funktional verstandenen Familienbegriffes, wo jetzt das Augenmerk mehr auf die qualitativen Aspekte der Beziehung gelegt wird, auf die ethischen Kriterien, und das finde ich sehr begrüßenswert."
"Denn wir sehen ja, dass es weiterhin normative Muster gibt, auch innerhalb der Polyamorie gibt es normative Muster. Treue ist eben nicht die Treue einem Partner gegenüber, sondern das ist eher die Frage der Offenheit, da verschiebt sich etwas, und es ist eben Liebe, die sich nicht mehr auf eine Person richtet, sondern die gewissermaßen teilbar wird oder vervielfältigbar."
Auch die Frauen- und Männerarbeit der evangelischen Kirche befürwortet eine Auseinandersetzung mit alternativen Lebensformen und Liebesbeziehungen. Es soll nicht länger um die Form einer Beziehung – wie zum Beispiel die der Ehe gehen, sondern um die Art, sagt Eske Wollrad.
"Was aus unserer Sicht fehlt, ist ein Paradigmenwechsel hin von Institutionen und deren Wertigkeiten hin zu den Inhalten. Das heißt, wir bestimmen die Lebensformen nicht nach Institutionen zum Beispiel Ehe, sondern über Grundwerte christlicher Lebensführung: gegenseitige Fürsorge, Vertrauen, Verlässlichkeit und Respekt sind für uns die Grundwerte christlicher Beziehungen."
"Für mich ist es das Liebesgebot, das uns Jesus auf den Weg gegeben hat, dass es um grundlegende Dinge geht wie Anerkenntnis der Singularität jeder Person, Respekt, Verzicht auf Gewalt, auf das Bedürfnis zu beherrschen, das ist meines Erachtens ein zentraler Punkt christlicher Sexualethik."
Die Wuppertaler Theologieprofessorin Andrea Bieler hat beobachtet, dass sich in der evangelischen Kirche nicht nur bei den ethischen Grundwerten eine deutliche Veränderung bemerkbar macht, sondern auch in den theologischen Begründungen der Beziehungen.
"Da ist eine größere Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Prozessen, die jetzt stattfinden, wahrzunehmen, und auch theologisch wird ein Wandel vollzogen von einer Schöpfungsordnungstheologie, die doch sehr rigide immer festgeschrieben hat die Komplementarität und Exklusivität von Mann und Frau, die das absolut normative Leitbild ist, das hat sich verändert und zwar in Richtung eines eher funktional verstandenen Familienbegriffes, wo jetzt das Augenmerk mehr auf die qualitativen Aspekte der Beziehung gelegt wird, auf die ethischen Kriterien, und das finde ich sehr begrüßenswert."
"Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden"
Für Ulrich Rüß eine unhaltbare Position. Der evangelikale Theologe ist Vorsitzender der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in Deutschland.
"Jesus macht ganz deutlich: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Und die Ehe sieht die Einheit von Mann und Frau vor und nicht von Mann und Mann oder Frau und Frau, und das ist nun eindeutig biblisches Zeugnis."
Die EKD bereitet zur Zeit ein neues Grundsatzpapier, eine Denkschrift zur Sexualethik vor. Spannend wird es nicht nur bei den polyamoren Lebensformen, sondern auch bei der Frage, ob eine sexuelle Beziehung immer auf Dauer angelegt sein muss oder ob zum Beispiel der One-Night-Stand moralisch akzeptiert werden kann. Martin Rosowski von der evangelischen Männerarbeit:
"Es wird sich jetzt zeigen, ob wir bereit sind, solche Wertevorstellungen gelten zu lassen für punktuelle sexuelle Beziehungen. In einem One-Night-Stand gibt es hierfür eine ethische Haltung, in der ich dem Menschen, dem ich möglicherweise nur einmal in meinem Leben sexuell begegne, gegenüber Respekt aufbringe und für ihn ein Mindestmaß an Verantwortung auch aufbringe."
In diesem Zusammenhang plädiert die Theologin Andrea Bieler für mehr Toleranz ihrer Kirche, für eine Ambiguitätstoleranz, die vermeintliche Widersprüche aushält.
"Damit meine ich, dass es nicht per se gute und schlechte Formen der Sexualität gibt oder gute und schlechte Formen des Sexes, sondern dass man genau hingucken muss, was Menschen tun und wie sie sich verhalten, und das dann bewerten muss."
Der Hamburger Theologe Ulrich Rüß wehrt sich gegen solch eine Sichtweise. Für ihn sind die Aussagen der Bibel die entscheidende Richtlinie für die evangelische Sexualethik:
"Ich hoffe nur, dass nicht alles dem Zeitgeist angepasst wird, dass jedem ein gutes Gewissen gemacht wird, egal wie er lebt, dann sind wir tatsächlich in jener Autonomie, wo es nur um das Selbst geht, wie man selbst glücklich wird, aber es geht nicht um die Verantwortung vor Gott."
"Jesus macht ganz deutlich: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Und die Ehe sieht die Einheit von Mann und Frau vor und nicht von Mann und Mann oder Frau und Frau, und das ist nun eindeutig biblisches Zeugnis."
Die EKD bereitet zur Zeit ein neues Grundsatzpapier, eine Denkschrift zur Sexualethik vor. Spannend wird es nicht nur bei den polyamoren Lebensformen, sondern auch bei der Frage, ob eine sexuelle Beziehung immer auf Dauer angelegt sein muss oder ob zum Beispiel der One-Night-Stand moralisch akzeptiert werden kann. Martin Rosowski von der evangelischen Männerarbeit:
"Es wird sich jetzt zeigen, ob wir bereit sind, solche Wertevorstellungen gelten zu lassen für punktuelle sexuelle Beziehungen. In einem One-Night-Stand gibt es hierfür eine ethische Haltung, in der ich dem Menschen, dem ich möglicherweise nur einmal in meinem Leben sexuell begegne, gegenüber Respekt aufbringe und für ihn ein Mindestmaß an Verantwortung auch aufbringe."
In diesem Zusammenhang plädiert die Theologin Andrea Bieler für mehr Toleranz ihrer Kirche, für eine Ambiguitätstoleranz, die vermeintliche Widersprüche aushält.
"Damit meine ich, dass es nicht per se gute und schlechte Formen der Sexualität gibt oder gute und schlechte Formen des Sexes, sondern dass man genau hingucken muss, was Menschen tun und wie sie sich verhalten, und das dann bewerten muss."
Der Hamburger Theologe Ulrich Rüß wehrt sich gegen solch eine Sichtweise. Für ihn sind die Aussagen der Bibel die entscheidende Richtlinie für die evangelische Sexualethik:
"Ich hoffe nur, dass nicht alles dem Zeitgeist angepasst wird, dass jedem ein gutes Gewissen gemacht wird, egal wie er lebt, dann sind wir tatsächlich in jener Autonomie, wo es nur um das Selbst geht, wie man selbst glücklich wird, aber es geht nicht um die Verantwortung vor Gott."
Weg mit dem Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit?
Den Evangelischen Frauen in Deutschland und der evangelischen Männerarbeit geht es um die Vielfalt der sexuellen Identitäten und Beziehungen: um das Leben als Singles, als Homosexuelle, aber auch als Intersexuelle. Ein Wunsch, den auch Martin Rosowski und Eske Wollrad teilen. Sie möchten, dass ihre evangelische Kirche sich von dem Konstrukt einer Zweigeschlechtlichkeit verabschiede:
"Wir brauchen in unserer evangelischen Kirche keine Klassifizierungen für Männer, Frauen, Intersexuelle, Transsexuelle, homosexuelle, heterosexuelle Menschen, sondern im Grunde genommen geht es um den Menschen selbst und die Gemeinschaft der Menschen in der bunten Vielfalt."
"Die Gesellschaft verändert sich, und es stellt sich die Frage: Wo sind wir? Sind wir immer mehr am Rand, weil wir uns abkapseln?"
"Es ist die Frage, ob die Kirche alles mitmachen muss?"
Erwidert der evangelikale Theologe Ulrich Rüß.
"Ob sie mit dem Geist der Zeit gehen muss, mit der Entwicklung, dass Ehen immer mehr zerstört werden, dass Familien mehr auseinanderdriften, ob wir uns damit abfinden müssen. Oder ob wir den Mut haben, so was wie Kontrastgesellschaft im Sinne der Heiligen Schrift darzustellen."
Mit der Debatte über die Vielfalt sexueller Identitäten und Beziehungen versuchen die evangelischen Frauen und Männer, eine Verbindung herzustellen zwischen ihrer Kirche und aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen. Ob die EKD ihnen folgen wird? Nach der heftigen Kritik an der Orientierungshilfe zur Familie gibt es offenbar Überlegungen, die Veröffentlichung der Denkschrift zur Sexualethik erst einmal zu verschieben. Ein falsches Signal, findet der hannoversche Landesbischof Ralf Meister:
"Das muss die Kirche auch aushalten, und sie muss auch aushalten, dass es dann manchmal heißt, ihr seid völlig auf dem falschen Weg oder ihr seht die Wirklichkeit gar nicht in der Glaubensüberzeugung, die die meine ist. Das muss ein Rat, der ja auch nicht die evangelische Glaubenskongregation ist, das muss ein Rat aushalten können."
"Wir brauchen in unserer evangelischen Kirche keine Klassifizierungen für Männer, Frauen, Intersexuelle, Transsexuelle, homosexuelle, heterosexuelle Menschen, sondern im Grunde genommen geht es um den Menschen selbst und die Gemeinschaft der Menschen in der bunten Vielfalt."
"Die Gesellschaft verändert sich, und es stellt sich die Frage: Wo sind wir? Sind wir immer mehr am Rand, weil wir uns abkapseln?"
"Es ist die Frage, ob die Kirche alles mitmachen muss?"
Erwidert der evangelikale Theologe Ulrich Rüß.
"Ob sie mit dem Geist der Zeit gehen muss, mit der Entwicklung, dass Ehen immer mehr zerstört werden, dass Familien mehr auseinanderdriften, ob wir uns damit abfinden müssen. Oder ob wir den Mut haben, so was wie Kontrastgesellschaft im Sinne der Heiligen Schrift darzustellen."
Mit der Debatte über die Vielfalt sexueller Identitäten und Beziehungen versuchen die evangelischen Frauen und Männer, eine Verbindung herzustellen zwischen ihrer Kirche und aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen. Ob die EKD ihnen folgen wird? Nach der heftigen Kritik an der Orientierungshilfe zur Familie gibt es offenbar Überlegungen, die Veröffentlichung der Denkschrift zur Sexualethik erst einmal zu verschieben. Ein falsches Signal, findet der hannoversche Landesbischof Ralf Meister:
"Das muss die Kirche auch aushalten, und sie muss auch aushalten, dass es dann manchmal heißt, ihr seid völlig auf dem falschen Weg oder ihr seht die Wirklichkeit gar nicht in der Glaubensüberzeugung, die die meine ist. Das muss ein Rat, der ja auch nicht die evangelische Glaubenskongregation ist, das muss ein Rat aushalten können."