Mehr als die obligatorische Messekoje

Von Barbara Wiegand |
Mit der "Art Berlin Contemporary" (ABC) in den Hallen eines stillgelegten Postbahnhofs wollen Berliner Galeristen ihre Arbeit großräumig internationalem Publikum präsentieren. Manche vermuten, die Macher veranstalten in Wirklichkeit eine Gegenmesse zum Berliner Art Forum, mit dessen Leitung sie seit langem im Clinch liegen.
Im Hof des einstigen Postbahnhofes am Gleisdreieck sind Kohlensäcke gestapelt – von außen grau und staubig entpuppt sich der Haufen Briketts beim Berühren als bronzene, von Thomas Zipp geformte Skulptur. Derart verkehrt scheint die Welt manchmal auch im Inneren der Ausstellungshallen. So grüßen den Besucher der "Art Berlin Contemporary" gleich zur Rechten ausgestopfte Füchse. Ausgestattet mit grünem Hut und Krückstock hat der Künstler Daniel Richter die Gejagten zum Jäger mit Handicap gemacht

"Es geht zurück auf eine Idee, die zu tun hat, als ich mich mal beschäftigt hab, was eine dominante Tendenz in der gegenwärtigen Skulptur ist. Und dann bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich in so etwas wie dem Fuchs, den man erschießt, und dann verkleidet als ein Jäger um ihm dann noch mal die Knochen zu brechen und ihn in Gipsverbände und Krücken stellt, so was findet, wie das radikalisiertest ehrliche Verhältnis des Menschen zur Natur. Also man humanisiert sie und verkitscht sie, aber in Wirklichkeit treibt man nur Schindluder."

Nicht ohne Ironie ist auch die Arbeit des Amerikaners John Miller: Kleine Saurier und Säulen aus Plastik hat er als Symbole unserer Museumskultur in einem braunen Haufen Kunststoff drapiert. Daneben findet sich Poetisches, wie die von Albrecht Schäfer so kunstvoll wie unpraktisch ineinander verhedderten Jalousien. Und es gibt wahrhaft Gewichtiges. Etwa die fast tonnenschwere Bronze "Berserker" von Stella Hamberg. Eine Arbeit, die mit all ihrer Wucht zum Anspruch der ABC passt: Zu zeigen, was man hat. 44 der führenden Berliner Galeristen füllen die 9000 Quadratmeter großen Hallen überwiegend mit der Kunstform, die sich am besten ins Blickfeld rücken lässt – der Skulptur. Das Ganze nennen sie aber nur ungern Kunst-"Messe". Auch wenn die ausgestellten Werke zum Verkauf stehen. Und auch wenn sich die Initiatoren der ABC in der Vergangenheit immer wieder vom Art Forum als Berliner Kunstmesse distanzierten. Viel lieber spricht man von einer Leistungsschau. Martin Klosterfelde, ABC-Geschäftsführer und einer der Initiatoren:

"Das ist ein wunderschönes Wort: Leistungsschau. Es repräsentiert was in den Galerien für Künstler repräsentiert werden, und das ist einmalig in Berlin, was für starke Programme hier in einer Stadt aufeinander kommen. Das ist ja auf einem institutionellen musealen Level. Und das versuchen wir jetzt mit dieser Leistungsschau oder Überblicksschau."

Eine Schau, an der auch Thomas Schulte teilnimmt. Er hatte einst das Berliner Art Forum mitbegründet. Weil er mittlerweile aber dessen mangelnde Kontinuität moniert, hat er sich entschlossen, bei der ABC mitzumachen.

"Ich finde es insofern sehr gut, weil sich am Art Forum sehr viele Geister geschieden haben über die Jahre und die besten Galerien der Stadt zum großen Teil da gar nicht mehr vertreten waren. Deswegen kommen jetzt wenigstens mal alle zusammen und man kann sehen, was wir leisten können. Das ist eine Positionierung von Berlin als Kunst und Galerienstadt."

Thomas Schulte hat unter anderem eine Plastik von Peter Rogiers mit in die denkmalgeschützten Hallen gebracht. Die bizarren Formen und Verformungen aus Polyester und Holz zeigt Schulte in der größeren von zwei Hallen, inmitten von anderen Werken. Denn – und damit hebt man sich in der Tat von einer Kunstmesse ab – die dort üblicherweise genutzten Kojen gibt es auf der ABC nicht. Dementsprechend zahlt der Galerist auch nicht pro Quadratmeter Messestand, sondern pro Künstler. Wen sie für 4000 Euro mitbringen, dass ist ihre Sache. Wo die Kunst gezeigt wird, entscheidet dagegen die künstlerische Leiterin der ABC – Ariane Beyn:

"Das heißt, wir versuchen bestimmte Zusammenhänge herzustellen. Es steht zwar jedes Objekt auch für sich allein, aber wir ordnen es ein in eine Inszenierung."

Manche der geknüpften Beziehungen sind jedoch von eher schlichter Inspiration. Etwa wenn Säulen aus Styropor und Postsäcke sich ganz banal auf den Ausstellungsraum und seine Vergangenheit beziehen. Andererseits ist Schräges und Stilles immer wieder gekonnt vereint – oder hat zumindest genügend Raum für sich allein zu wirken. Immer wieder aber bleibt es bei einer bloßen Aneinanderreihung von Werken, und die ABC erweist sich als sichtlich schwieriger Grenzgang zwischen Messe und Ausstellung. Nicole Hackert, von der renommierten Galerie "Contemporary Fine Arts":

"Naja gut, das wäre glaube ich eine Lüge, dass nicht jeder der Beteiligten zumindest seinen Einsatz wieder rein haben wollte. Das ist natürlich eine andere Messe insofern, als dass es einem erlaubt, Formate zu zeigen, die man in einer normalen Messekoje nicht zeigen kann und einfach auch mal Seiten der Künstler, die sie vielleicht nicht in der Galerie zeigen können."

Man spiele geschickt mit Berlins Image als Experimentierfeld für junge Kunst, ergänzt Nicole Hackert. Ob aber der oft laborartige Ausstellungscharakter auf lange Sicht ausreicht, um sich qualitätvoll am internationalen Markt zu positionieren, bleibt abzuwarten. Überhaupt muss man sehen, wie sich dieses Kunstprojekt entwickelt: Zur konsequent kuratierten und konzipierten Überblicksausstellung oder zu einem Teil der Berliner Kunstmesse Art Forum.
Mit dessen neuer Führung hat man für das Jahr 2009 jedenfalls schon einen gemeinsamen Termin vereinbart. Und auch wenn dann für die ABC in ihrer jetzigen Eigenständigkeit das frühzeitige Ende gekommen wäre, hätten die Initiatoren doch eine Menge erreicht. Sie hätten Flagge gezeigt auf dem heiß umkämpften Kunstmarkt und ihre Führungsansprüche für Berlin angemeldet.