Mehr als ein Festival für elektronische Musik

Von Julia Macher |
Barcelona huldigt dieser Tage auf der Sonar der elektronischen Musik. Das Festival hat sich in zwölf Jahren zur wichtigsten Musikmesse im Bereich elektronische Musik und Kunst entwickelt. Knapp 85.000 Menschen fuhren im letzten Jahr ans Mittelmeer, um den Großen der Szene ihre Reverenz zu erweisen - und Geschäfte zu machen. In diesem Jahr hat der Veranstalter Advanced Music genauso viele Tickets verkauft.
Matthew Herbert steht auf der Sonarbühne und kocht: Ein Mehr-Gänge-Menü aus krachenden Apfelbissen, knisternden Instantsuppentüten und einem mit Panzerketten unterlegten Picknick von Tony Blair und George W. Bush. In seinem Projekt "Plat du Jour" bereitet der Klangkünstler aus Alltagsgeräuschen Musik zu und garniert sie mit einer politischen Botschaft. Das erste Geräusch dafür, den Biss in den Apfel, hat Matthew Herbert 2004 auf der Sonar aufgenommen. Dass er das Endprodukt ein Jahr später am gleichen Ort präsentiert, hat allerdings noch einen ganz profanen Grund. Barcelona feiert das Jahr der Gastronomie - und da passt so ein Tagesgericht perfekt ins Programm. Schließlich pflegen das Festival und die Stadt eine fast symbiotische Beziehung. Georgia Taglietti vom Veranstalter Advanced Music.

Georgia Taglietti: "Die Sonar und Barcelona gehören ganz eng zusammen. Sonar ist ein sehr urbanes Festival und wir sind dieser Stadt sehr dankbar, weil sie unsere Art von Publikum anzieht. Es ist eine Festivalmetropole - und eine großartige Stadt für Erasmusstudenten, wegen des Wetters, der Freizeitangebote, so wie Miami in den USA."

Die Sonar dankt der Stadt - und die Stadt dankt der Sonar: 47 Millionen Euro flossen durch das Elektrospektakel im letzten Jahr in die Region. Genau 87 Euro und 89 Cent gab der durchschnittliche Besucher pro Tag aus. Rechenexempel, mit der die Veranstalter ihre wirtschaftliche Bedeutung unterstreichen.

Über den kulturellen Stellenwert gibt das Programm Aufschluss. Die Chemical Brothers aus Manchester, Ellen Allien aus Berlin, die Dance-Pop-Diva Roisin Murphy, Ex-Moloko. Und Maya Arulpragasam alias M.I.A., die mit ihrer Mischung aus Elektro, Hip Hop und Ethno den Feuilletonredakteuren derzeit den Kopf verdreht. Alles schön und gut, nur - leider keine großen Überraschungen, runzelt da mancher Festivalbesucher die Stirn. Aber darum geht es auch nicht, sagt Georgia Taglietti:

"Die Aufgabe des Sonar ist es, das darzustellen, was es gibt. Wir erfinden nichts dazu, wir ordnen nur und haben eben die Möglichkeit, das alles vor einem sehr neugierigen Publikum auszubreiten In diesem Jahr haben wir gemerkt, dass Stimme und Gesang wieder wichtig werden, wie bei Roisin Murphy, Mu, MIA und Jamie Lidell Das Technologische wird vermenschlicht, bekommt einen Human Touch. "

nd dem Human Touch kann man auf diesem Festival unmöglich entkommen: Menschenmassen drängen sich vor dem zum Club umfunktionierten Kulturzentrum in der Altstadt. Auf dem grünen Kunstrasen vor dem Macba lagert dicht an dicht sonnenbebrilltes Partyvolk.

Die gotische Kapelle nebenan vibriert. In sakralem Ambiente stellen hier die Plattenlabels ihre Himmelsstürmer vor. Get physical präsentiert Booka Shade: House Musik von Arno Kammermeier und Walter Merziger.

Es ist für uns schon ne Ehre, zumal wir als Producer schon länger bekannt sind als Booka Shade, aber nicht als Act. Wir waren zuerst überrascht, ob wir mit dem Sound ankommen, aber - na ja - es hat geklappt. Tagsüber zu spielen ist das Newcomer-Metier, wo man aber merkt, die Leute sind musikinteressiert. Wir spielen auch gerne nachts um vier wo alle durchdrehen. Das ist eine Disziplin und das andere ist vor Publikum zu spielen. Jetzt war es hier eigentlich doch schon wieder so, dass hier ne Party abging. Wir hatten uns eigentlich fast drauf eingestellt, dass die Leute sitzen und zuhören.

Nur: Zum Sitzen ist kein Platz. Die Sonar hat sich selbst zur Dauerparty verurteilt. Eine dreitägige Olympiade der elektronischen Musik. Getreu dem Motto: Dabei sein ist alles.