Mehr als ein verhinderter Junge
Gleich drei französische Filme laufen in der kommenden Woche in den deutschen Kinos an. Der wohl ungewöhnlichste ist "Tomboy", der auch im Original so heißt und auf der Berlinale 2011 im Panorama Weltpremiere feierte. Er stammt von der 33jährigen Regisseurin Céline Sciamma, und es ist ihr zweiter Film über das Erwachsenwerden.
Susanne Burg: Herr Taszman, in Sciammas erstem Spielfilm "Water Lilies" ging es darum, dass sich eine 15-Jährige in ein anderes Mädchen verliebt hat. Nun, bei "Tomboy", steht ein Mädchen im Zentrum, das sich als Junge ausgibt. Was interessiert Céline Sciamma an diesem Thema der jugendlichen Identitätssuche?
Jörg Taszman: In Frankreich sagt man immer ein Erstlingswerk sollte wenn schon nicht autobiografisch, aber mindestens ein persönlicher Film sein, über ein Thema von dem man dann als Autor auch etwas versteht. Céline Sciamma die sehr intellektuell, sehr reflektiert ist, hat sich diesen Rat, der fast eine Regel darstellt, auch bisher beherzigt. Und ich habe ihr dann auch diese Frage gestellt; was sie so an der Kindheit, an der Jugend interessiert.
"Je pense que c’est lié á une jeunesse de cinema aussi…Ich glaube das hat auch mit meiner Jugend zu tun, in der das Kino so wichtig war. Man muss ein wenig von dem reden, was man kennt. So kann man dann auch eine Fiktion erschaffen. Ich habe meinen ersten Film gedreht, als ich 26 war. Die Jugend lag da noch nicht so weit zurück und diesmal bei der Kindheit musste ich ein bisschen mehr zurück schauen. Aber ich arbeite auch gerne mit Kindern zusammen, die keine professionellen Schauspieler sind. So kann ich auch mehr meine Arbeitsmethode mit einbringen, etwas zu suchen. Außerdem mag ich dieses Genre der "coming of age" Filme. Das ermöglicht es, sensible Geschichten zu erzählen, in denen es doch um sehr viel geht. Alles geschieht zum ersten Mal….tout est pour la premiere fois."
Burg: Sie sagt, ihr war das Kino in ihrer Jugend so wichtig. In welchem Stil ist dieser Film erzählt? Auf welche Tradition beruft sie sich da?
Taszman: Es ist schon ein sehr dokumentarisch wirkender Film. Céline Sciamma erzählt sehr ruhig, konzentriert sich auf eine Gruppe von Kindern am Ende der Sommerferien, und Laure, ein etwa 11 jähriges Mädchen mit kurzen Haaren, das ein wenig jungenhaft wirkt, nennt sich plötzlich Mikhael und gibt sich auch als Junge aus. Dafür gibt es im Französischen kein optimales Wort. Deshalb auch der englische Titel "Tomboy". Noch einmal Céline Sciamma:
"Je l‘ai choisis parce que….Ich habe diesen Titel auch deshalb ausgewählt, weil er etwas Geheimnisvolles in sich trägt. Im Französischen würde man dazu "verhinderter Junge" sagen. Das mag ich nicht, weil es schon einmal eine Beleidigung ist, und außerdem steckt auch der Gedanke dahinter, dass man gescheitert ist. Mir ging es in dem Film eher darum, wie man es schaffen kann. Ich mochte also dieses Wort "Tomboy", weil das auch ein wenig nach einem kindlichen Superhelden klingt. Und für mich ist sie auch ein wenig wie so ein Superheld mit einem Doppelleben und überirdischen Mächten, wenn sie draußen ist…quand elle est dehors."
Burg: Nun ist das Thema, ob man sich in seinem Körper wohl fühlt, ob ein Mädchen lieber ein Junge sein möchte, in den letzten Jahren auch schon ein paar Mal im Kino aufgegriffen worden. Vor allem im amerikanischen Independent-Kino wie z.B. in "Boys don’t cry", für den Hilary Swank einen Oscar erhielt. Céline Sciamma ist Französin. Wie geht sie an das Thema heran? Was unterscheidet sie von anderen?
Taszman: Sehr entspannt. Sie versucht nicht, groß zu psychologisieren. Laure kommt aus einer ganz intakten, kleinbürgerlichen Familie mit lieben Eltern, einer süßen kleinen Prinzessin als Schwester. Und das Ganze ist auch ein Spiel. Sie fühlt sich als Junge auch wohler und vor allem akzeptierter. Sie wird schneller respektiert. Ob das nun wirklich schon etwas über eine spätere, sexuelle Orientierung aussagt, darum geht es eigentlich gar nicht in diesem Film. Viel spannender ist die Frage, wie geht die Umwelt damit um, wenn Laure’s Lügen auffliegen. Sie muss sehr aufpassen, dass keiner hinter ihr Geheimnis kommt. Und natürlich lässt sich das nicht auf Dauer verheimlichen. Genau aus diesem Konflikt bezieht der Film seine große Spannung.
Burg: Es ist ja, wie gesagt, Céline Sciammas zweiter Film nach "Water Lillies". Was unterscheidet nun diese beiden ersten Filme voneinander? Und kann man von Céline Sciamma auch in Zukunft noch einiges erwarten?
Taszman: Der Unterschied besteht vor allem darin, dass es in "Tomboy" wirklich um die Prepubertät geht. Das sind noch Kinder. Wenn sie sich gegenseitig ausfragen und kichern und peinlich berührt sind, dann nicht nur bei der Frage, bist du verliebt, sondern auch "Fresst ihr noch eure Popel?". Es geht noch nicht um wirkliches Begehren, aber doch schon um erste Verliebtheit.
In "Water Lillies" geht es wirklich schon um Sexualität, um Lust auch um das langsame Erwachsen werden. Mich hatte schon bei "Water Lillies" die Abgeklärtheit von Céline Sciamma, aber auch ihre Liebe zum Kino so beeindruckt. Sie wirkt mit ihren Filmen so gar nicht wie eine Debütantin. Sie hat das Kino und die Filmsprache wirklich im Blut. Ich bin sicher, sie wird regelmäßig weiter Filme drehen und das Talent haben, Sujets zu finden, mit denen sie nicht nur auffällt, aber bei denen sie wirklich auch etwas zu sagen hat.
Jörg Taszman: In Frankreich sagt man immer ein Erstlingswerk sollte wenn schon nicht autobiografisch, aber mindestens ein persönlicher Film sein, über ein Thema von dem man dann als Autor auch etwas versteht. Céline Sciamma die sehr intellektuell, sehr reflektiert ist, hat sich diesen Rat, der fast eine Regel darstellt, auch bisher beherzigt. Und ich habe ihr dann auch diese Frage gestellt; was sie so an der Kindheit, an der Jugend interessiert.
"Je pense que c’est lié á une jeunesse de cinema aussi…Ich glaube das hat auch mit meiner Jugend zu tun, in der das Kino so wichtig war. Man muss ein wenig von dem reden, was man kennt. So kann man dann auch eine Fiktion erschaffen. Ich habe meinen ersten Film gedreht, als ich 26 war. Die Jugend lag da noch nicht so weit zurück und diesmal bei der Kindheit musste ich ein bisschen mehr zurück schauen. Aber ich arbeite auch gerne mit Kindern zusammen, die keine professionellen Schauspieler sind. So kann ich auch mehr meine Arbeitsmethode mit einbringen, etwas zu suchen. Außerdem mag ich dieses Genre der "coming of age" Filme. Das ermöglicht es, sensible Geschichten zu erzählen, in denen es doch um sehr viel geht. Alles geschieht zum ersten Mal….tout est pour la premiere fois."
Burg: Sie sagt, ihr war das Kino in ihrer Jugend so wichtig. In welchem Stil ist dieser Film erzählt? Auf welche Tradition beruft sie sich da?
Taszman: Es ist schon ein sehr dokumentarisch wirkender Film. Céline Sciamma erzählt sehr ruhig, konzentriert sich auf eine Gruppe von Kindern am Ende der Sommerferien, und Laure, ein etwa 11 jähriges Mädchen mit kurzen Haaren, das ein wenig jungenhaft wirkt, nennt sich plötzlich Mikhael und gibt sich auch als Junge aus. Dafür gibt es im Französischen kein optimales Wort. Deshalb auch der englische Titel "Tomboy". Noch einmal Céline Sciamma:
"Je l‘ai choisis parce que….Ich habe diesen Titel auch deshalb ausgewählt, weil er etwas Geheimnisvolles in sich trägt. Im Französischen würde man dazu "verhinderter Junge" sagen. Das mag ich nicht, weil es schon einmal eine Beleidigung ist, und außerdem steckt auch der Gedanke dahinter, dass man gescheitert ist. Mir ging es in dem Film eher darum, wie man es schaffen kann. Ich mochte also dieses Wort "Tomboy", weil das auch ein wenig nach einem kindlichen Superhelden klingt. Und für mich ist sie auch ein wenig wie so ein Superheld mit einem Doppelleben und überirdischen Mächten, wenn sie draußen ist…quand elle est dehors."
Burg: Nun ist das Thema, ob man sich in seinem Körper wohl fühlt, ob ein Mädchen lieber ein Junge sein möchte, in den letzten Jahren auch schon ein paar Mal im Kino aufgegriffen worden. Vor allem im amerikanischen Independent-Kino wie z.B. in "Boys don’t cry", für den Hilary Swank einen Oscar erhielt. Céline Sciamma ist Französin. Wie geht sie an das Thema heran? Was unterscheidet sie von anderen?
Taszman: Sehr entspannt. Sie versucht nicht, groß zu psychologisieren. Laure kommt aus einer ganz intakten, kleinbürgerlichen Familie mit lieben Eltern, einer süßen kleinen Prinzessin als Schwester. Und das Ganze ist auch ein Spiel. Sie fühlt sich als Junge auch wohler und vor allem akzeptierter. Sie wird schneller respektiert. Ob das nun wirklich schon etwas über eine spätere, sexuelle Orientierung aussagt, darum geht es eigentlich gar nicht in diesem Film. Viel spannender ist die Frage, wie geht die Umwelt damit um, wenn Laure’s Lügen auffliegen. Sie muss sehr aufpassen, dass keiner hinter ihr Geheimnis kommt. Und natürlich lässt sich das nicht auf Dauer verheimlichen. Genau aus diesem Konflikt bezieht der Film seine große Spannung.
Burg: Es ist ja, wie gesagt, Céline Sciammas zweiter Film nach "Water Lillies". Was unterscheidet nun diese beiden ersten Filme voneinander? Und kann man von Céline Sciamma auch in Zukunft noch einiges erwarten?
Taszman: Der Unterschied besteht vor allem darin, dass es in "Tomboy" wirklich um die Prepubertät geht. Das sind noch Kinder. Wenn sie sich gegenseitig ausfragen und kichern und peinlich berührt sind, dann nicht nur bei der Frage, bist du verliebt, sondern auch "Fresst ihr noch eure Popel?". Es geht noch nicht um wirkliches Begehren, aber doch schon um erste Verliebtheit.
In "Water Lillies" geht es wirklich schon um Sexualität, um Lust auch um das langsame Erwachsen werden. Mich hatte schon bei "Water Lillies" die Abgeklärtheit von Céline Sciamma, aber auch ihre Liebe zum Kino so beeindruckt. Sie wirkt mit ihren Filmen so gar nicht wie eine Debütantin. Sie hat das Kino und die Filmsprache wirklich im Blut. Ich bin sicher, sie wird regelmäßig weiter Filme drehen und das Talent haben, Sujets zu finden, mit denen sie nicht nur auffällt, aber bei denen sie wirklich auch etwas zu sagen hat.