Mehr als Getto-Filme

Vpn Christian Geuenich |
Für ihren Film "Prinzessin" wurde Birgit Großkopf bereits mit dem renommierten Nachwuchspreis "First Steps" ausgezeichnet. Die 35-jährige Regisseurin erzählt die Geschichte zweier Freundinnen, die in einer tristen Hochhaussiedlung aufwachsen. Doch Großkopf möchte nicht schon nach ihrem Debüt auf das Genre Getto-Film festgelegt werden.
"Mir war es ganz wichtig, so diesen Getto-Kitsch in Deutschland zu vermeiden, so brennende Mülltonnen und diese reißerischen Böse-Mädchen-Darstellung in der Boulevard-Presse, das verkauft sich dann natürlich erstmal gut, mir war es aber wichtig hinter eine Fassade zu blicken und da auch Menschen zu sehen."

Birgit Großkopf sitzt in grünem Rock und Parka in einem gemütlichen Kölner Cafe und muss lachen, als sie dort das Plakat ihres Kinofilms "Prinzessin" an der Wand entdeckt. Die 35-Jährige mit den hochgesteckten braunen Haaren ist blass, ungeschminkt und sieht etwas übernächtigt aus, weil sie mit ihrem Umzug von Prenzlauer Berg nach Kreuzberg gerade alle Hände voll zu tun hat. Genauso wie mit dem Kinostart ihres Debütfilms über eine Mädchengang.

Filmausschnitt:
"Yvonne: Sag mal, warum hast du mir nicht gesagt, dass die Alte aus der S-Bahn dich angezeigt hat, hä? Die Fotze hat dafür ne Abreibung verdient. Kannste nicht ein bisschen langsamer laufen?
Katharina: Ich habe aber keinen Bock der Alten eine reinzuhauen, okay.
Yvonne: Hey, dann mach ich die Alte halt zur Sau. Du hast mir geholfen und das vergess' ich dir nie.
Katharina: Lass mich einfach in Ruhe mit dem Scheiß."Prinzessin" spielt in einer Hochhaussiedlung in einer gesichtslosen westdeutschen Vorstadt. Dort hängen die Freundinnen Katharina, Yvonne, Jenny und Mandy in der Kälte ab. Sie klauen, verprügeln ein Mädchen willkürlich in der S-Bahn, zocken Geld ab und geraten mit einer verfeindeten Mädchen-Gang aneinander. Mit Gewalt und Aggression reagieren sie auf die Tristesse, Perspektivlosigkeit und Monotonie ihres Lebens in der Vorstadt. Im Mittelpunkt von Birgit Großkopfs Debütfilm steht allerdings nicht die Gewalt, sondern die Freundschaft zwischen Yvonne und der Russland-Deutschen Katharina.

""Die Personen geben sich gegenseitig Halt und ein zu Hause, was sie bei sich selber im wirklichen zu Hause nicht finden, aber drohen sich auch durch diese Abhängigkeit gegenseitig in den Abgrund zu ziehen, und am Ende steht dieser Opfertod-Gedanke, der auch bei Liebesgeschichten wichtig ist, dass vielleicht nur eine überleben kann, damit nicht beide untergehen."

Um die gesellschaftliche Realität der identitätssuchenden Jugendlichen abzubilden, hat sich die 35-jährige Regisseurin bewusst für einen fast dokumentarischen Stil entschieden. Sie wollte zeigen, nicht werten. Deshalb hat sie lange recherchiert, mit Sozialarbeiterinnen und Mädchengangs in Problembezirken gesprochen. Aber auch eigene Erfahrungen sind mit eingeflossen. In Berlin-Wedding hat sie erlebt, wie eine Mädchengang in ihre S-Bahn eingestiegen ist.

"Kaum waren sie da drin, war Testosteron pur in der Luft, und ich hatte wirklich das erste Mal physische Angst vor anderen Frauen, und die fingen dann an, die paar Leute, die in der Bahn waren, zu malträtieren. Ich hab die dann genau beobachtet, mir auch sofort Notizen gemacht, zu ihrem Aussehen, was sie anhaben, hab das dann auch in die Kostümarbeit später einfließen lassen."

Entgegen den Klischees sei ihr dabei aufgefallen, wie attraktiv und zurechtgemacht die Mädchen gewesen seien.

Birgit Großkopf ist in Köln-Weiden aufgewachsen, der Vorstadt, in der sie auch ihren Debütfilm gedreht hat. Die Nachwuchsregisseurin kennt das Gefühl, nur möglichst schnell raus zu wollen aus dem tristen Randbezirk. Nach dem Abitur an einer katholischen Klosterschule hat sie Archäologie studiert und nebenbei an der Studiobühne in Köln als Schauspielerin gearbeitet.

"Und hab dann aber auch gemerkt, dass die Art und Weise wie ich die Regieanweisungen des Regisseurs annehme, nämlich nicht wirklich, sondern meine eigenen Sachen mache, dass das dann doch immer wieder zu großen Konfrontationen und Eklats kam. Da keimte wahrscheinlich der erste Kern einer Sache, die ich vorher nie geahnt hätte, dass ich eventuell selber Regie machen sollte."

Also geht Großkopf nach England, macht in Reading den Bachelor of Arts in Theater- und Filmwissenschaften und arbeitet im Rahmen des Studiums an Provinztheatern als Schauspielerin und Regisseurin. Um Geld zu verdienen, gibt sie nebenbei Managern Deutschunterricht. Auch als sie 1997 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin angenommen wird, muss sie immer wieder für ihre Leidenschaft kämpfen und sich mit Nebenjobs über Wasser halten. Ihr Vater hält nichts vom Filmemachen und verweigert ihr die Unterstützung, obwohl er selbst als Fernsehjournalist arbeitet.

"Ich bin da sehr filmfremd aufgewachsen erstmal, also mein Vater war auch der Meinung, dass Film keine Kunstform ist, und Fassbinder ist ganz furchtbar und das war eher so die Anti-Stimmung in dieser Hinsicht, und was nicht hohe Literatur war, war keine Kunst."

Es kommt zum Bruch mit ihrem Vater, ihre Mutter dagegen ist sehr stolz auf sie. Die Eltern leben getrennt. Birgit Großkopf hat sich gegen alle Widerstände und ständigen Geldsorgen durchgesetzt.

"Irgendwann wird’s zumindest zu 'ner Art Berufung, weil man hat sich einfach entschieden, und das muss man dann einfach weitermachen, weil man auch einfach Geschichten erzählen will, weil das so ein Drang ist."

Trotz dieser Leidenschaft genießt sie es, sich hin und wieder aus der Filmwelt auszuklinken und nach England zu reisen, um mit ihren alten Studienfreunden wandern zu gehen. Auch Yoga habe sie als Ausgleich zum Filmstress angefangen. Denn gerade im letzten Jahr war die 35-Jährige ständig unterwegs und ist vor lauter Festivals kaum zum Schreiben gekommen.

"Ich will mich auf keinen Fall jetzt in so einen Stil oder in so eine Schublade zwingen lassen, die das dann gewissen Leuten so einfach macht, ah ja, das ist die für die Getto-Filme. Einer meiner nächsten Stoffe, an dem ich gerade sitze, spielt im modernen deutschen Adelsmilieu, das auch sehr speziell ist."

Großkopf ist fasziniert davon, wie die soziale Umgebung die Menschen formt. Der zweite Film gilt zwar gemeinhin als der Schwerste, doch die ehrgeizige Nachwuchsregisseurin spornt das nur an.

"Das Schlimmste ist aber glaube ich der Anspruch an einen selber, gerade wenn man so einen Grunderfolg hatte, dann will man am liebsten beim nächsten Mal die nächste Soderbergh werden."