Mehr als Kot in Dosen
Piero Manzoni ist vermutlich vor allem für die "Merda d'artista" bekannt, seine "Künstlerscheiße". Der Wegbereiter der Konzeptkunst lässt sich aber nicht auf dieses Werk reduzieren. Der Katalog zur Retrospektive im Frankfurter Städelmuseum verschafft einen umfassenden Eindruck seines Schaffens.
Unabhängig davon, ob in diesen Dosen tatsächlich auch drin ist, was draufsteht – die Idee, das Konzept spricht für sich und lässt das Unsichtbare offensichtlich werden: Kunst als Scheiße in Dosen, aufgewogen mit Gold.
Für Herausgeber Martin Engler ist die Merda d'artista zwar das bekannteste Werk des 1963 im Alter von nur 29 Jahren verstorbenen Piero Manzoni. Seine Bedeutung für die Gegenwartskunst lässt sich aber kaum auf diesen einen Streich reduzieren. Der soeben erschienene Katalog, der die erste Retrospektive zu Manzonis Werk in Deutschland im Frankfurter Städel begleitet, verschafft endlich auch dem deutschen Publikum einen umfassenden Eindruck von dessen Gesamtwerk, das keineswegs auf infantile Rebellenposen setzte.
Früh vereinen sich in Manzonis Entwicklung das Erbe von Dadaismus und Surrealismus. In seinem Manifest "Für eine organische Malerei" von 1957 arbeitet er erstmals die für ihn charakteristische Verbindung von Malerei, Alltagsdingen und Körperlichkeit heraus. Yves Klein oder Lucio Fontana strebten zwar in dieselbe Richtung – Manzonis demonstrativer Verzicht auf alle Beschwörungen des Erhabenen und Mystischen in der Kunst unterscheidet sie aber von diesen und befreit seine Arbeiten vom metaphysischen Jargon der späten fünfziger Jahre. Seine "Weiße Malerei", die Achromes, die seit 1957 entstehen und die Manzoni bis zu seinem Tod fortführt, bilden mit ihrem Rückgriff auf den "Nullpunkt der Malerei", den Kasimir Malewitsch dereinst mit seiner Weiß-auf-Weiß-Malerei markieren wollte, gleichsam den Nährboden aller folgenden Werkgruppen.
Diese "unfarbigen" Gemälde zeigen zunächst das weiße Farbmaterial in verschiedenen Strukturen und kunstvoll arrangierten Faltungen, später unter Hinzufügung von Alltagsmaterialien wie Styropor, Tierfellen und schließlich Nahrungsmitteln wie in Acrylharz eingelegten Eiern. Zugleich beginnt Manzoni, lange Linien auf Papierstreifen zu ziehen, diese zusammenzurollen und in länglichen, beschrifteten Dosen zu verschließen, die er als Objekte in Ausstellungen präsentiert.
Es folgen weiße Ballons, in denen er seinen "Künstleratem" einfängt und die direkte Verbindung zwischen konzeptuellem Kunstobjekt und biologischer Körperfunktion herstellt; alsdann das Signieren der Körper von Aktmodellen als "Living Sculptures". Aus der Perspektive dieser Entwicklung nimmt sich die eingedoste Künstlerscheiße von 1961 zwar als radikale Setzung aus – ihr Zweck ist aber weniger die rebellische Pose, als die Fortschreibung seines Generalthemas, der Vereinigung von Kunstobjekt und menschlichem Körper.
Der von Martin Engler und weiteren Autoren umfassend essayistisch begleitete Katalog erzählt die enge Verzahnung von Manzonis Werk mit der klassischen Moderne lehrreich, aber in allgemeinverständlicher, bisweilen anekdotisch gefärbter Sprache nach. Das Bildmaterial schöpft aus einem reichen Fundus historischer Aufnahmen, an denen sich Manzonis künstlerisches Kalkül ablesen lässt. Seine Aktualität, gerade für jüngere Künstlergenerationen, lässt sich in diesem Band freilich kaum angemessen nachvollziehen. Es ist schade, dass der Katalog sich mit der Aufzählung einer Handvoll von ihm beeinflusster Künstler begnügt und darauf verzichtet, den gelungenen systematischen Ansatz dieses Bandes für die Gegenwart fortzuschreiben.
Besprochen von Carsten Probst
Für Herausgeber Martin Engler ist die Merda d'artista zwar das bekannteste Werk des 1963 im Alter von nur 29 Jahren verstorbenen Piero Manzoni. Seine Bedeutung für die Gegenwartskunst lässt sich aber kaum auf diesen einen Streich reduzieren. Der soeben erschienene Katalog, der die erste Retrospektive zu Manzonis Werk in Deutschland im Frankfurter Städel begleitet, verschafft endlich auch dem deutschen Publikum einen umfassenden Eindruck von dessen Gesamtwerk, das keineswegs auf infantile Rebellenposen setzte.
Früh vereinen sich in Manzonis Entwicklung das Erbe von Dadaismus und Surrealismus. In seinem Manifest "Für eine organische Malerei" von 1957 arbeitet er erstmals die für ihn charakteristische Verbindung von Malerei, Alltagsdingen und Körperlichkeit heraus. Yves Klein oder Lucio Fontana strebten zwar in dieselbe Richtung – Manzonis demonstrativer Verzicht auf alle Beschwörungen des Erhabenen und Mystischen in der Kunst unterscheidet sie aber von diesen und befreit seine Arbeiten vom metaphysischen Jargon der späten fünfziger Jahre. Seine "Weiße Malerei", die Achromes, die seit 1957 entstehen und die Manzoni bis zu seinem Tod fortführt, bilden mit ihrem Rückgriff auf den "Nullpunkt der Malerei", den Kasimir Malewitsch dereinst mit seiner Weiß-auf-Weiß-Malerei markieren wollte, gleichsam den Nährboden aller folgenden Werkgruppen.
Diese "unfarbigen" Gemälde zeigen zunächst das weiße Farbmaterial in verschiedenen Strukturen und kunstvoll arrangierten Faltungen, später unter Hinzufügung von Alltagsmaterialien wie Styropor, Tierfellen und schließlich Nahrungsmitteln wie in Acrylharz eingelegten Eiern. Zugleich beginnt Manzoni, lange Linien auf Papierstreifen zu ziehen, diese zusammenzurollen und in länglichen, beschrifteten Dosen zu verschließen, die er als Objekte in Ausstellungen präsentiert.
Es folgen weiße Ballons, in denen er seinen "Künstleratem" einfängt und die direkte Verbindung zwischen konzeptuellem Kunstobjekt und biologischer Körperfunktion herstellt; alsdann das Signieren der Körper von Aktmodellen als "Living Sculptures". Aus der Perspektive dieser Entwicklung nimmt sich die eingedoste Künstlerscheiße von 1961 zwar als radikale Setzung aus – ihr Zweck ist aber weniger die rebellische Pose, als die Fortschreibung seines Generalthemas, der Vereinigung von Kunstobjekt und menschlichem Körper.
Der von Martin Engler und weiteren Autoren umfassend essayistisch begleitete Katalog erzählt die enge Verzahnung von Manzonis Werk mit der klassischen Moderne lehrreich, aber in allgemeinverständlicher, bisweilen anekdotisch gefärbter Sprache nach. Das Bildmaterial schöpft aus einem reichen Fundus historischer Aufnahmen, an denen sich Manzonis künstlerisches Kalkül ablesen lässt. Seine Aktualität, gerade für jüngere Künstlergenerationen, lässt sich in diesem Band freilich kaum angemessen nachvollziehen. Es ist schade, dass der Katalog sich mit der Aufzählung einer Handvoll von ihm beeinflusster Künstler begnügt und darauf verzichtet, den gelungenen systematischen Ansatz dieses Bandes für die Gegenwart fortzuschreiben.
Besprochen von Carsten Probst
Piero Manzoni: Als Körper Kunst wurden
Kerber-Verlag, Bielefeld 2013
268 Seiten, 39,80 Euro
Kerber-Verlag, Bielefeld 2013
268 Seiten, 39,80 Euro