Mehr als Kraut, Rüben und Grillwürste

Zu Gast: Peter Peter |
Sommerzeit ist Grillzeit - zur Fußball-EM allemal. Da wird gebrutzelt, was das Zeug hält, und der Deutsche outet sich einmal mehr als Würstchenfan. Doch halten die Würste längst nicht mehr, was die Werbung verspricht: "Die Wurst war einmal ein Luxusprodukt", sagt der Restaurantkritiker Peter Peter.
"Als es noch keine maschinelle Herstellung gab, wurden die Zutaten mühsam durch den Wolf gedreht und in die Häute gepresst. Heute ist die Wurst leider ein Beispiel, wie Produkte durch die Massenproduktion schlechter werden."

Wurst, Schinken, Speck und Rauchfleisch seien längst in der Sinnkrise, konstatiert der Autor in seinem neuen Buch "Kulturgeschichte der deutschen Küche" (Verlag C.H. Beck). Industriell erzeugtes Fleisch, Konservierungsmittel, unbekömmlich kurze Reifung, aufgespritztes Raucharoma – ein unrühmliches Urteil für den Wurstweltmeister Deutschland. Immerhin wurden hierzulande über 1500 Wurstsorten entwickelt.

Peter Peter bietet in seinem Buch eine appetitanregende und unterhaltsame Reise durch die Jahrhunderte: Von den Fleischschwelgereien und Trinkgelagen der Germanen über die glanzvolle Kochkunst im späten Mittealter, von denen sogar der französische Philosoph und Politiker Michel de Montaigne schwärmte. Er erzählt vom Niedergang der bürgerlichen Küche, den Kriegsjahren mit Eintopf-Sonntag und Ersatzprodukten bis hin zur Wiederentdeckung der deutschen Küche in den letzten Jahren, jeweils begleitet von historischen Abbildungen und Rezepten.

"Die deutsche Küche ist eine widersprüchliche, kulinarisch gebrochene Küche", sagt der leidenschaftliche Koch. Deutschland sei aber auch eine der spannendsten kulinarischen Nationen – welches Land verfüge schon über eine solch große regionale Vielfalt?

Peter Peter muss es wissen: Er ist Mitglied der Slow Food-Bewegung und der Akademie für Kulinaristik. Der Italienkenner hat zudem eine Kulturgeschichte der italienischen Küche geschrieben und lehrt an der Univesità di Scienze Gastronomiche in Pollenzo. Eine gute Küche hat für ihn nichts mit Luxus zu tun.

Sie sei "… eine saisonale, regionale, letzten Endes eine Marktküche. Derzeit also Spargel oder Mairübchen, die relativ schlicht zubereitet werden, so dass der Eigengeschmack erhalten bleibt." Es müsse eben nicht die derzeit angesagte Jacobsmuschel sein, sondern durchaus auch ein Kartoffelgratin mit Teltower Rübchen, ein ordentliches Sauergänsefleisch mit Bratkartoffeln, selbst gemachte Maultaschen oder ein sorgfältig geräucherter Holsteiner Katenschinken.

Sein Motto: "Je einfacher, je schlichter, je traditioneller."

Sorgen bereitet Peter Peter das mangelnde Bewusstsein der Deutschen für gutes Essen: Davon zeugten die Zunahme an Fertig- und Fastfood-Produkten, der Asia-, Döner- und anderer Imbissbuden und der Boom der Billig-Supermärkte:

"80 Prozent der Lebensmittel werden in Supermärkten gekauft, und das ist schade, denn es ist auch eine Frage des Bewusstseins, des Heimatgefühls, der Identität. Viele Menschen nehmen das Regionale gar nicht mehr wahr, dabei macht es so viel Spaß, mit dem Bauern auf dem Markt zu reden. Und: Geschmack gibt es nicht zum Nulltarif!"

"Mehr als Kraut, Rüben und Grillwürste" – Über die Geschichte und die Zukunft der deutschen Küche diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit dem Restaurantkritiker Peter Peter. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturhinweis:
Peter Peter: Kulturgeschichte der deutschen Küche. Verlag C.H. Beck 2008

Informationen über Peter Peter im Internet:
www.pietropietro.de