Mehr als Mord und Totschlag

Der Tatort, nachdem die Spurensicherung schon da war
Der Tatort, nachdem die Spurensicherung schon da war © Stock.XCHNG / Nate Nolting
Von Ingo Kottkamp · 03.06.2005
Seit fast 35 Jahren erzielt der Tatort in der ARD Sonntag für Sonntag hohe Einschaltquoten. Mit brisanten Themen und teils kauzigen Figuren ist der Tatort zur lieben Gewohnheit und zum Kult geworden. Am Sonntag läuft nun die 600. Sendung der ARD-Reihe.
Schon darin ist der Tatort einzigartig: sein Trailer hat sich in 600 Folgen und 35 Jahren nicht verändert. Die unsichtbare Mordwaffe, die auf das Auge eines Unbekannten, aber auch mitten in den Blick des Fernsehzuschauers zielt, hat ihre Spannung nicht verloren. Mitten hinein ins Geschehen, lebensechte Settings statt hölzerner TV-Kulissen - das war von Anfang an das Ziel der 1970 vom NDR begonnenen Krimireihe. War sie damit näher am Puls der Zeit als andere Programme im deutschen Fernsehen? Und der Tatort ein Spiegel seiner gesellschaftlichen und politischen Gegenwart?

Schimanski: "Das ist nun wirklich ’n trauriger Fall. Echt scheiße. Tschuldigung."
Tatort: "Ach, ist’s möglich, dass ein Mensch hier her kommt."

Schon die erste Folge, Taxi nach Leipzig vom 29. November 1970, erzählte eine deutsch- deutsche Liebes- und Spionagegeschichte und passte damit zur Ära Willy Brandt und ihren damals ausgehandelten Ostverträgen. In den bisher 599 Sendungen wurde kaum ein schlagzeilenträchtiges Thema ausgelassen: Neonazis, Sektenführer und Asylanten gelangten ebenso ins Fadenkreuz des Tatorts wie Menschenhändler, Drogenbarone und Terroristen. Der Tatort Manila mit den Kommissaren Ballauf und Schenk, in dem es um den sexuellen Missbrauch an einem philippinischen Jungen geht, wurde vom Entwicklungshilfeministerium als Aufklärungsfilm auf einer CD-Rom eingesetzt. Und noch in diesem Jahr sah sich der Menschenrechtsausschuss des deutschen Bundestages eine Folge über Landminen an, bevor sie im Fernsehen gezeigt wurde. Aber natürlich gab es nicht nur politische Stoffe.

Tatort: "Die Lage, in der wir den Mann gefunden haben, war mehr als eindeutig. Und das hier, das haben wir im Bad gefunden. Der alte Herr wollte sich wohl noch was Gutes tun letzte Nacht und na ja ... Pumpe überfordert. "

Vielleicht noch wichtiger als die brisanten Themen ist der Ton, den der Tatort in die deutsche Fernsehlandschaft einführte. Namhafte Regisseure wie Wolfgang Petersen, Dominik Graf und Wolfgang Becker inszenierten für die Krimireihe und spielten mit den Regeln des Genres. Die Grenze zwischen Gut und Böse verschwamm, Gewalt wurde ungeschminkt gezeigt, und mancher Fall war auch nach 90 Minuten nicht ausgestanden, obwohl der Mörder gefunden war. Wie im legendären Vorspann war oft eher die Atmosphäre eines Films Spiegel der aktuellen Befindlichkeit als sein tageaktueller Stoff. Und natürlich sorgte auch die Einführung von Schimanskis knalligem Ruhrpottszenerien in den zunächst pikierten Fernsehalltag dafür, dass der Tatort im Gespräch blieb.

Schimanski: "Ach du Scheiße. Ich seh schon das Bild in der Zeitung von diesem Arsch. Schimanski vor ’ner Leiche. "

In seinen fast 35 Fernsehjahren hat der Tatort aber nicht nur Unruhe gestiftet, sondern auch liebe Gewohnheiten. Sein Erfolg beruht zu einem guten Teil auf kauzigen Details wie dem schwäbischen Eigensinn von Kommissar Bienzle, den Gesangseinlagen von Stoever und Brockmöller alias Manfred Krug und Charles Brauer oder dem Dackel von Gustl Bayrhammer als Kommisar Veigl. Und so ist der Tatort kurz vor seiner 600. Folge vor allem eines der ältesten deutschen Fernsehrituale: der Mord vor dem Wort zum Sonntag.
Tatort Fernsehen
Tatort Fernsehen© dradio.de
Manfred Krug auf der Buchmesse in Frankfurt, 8.10.2003
Manfred Krug© AP