Mehr als nackt und provokant
Die Proteste von Femen sind immer medienwirksame Auftritte. Sie platzen in Präsidentenbesuche oder Fernsehshows und wollen so Aufmerksamkeit auf Frauen diskriminierende Zustände lenken. Viele der Aktivistinnen werden im Nachhinein bedroht.
Femen-Fitness unter dem Dach eines Pariser Szene-Theaters. 20 Frauen traben im Laufschritt. Alle hören auf Inna Schewtschenko: "Liegestütze! Erst mal zehn, hundert insgesamt! Sit-Ups!"
Billiger geht’s nimmer, schimpfen die Kritiker der Femen. Inna Schewtschenko, die 17 war, als sie mit drei Freundinnen in Kiew die Protestorganisation gründete, setzt ihren kalten Katzenblick auf:
"In der Ukraine sind die Mädchen arm, ungebildet und sehr schön. Zuhälter und Menschenhändler sehen in ihnen nichts als gewinnbringende Arbeitskräfte. Anfangs wäre es uns nie in den Sinn gekommen, oben ohne zu protestieren, drei Jahre wurden wir ignoriert. Wir kapierten, dass man Frauen nicht zuhört, sondern höchstens anschaut. Also bitte! Am nächsten Tag kannte die ganze Welt die ukrainischen Feministinnen."
Inzwischen gibt es sie in mehr als zehn Ländern. Aus der Ukraine haben sie sich vorübergehend zurückgezogen, doch in Frankreich, im Westen, erlebt die blonde Schönheit mit den grünen Augen ebenfalls keinen Tag ohne Anmache. Ihre Schlussfolgerung: Frauen sind nirgendwo frei, werden von drei Feinden bedroht: Diktaturen, der Religion und der Sexindustrie. Eine Frauen-Revolution müsste her.
Die studierte Journalistin bekam politisches Asyl, ihr drohte in Kiew ein Verfahren wegen Beleidigung religiöser Gefühle und Sachbeschädigung. Aus Solidarität mit den russischen Pussy Riots hatte sie ein Kreuz mitten im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt abgesägt.
"Das Kreuz war sehr groß, 8 Meter hoch und ziemlich breit. Wo die Religion beginnt, enden der Feminismus und die Freiheit der Frauen. Jede Religion spricht der Frau ihre Rechte ab. Ich träume von dem Moment, in dem sich die Religion und der Glaube beschränken auf die Wohnzimmer beziehungsweise Kirchen, wo die Gläubigen beten."
Die Femen werben niemanden an, doch wer kommt, wird geprüft, allerdings nicht auf Attraktivität, wie man ihnen vorwirft.
"Ja, bei uns gibt es ein Casting. Uns interessiert, ob die, die kommen, es moralisch und körperlich verkraften, zum Beispiel einen Präsidenten zu attackieren. Diesen enormen Stress auszuhalten ist allerdings nun wirklich keine Frage der Haarfarbe oder Schönheit, der Körbchengröße oder des Gewichts."
Und dennoch würde sich jede Zweite wieder zurückziehen, weil sie der Körpereinsatz, wenn es ernst wird, ängstigt. Eine der wichtigsten und deshalb längsten Übungseinheiten ist diese: Aufstellung in Doppelreihe einander gegenüber, weniger als eine Armlänge entfernt. Und jetzt Brüllen, volle Lautstärke, schon das Zuschauen kostet Nerven.
Jetzt nimmt jede ihre Gegenüber Huckepack, macht 20 breitbeinige Kniebeugen.
Mit einem Plakat über dem Kopf treten sie einzeln vor die Gruppe.
"Porn is not real life", hat Georgina, die italienische Politikstudentin, auf ein schwarzes Tuch gepinselt. Textilplakate haben sich als extrem praktisch erwiesen, denn Pappschilder fallen zu früh auf, nur Oben-ohne ist manchmal zu wenig. Den Stoff ziehen sie Sekunden vor einer Aktion aus dem Hosenbund, die Überraschung gelingt fast immer. Auch in Mailand, wo sie bei der italienischen Parlamentswahl gegen Berlusconi zu Felde zogen.
Der Theaterbesitzer, der die 40 französischen Femen bei sich trainieren lässt, freut sich über die Rückkehr des Feminismus, der sich früher allerdings weit weniger weiblich und aggressiv Gehör verschafft hat.
"Femen is the ideology of sextremism", "No sharia" steht an den Wänden. Dazu Zeichnungen von barbusigen Frauen. Eindeutig Porträts der Anwesenden, die hier schwitzen. Eine Mittdreißigerin, von den Schulterblättern bis zu den Handrücken tätowiert, kurzer Bürstenhaarschnitt, harte Züge. Ganz anders die sanfte Sarah mit den pinkfarbenen Lippen im runden Schneewittchengesicht. Ihr hat die Zeichnerin ein Schild in die Hände gemalt, auf dem steht: "Not A Sex Toy".
"Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir in einer Woche zwei Präsidenten attackiert haben, den russischen, Putin, und den tunesischen, Massouki. Wir beunruhigen sie und machen ihnen Angst, denke ich, oder hoffe ich."
Es ist vor allem der Kontrast - blanker Busen vor Präsidenten, Premierministern, Promis - der selbst im Sex-aufgeladenen Westen funktioniert. Bis die Bodyguards ihre Jackets ausgezogen und über die Frauen geworfen haben, vergehen wertvolle Sekunden. Femen-Vorteil. Doch sobald die Kameras nicht mehr klicken, werden die Femen häufig brutal verprügelt.
Aktion folgt auf Aktion, mit immer neuen, vor allem anderen Themen. So bleiben sie zwar in aller Munde, doch die Revolution findet noch nicht einmal virtuell statt. Kritik hagelte es von Gegnern wie Verbündeten. Drei Femen mussten nach Protesten in Tunis ins Gefängnis, vor Kurzem wurde in ihrem Trainingssaal ein Brandsatz gezündet.
"Als Femen-Aktivistin schwebst du ständig in Gefahr. Ich werde jeden Morgen von irgendwelchen Hass-SMS geweckt. Stirb oder schmor in der Hölle, solche Sachen. Und damit ich wenigsten etwas Nettes höre, sage ich dann zu mir selbst: Guten Morgen, Inna."
Billiger geht’s nimmer, schimpfen die Kritiker der Femen. Inna Schewtschenko, die 17 war, als sie mit drei Freundinnen in Kiew die Protestorganisation gründete, setzt ihren kalten Katzenblick auf:
"In der Ukraine sind die Mädchen arm, ungebildet und sehr schön. Zuhälter und Menschenhändler sehen in ihnen nichts als gewinnbringende Arbeitskräfte. Anfangs wäre es uns nie in den Sinn gekommen, oben ohne zu protestieren, drei Jahre wurden wir ignoriert. Wir kapierten, dass man Frauen nicht zuhört, sondern höchstens anschaut. Also bitte! Am nächsten Tag kannte die ganze Welt die ukrainischen Feministinnen."
Inzwischen gibt es sie in mehr als zehn Ländern. Aus der Ukraine haben sie sich vorübergehend zurückgezogen, doch in Frankreich, im Westen, erlebt die blonde Schönheit mit den grünen Augen ebenfalls keinen Tag ohne Anmache. Ihre Schlussfolgerung: Frauen sind nirgendwo frei, werden von drei Feinden bedroht: Diktaturen, der Religion und der Sexindustrie. Eine Frauen-Revolution müsste her.
Die studierte Journalistin bekam politisches Asyl, ihr drohte in Kiew ein Verfahren wegen Beleidigung religiöser Gefühle und Sachbeschädigung. Aus Solidarität mit den russischen Pussy Riots hatte sie ein Kreuz mitten im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt abgesägt.
"Das Kreuz war sehr groß, 8 Meter hoch und ziemlich breit. Wo die Religion beginnt, enden der Feminismus und die Freiheit der Frauen. Jede Religion spricht der Frau ihre Rechte ab. Ich träume von dem Moment, in dem sich die Religion und der Glaube beschränken auf die Wohnzimmer beziehungsweise Kirchen, wo die Gläubigen beten."
Die Femen werben niemanden an, doch wer kommt, wird geprüft, allerdings nicht auf Attraktivität, wie man ihnen vorwirft.
"Ja, bei uns gibt es ein Casting. Uns interessiert, ob die, die kommen, es moralisch und körperlich verkraften, zum Beispiel einen Präsidenten zu attackieren. Diesen enormen Stress auszuhalten ist allerdings nun wirklich keine Frage der Haarfarbe oder Schönheit, der Körbchengröße oder des Gewichts."
Und dennoch würde sich jede Zweite wieder zurückziehen, weil sie der Körpereinsatz, wenn es ernst wird, ängstigt. Eine der wichtigsten und deshalb längsten Übungseinheiten ist diese: Aufstellung in Doppelreihe einander gegenüber, weniger als eine Armlänge entfernt. Und jetzt Brüllen, volle Lautstärke, schon das Zuschauen kostet Nerven.
Jetzt nimmt jede ihre Gegenüber Huckepack, macht 20 breitbeinige Kniebeugen.
Mit einem Plakat über dem Kopf treten sie einzeln vor die Gruppe.
"Porn is not real life", hat Georgina, die italienische Politikstudentin, auf ein schwarzes Tuch gepinselt. Textilplakate haben sich als extrem praktisch erwiesen, denn Pappschilder fallen zu früh auf, nur Oben-ohne ist manchmal zu wenig. Den Stoff ziehen sie Sekunden vor einer Aktion aus dem Hosenbund, die Überraschung gelingt fast immer. Auch in Mailand, wo sie bei der italienischen Parlamentswahl gegen Berlusconi zu Felde zogen.
Der Theaterbesitzer, der die 40 französischen Femen bei sich trainieren lässt, freut sich über die Rückkehr des Feminismus, der sich früher allerdings weit weniger weiblich und aggressiv Gehör verschafft hat.
"Femen is the ideology of sextremism", "No sharia" steht an den Wänden. Dazu Zeichnungen von barbusigen Frauen. Eindeutig Porträts der Anwesenden, die hier schwitzen. Eine Mittdreißigerin, von den Schulterblättern bis zu den Handrücken tätowiert, kurzer Bürstenhaarschnitt, harte Züge. Ganz anders die sanfte Sarah mit den pinkfarbenen Lippen im runden Schneewittchengesicht. Ihr hat die Zeichnerin ein Schild in die Hände gemalt, auf dem steht: "Not A Sex Toy".
"Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir in einer Woche zwei Präsidenten attackiert haben, den russischen, Putin, und den tunesischen, Massouki. Wir beunruhigen sie und machen ihnen Angst, denke ich, oder hoffe ich."
Es ist vor allem der Kontrast - blanker Busen vor Präsidenten, Premierministern, Promis - der selbst im Sex-aufgeladenen Westen funktioniert. Bis die Bodyguards ihre Jackets ausgezogen und über die Frauen geworfen haben, vergehen wertvolle Sekunden. Femen-Vorteil. Doch sobald die Kameras nicht mehr klicken, werden die Femen häufig brutal verprügelt.
Aktion folgt auf Aktion, mit immer neuen, vor allem anderen Themen. So bleiben sie zwar in aller Munde, doch die Revolution findet noch nicht einmal virtuell statt. Kritik hagelte es von Gegnern wie Verbündeten. Drei Femen mussten nach Protesten in Tunis ins Gefängnis, vor Kurzem wurde in ihrem Trainingssaal ein Brandsatz gezündet.
"Als Femen-Aktivistin schwebst du ständig in Gefahr. Ich werde jeden Morgen von irgendwelchen Hass-SMS geweckt. Stirb oder schmor in der Hölle, solche Sachen. Und damit ich wenigsten etwas Nettes höre, sage ich dann zu mir selbst: Guten Morgen, Inna."