Mehr als nur Holocaust-Filme
Bereits zum 15. Mal findet in Berlin und Potsdam das "Jewish Film Festival" statt. Gezeigt werden 23 Filme aus Israel, Frankreich, Belgien, den USA, Norwegen, Kasachstan und Deutschland. Zum Jubiläum kann das Festival allein mit 13 Deutschlandpremieren aufwarten. Gezeigt werden dabei nicht nur Filme mit der Thematik "Shoa", sondern auch witzige, ironische, aber auch nachdenkliche Einblicke in das heutige Leben in Israel oder zur jüdischen Identität.
Szene aus "Spielzeugland":
"Warum war Frau Silberstein vorhin so traurig?"
"Weil die Silbersteins vielleicht bald verreisen müssen."
"Verreisen, wohin denn?"
"Ins Spielzeugland."
"Ins Spielzeugland? Da will ich auch hin."
"Das geht nicht, Junge!"
"Ich will aber mit ins Spielzeugland!"
Der kleine Heinrich möchte mit seinem besten Freund David Silberstein ins "Spielzeugland" wie ihm seine Mutter erklärt. Aber David wird mit seiner Familie eines Morgens zur Deportation in ein Konzentrationslager abgeholt. Regisseur Jochen Alexander Freydank erzählt souverän in nur 14 Minuten von der Notlüge einer Mutter. Es ist auch das ungläubige Staunen in Kinderaugen, das den Kurzfilm "Spielzeugland" so sehenswert macht.
Noch konsequenter aus der Sicht eines Jungen erzählte der Eröffnungsfilm des 15. Jewish Filmfestivals "Der Junge im gestreiften Pyjama" von der Shoah. Der neunjährige Bruno verlässt nur ungern Berlin und zieht an einen unwirtlichen Ort, wo er keine Spielkameraden findet. Dort sieht er aus seinem Fenster auf eine "Farm" und viele Menschen in "gestreiften Pyjamas". Bei einem Erkundungsspaziergang trifft er dann auf einen gleichaltrigen Jungen, der hinter Stacheldraht sitzt. Den Namen des Jungen Shmuel findet Bruno komisch und doch werden beide Freunde.
Die Romanvorlage des jungen irischen Autors John Boyne erzählt bewusst aus einer ganz naiven Perspektive. Der Autor weiß, dass er damit auch irritiert:
"Manchmal sagen einige aber, diese Geschichte hätte sich so nie zutragen können, die beiden Jungs hätten sich doch niemals treffen können. Diese Kritik führt bei mir immer dazu, dass ich mir sage: Na und? Das behaupte ich ja auch nicht, das ist auch nicht der Punkt. Man kann diese Geschichte nicht nur mit seinem Intellekt analysieren und nach Fehlern absuchen. Man sollte da mit dem Herzen lesen, sich emotional auf die Geschichte einlassen. Und würden bei den Figuren Ungereimtheiten auftreten oder das Buch schlecht geschrieben sein, dann wäre die Kritik in Ordnung, aber ob sich diese oder jene Geschichte hätte zutragen können, ist nebensächlich für mich ... "
Wo das Buch konsequent bleibt, auf Schornsteine und Gaskammern verzichtet und die Bedrohung der Judenvernichtung immer nur angedeutet wird, legt der Film in teilweise zu expliziten Bildern nach. Das macht ihn damit vor allem durch ein völlig überzogen-dramatisches Ende zwiespältiger als die Romanvorlage. Regisseur Mark Hermann, der bisher mit Komödien wie "Brassed Off" -Erfolge feierte, verteidigt jedoch seine Entscheidung mit schlüssigen Argumenten.
"Ich wollte unbedingt mit diesem Hollywood-Stilmittel der Verfolgung arbeiten, wenn Bruno am Ende verschwindet. Das stellte ich dann einem schockierenden Nicht-Hollywood-Ende gegenüber. Das wichtigste ist jedoch, dass der Zuschauer nie vergisst, dass es hier nicht nur um Bruno und Shmuel geht, sondern um die vielen Millionen."
Deutschland ist übrigens das letzte große Land, wo "Der Junge mit den gestreiften Pyjamas" in die Kinos kommt. Erfolgreich lief der Film bisher vor allem in Spanien, Großbritannien und den USA.
Ein anderes, unbekanntes Kapitel öffnet die französische Regisseurin Karin Albou in "The Wedding Song". Der spielt 1942 in Tunesien, als die deutschen Besatzer ihre Rassenpolitik auch in dem nordafrikanischen Land umsetzen. Und so wird die Freundschaft zweier junger Frauen, einer Muslimin und einer Jüdin, auf die Probe gestellt. Der ebenso behutsame wie sinnliche Film erzählt nicht nur eine politische Geschichte, sondern auch von der Rolle junger Frauen aus unterschiedlichen Kulturen, von aufkeimender Sexualität und Sinnlichkeit. Es ist DIE filmische Entdeckung des Festivals, das mit seinen über 20 Filmen bei weitem nicht nur die "Shoah" thematisiert, sondern immer wieder jüdische Identität in aller Vielfalt hinterfragt.
Amüsant ist beispielsweise "Hello Goodbye", in dem ein von Gérard Depardieu dargestellter assimilierter Jude plötzlich zu seiner Identität steht. Der Mutter wirft er auf einer Familienfeier vor, sich dafür zu genieren, Jüdin zu sein.
"Hello Goodbye" ist eine von vielen, sehenswerten Deutschlandpremieren und könnte auch ein größeres Publikum ansprechen.
Wie komisch auch Dokumentarfilme sein können, beweist der israelische Beitrag "The Beetle", also "Der Käfer". Dort scheint der Regisseur und werdende Vater nichts Besseres zu tun zu haben, als seinen schrottreifen VW nach Jordanien zu fahren, um ihn dort billig reparieren zu lassen.
Ganz nebenbei erzählt Regisseur Yishai Orian in "The Beetle" dann von der Rolle und der Bedeutung eines deutschen Autos in Israel, das von Hitler propagiert wurde. Der über 40 Jahre alte Käfer wird symbolhaft und liebevoll überhöht zu einem Sinnbild für Probleme Israels mit sich selbst und seinen arabischen Nachbarn. Zumindest auf zwischenmenschlicher Ebene ist jedoch ein leichter Hauch von Völkerverbindung spürbar.
Service:
Das 15. Jewish Film Festival in Berlin und Potsdam findet noch bis zum 14.Mai im Kino Arsenal in Berlin statt und vom 15. bis 17.Mai im Filmmuseum Potsdam.
"Warum war Frau Silberstein vorhin so traurig?"
"Weil die Silbersteins vielleicht bald verreisen müssen."
"Verreisen, wohin denn?"
"Ins Spielzeugland."
"Ins Spielzeugland? Da will ich auch hin."
"Das geht nicht, Junge!"
"Ich will aber mit ins Spielzeugland!"
Der kleine Heinrich möchte mit seinem besten Freund David Silberstein ins "Spielzeugland" wie ihm seine Mutter erklärt. Aber David wird mit seiner Familie eines Morgens zur Deportation in ein Konzentrationslager abgeholt. Regisseur Jochen Alexander Freydank erzählt souverän in nur 14 Minuten von der Notlüge einer Mutter. Es ist auch das ungläubige Staunen in Kinderaugen, das den Kurzfilm "Spielzeugland" so sehenswert macht.
Noch konsequenter aus der Sicht eines Jungen erzählte der Eröffnungsfilm des 15. Jewish Filmfestivals "Der Junge im gestreiften Pyjama" von der Shoah. Der neunjährige Bruno verlässt nur ungern Berlin und zieht an einen unwirtlichen Ort, wo er keine Spielkameraden findet. Dort sieht er aus seinem Fenster auf eine "Farm" und viele Menschen in "gestreiften Pyjamas". Bei einem Erkundungsspaziergang trifft er dann auf einen gleichaltrigen Jungen, der hinter Stacheldraht sitzt. Den Namen des Jungen Shmuel findet Bruno komisch und doch werden beide Freunde.
Die Romanvorlage des jungen irischen Autors John Boyne erzählt bewusst aus einer ganz naiven Perspektive. Der Autor weiß, dass er damit auch irritiert:
"Manchmal sagen einige aber, diese Geschichte hätte sich so nie zutragen können, die beiden Jungs hätten sich doch niemals treffen können. Diese Kritik führt bei mir immer dazu, dass ich mir sage: Na und? Das behaupte ich ja auch nicht, das ist auch nicht der Punkt. Man kann diese Geschichte nicht nur mit seinem Intellekt analysieren und nach Fehlern absuchen. Man sollte da mit dem Herzen lesen, sich emotional auf die Geschichte einlassen. Und würden bei den Figuren Ungereimtheiten auftreten oder das Buch schlecht geschrieben sein, dann wäre die Kritik in Ordnung, aber ob sich diese oder jene Geschichte hätte zutragen können, ist nebensächlich für mich ... "
Wo das Buch konsequent bleibt, auf Schornsteine und Gaskammern verzichtet und die Bedrohung der Judenvernichtung immer nur angedeutet wird, legt der Film in teilweise zu expliziten Bildern nach. Das macht ihn damit vor allem durch ein völlig überzogen-dramatisches Ende zwiespältiger als die Romanvorlage. Regisseur Mark Hermann, der bisher mit Komödien wie "Brassed Off" -Erfolge feierte, verteidigt jedoch seine Entscheidung mit schlüssigen Argumenten.
"Ich wollte unbedingt mit diesem Hollywood-Stilmittel der Verfolgung arbeiten, wenn Bruno am Ende verschwindet. Das stellte ich dann einem schockierenden Nicht-Hollywood-Ende gegenüber. Das wichtigste ist jedoch, dass der Zuschauer nie vergisst, dass es hier nicht nur um Bruno und Shmuel geht, sondern um die vielen Millionen."
Deutschland ist übrigens das letzte große Land, wo "Der Junge mit den gestreiften Pyjamas" in die Kinos kommt. Erfolgreich lief der Film bisher vor allem in Spanien, Großbritannien und den USA.
Ein anderes, unbekanntes Kapitel öffnet die französische Regisseurin Karin Albou in "The Wedding Song". Der spielt 1942 in Tunesien, als die deutschen Besatzer ihre Rassenpolitik auch in dem nordafrikanischen Land umsetzen. Und so wird die Freundschaft zweier junger Frauen, einer Muslimin und einer Jüdin, auf die Probe gestellt. Der ebenso behutsame wie sinnliche Film erzählt nicht nur eine politische Geschichte, sondern auch von der Rolle junger Frauen aus unterschiedlichen Kulturen, von aufkeimender Sexualität und Sinnlichkeit. Es ist DIE filmische Entdeckung des Festivals, das mit seinen über 20 Filmen bei weitem nicht nur die "Shoah" thematisiert, sondern immer wieder jüdische Identität in aller Vielfalt hinterfragt.
Amüsant ist beispielsweise "Hello Goodbye", in dem ein von Gérard Depardieu dargestellter assimilierter Jude plötzlich zu seiner Identität steht. Der Mutter wirft er auf einer Familienfeier vor, sich dafür zu genieren, Jüdin zu sein.
"Hello Goodbye" ist eine von vielen, sehenswerten Deutschlandpremieren und könnte auch ein größeres Publikum ansprechen.
Wie komisch auch Dokumentarfilme sein können, beweist der israelische Beitrag "The Beetle", also "Der Käfer". Dort scheint der Regisseur und werdende Vater nichts Besseres zu tun zu haben, als seinen schrottreifen VW nach Jordanien zu fahren, um ihn dort billig reparieren zu lassen.
Ganz nebenbei erzählt Regisseur Yishai Orian in "The Beetle" dann von der Rolle und der Bedeutung eines deutschen Autos in Israel, das von Hitler propagiert wurde. Der über 40 Jahre alte Käfer wird symbolhaft und liebevoll überhöht zu einem Sinnbild für Probleme Israels mit sich selbst und seinen arabischen Nachbarn. Zumindest auf zwischenmenschlicher Ebene ist jedoch ein leichter Hauch von Völkerverbindung spürbar.
Service:
Das 15. Jewish Film Festival in Berlin und Potsdam findet noch bis zum 14.Mai im Kino Arsenal in Berlin statt und vom 15. bis 17.Mai im Filmmuseum Potsdam.