Mehr als nur Plattenbau

Von Adolf Stock |
Anfang der 1950er Jahre veröffentlichte Konrad Wachsmann sein Buch "Wendepunkt im Bauen", das zum Manifest für eine Industrialisierung des Bauens wurde. Wie sich Wachsmanns Ideen in der Architektur niedergeschlagen haben und wie die Zukunft des seriellen Bauens aussieht, zeigt eine Ausstellung in München.
Die Architekten haben die Zeit verschlafen, und Konrad Wachsmann will das ändern. Ende der 1950er-Jahre wird sein Buch Wendepunkt im Bauen in einer industriell geprägten Zeit zu einem glühenden Manifest. Winfried Nerdinger, Leiter des Münchner Architekturmuseums:

"In der Publikation hat Konrad Wachsmann Ideen zusammengefasst und systematisiert. Im Wesentlichen kann man das auf den Inhalt bringen, das Bauen solle nun auf die Höhe der Industrialisierung gebracht werden. Bauten sollten so in der Fabrik hergestellt werden, mit der gleichen Präzision, seriell vorfabriziert, wie man Autos, Flugzeuge oder Ozeandampfer baut."

Auch die Häuser sollen vom Fließband rollen, oder wenigstens genormte Teile, die später auf der Baustelle in kürzester Zeit montiert werden können. Architekten wie Le Corbusier, Walter Gropius oder Ernst May haben diesen Traum geträumt, doch für Kollege Konrad Wachsmann wird die Sache zur Obsession.

Winfried Nerdinger: "Wachsmann setzt ein mit den frühen Ingenieurbauten und zeigt dann sehr ausführlich den Crystal Palace in London von 1851. Ein Gebäude, über 600 Meter lang, das innerhalb von wenigen Monaten errichtet worden ist, das war nur möglich aufgrund der Vorfabrikation, der seriellen Montagebauweise."

Jetzt sind in München Modelle zu sehen, darunter eine nie gebaute Flugzeughalle von Konrad Wachsmann. Es sind Meilensteine der seriellen Produktion.

"Der erste Teil, also die Geschichte der seriellen Architektur, das läuft wie auf so einem langen Fließband da bei uns ab. Und im Zentrum, da steht das berühmte Projekt von Konrad Wachsmann, der Flugzeughangar, also das ist ja fast so eine Ikone dieses industriellen Bauens. Mit nur ganz wenigen Elementen soll da ein riesiger Flugzeughangar aufgebaut werden. Und den haben wir nun erstmals wieder nachgebaut, und da kann man nun auch dieses Bild, das sich ja fast ja für mehrere Generationen von Architekten eingeprägt hat, das kann man nun endlich mal wieder in einem Modell nachvollziehen."

Die Modelle, Videosequenzen und Fotografien künden von einer großen architektonischen Idee, deren Geschichte – weit über Wachsmann hinaus – bis in unsere Gegenwart reicht. Da werden Module übereinandergestapelt, aus Platten entstehen Häuser und Gitternetze formen Kuppeln und Dächer. Ausstellungskuratorin Mirjana Grdanjski:

"Wir fangen ja mit dem Glaspalast an, dann gehen wir über zum 'Geodesic Dome', geodätische Kuppeln und springen dann wirklich zu Wachsmann rüber, zu diesem 'General-Panel House', Jean Prouvé mit seinem 'Maison tropicale' und kommen dann zu den Einzelbausystemen wie Steidle, 'Metastadt' von Schulitz und kommen so in die Gegenwart hinein mit Renzo Piano, dem IBM-Pavillon und mit den neuen Systemen, die es noch gibt, also zum Plattenbau der DDR, wo man ein System hat, das sich letztlich bis heute bewährt hat."

Am Ende des Fließbandes steht ein Modell mit Schweizer Plattenbauten. Die Architekten Ballmoos und Krucker wollten die Monotonie der Satellitenstädte wie Halle-Neustadt vermeiden. Wahrscheinlich wäre Konrad Wachsmann mit der Züricher Wohnsiedlung Triemli zufrieden gewesen, schließlich kritisierte er den ostdeutschen Plattenbau als Verrat an seinen besten Ideen.

Dennoch: Schweizer Plattenbauten! Das klingt schon heute wie Analogkäse oder Lachsersatz. Ganz allgemein werden wir schon bald mit gönnerhafter Pose auf das serielle Bauen der letzten Jahrzehnte blicken. Im zweiten Teil der Ausstellung ist kein Fließband zu sehen. Hier wird die digitale Zukunft gezeigt, eine Zukunft, die gerade erst begonnen hat.

Winfried Nerdinger: "Durch den Einsatz des Computers ist seit etwa zehn, zwanzig Jahren ein zweiter Wendepunkt im Bauen zu verfolgen, wo dieses Problem der seriellen Herstellung nun aufgelöst ist. Denn durch den Computer kann man nun individuelle Formen in der Fabrik industriell herstellen, das ist die eigentlich umwälzende Neuerung, das ist der zweite Wendepunkt im Bauen, man kann aus der Fabrik heraus individuell etwas produzieren."

In der Ausstellung werden Beispiele gezeigt. Die digital generierte Netzschale von Norman Foster, die als Innenhofüberdachung des Britischen Museums in London dient, wäre ohne Computereinsatz gar nicht möglich gewesen. Das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart folgt einem parametrischen Modell. Ein Art Endlosschleife leitet die Besucher durch das Gebäude. Hier drängt sich die komplexe Struktur nicht in den Vordergrund. In Sevilla ist das ganz anders, die haushohe Schirmkonstruktion auf der Plaza de la Encarnación erinnert an große, wildwuchernde Pilze.

Und so ist es für manche eine Schreckensvision, dass aus gestandenen Architekten ambitionierte Designer werden, die x-beliebige Hüllen entwerfen, nur weil es technisch möglich ist.

Mirjana Grdanjski: "Diese Vorstellung, dass ich am Computer eine Maus ziehe und dann entsteht für mich ein Gebäude, das ist es letztlich nicht. Also selbst computergeneriertes Entwerfen heißt ja, dass ein Architekt dahinter steht, der dann ganz konkrete Vorstellungen von einem Gebäude hat, wie das konstruktiv funktioniert, welche formalen Aspekte es erfüllen soll, welche Funktionen es erfüllen soll, diese Kriterien gelten ja heutzutage auch für computergenerierte Architektur. Man ist freier geworden, man kann vieles machen, was sehr positiv sein kann, und man muss jetzt die positiven Seiten nutzen und nicht die negativen."

Kuratorin Mirjana Grdanjski blickt ein wenig skeptisch, und angesichts gekrümmter Wellen, rundgefräster Dächer und schräger Wände lässt sich ihre Skepsis auch ganz gut verstehen.

Service:
Die Ausstellung "Wendepunkt(e) im Bauen - Von der seriellen zur digitalen Architektur" ist vom 18.03. bis 13.06.2010 in der Pinakothek der Moderne zu sehen.