Mehr als Picassos Muse

Von Sabine Kebir |
Bekannt wurde sie vor allem als vielfach gemalte und gezeichnete Muse und Geliebte von Pablo Picasso. Erst in den vergangenen Jahren wurde der Öffentlichkeit bewusst, dass Dora Maar selbst eine bedeutende Künstlerin war und zu den ersten emanzipierten Frauen gehörte.
Vielen ist Dora Maar als Modell für unzählige Variationen der "Weinenden Frau" von Picasso bekannt. Unklar ist, ob sie seinetwegen weinte oder wegen des Bürgerkriegs in Spanien. Wie tief der Konflikt das Paar erschütterte, zeigt das berühmte Gemälde, das beide - Picasso als Stier - in erotischer Umarmung darstellt, auf nächtlicher Grashügellandschaft, hinter der das Feuer einer Schlacht leuchtet. Dora Maar wiederum war die Fotografin jener berühmten Dokumentation, die das Entstehen von Picassos "Guernica" zeigt.

"Die Frau mit den hochgereckten Armen ganz rechts bin ich. Und die Frau mit der Lampe im Profil, wenn man so will, das bin ich auch. Man sieht mich recht oft in diesen ganzen Zeichnungen zu Guernica."

Als Henrietta Theodora Markowitsch wurde sie am 22. November 1907 in Paris geboren, wuchs in Buenos Aires auf und studierte in Paris Malerei und Fotografie. Sensibel für Humor, Makabres und Soziales, fand sie hier Anschluss an die Surrealisten, deren anarchistische Ideen sie teilte. Ihre Fotomontagen hatten Erotisches oder auch Bedrohliches zum Thema - Vorahnungen des Gewaltdramas, das sich in Europa anbahnte. So stellte sie Aufnahmen des Gewölbes der Orangerie von Versailles auf den Kopf und montierte Fotos von Frauen und Kindern hinein, als würden sie vom Wind durch eine Kanalisation geweht. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie in der Werbebranche und arbeitete mit berühmten Fotografen wie Georges Brassai und Man Ray zusammen.

Anfang 1936 beobachtete Picasso im Café Deux Magots, wie Dora Maar ein Taschenmesser zwischen ihre gespreizten Finger in die Tischplatte warf. Wenn sich das Messer in ihren schwarzen Handschuhen fing, floss Blut.

Der Autor Jean-Charles Gâteau erinnerte sich:

"Er empfand eine jähe Anziehung zu der schönen jungen Fotografin ... der strahlenden Dora Maar mit ihrem Haar aus Ebenholz, grünblauen Augen und abgezirkelten Gesten. ... hinter ihrer hochmütigen Attitüde verbarg sich eine verhaltene Impulsivität, ein feuriges Temperament, möglicher Jähzorn und auf den Durchbruch wartende Verrücktheiten."

Es war Picassos erste Partnerschaft mit einer Intellektuellen und Künstlerin.

Sie sei ihm eine Muse mit immer neuen Gesichtern gewesen, sagte er zu James Lord, einem amerikanischen Soldaten, der mit beiden befreundet war:

"Sie war alles, was man wollte, ein Hund, eine Maus, ein Vogel, ein Gedanke, ein Gewitter. Das ist ein großer Vorteil, wenn man sich verliebt."

Picasso regte Dora an, sich wieder mehr ihrer Malerei zu widmen. Leider übernahm sie seinen Stil allzu überzeugend. Ihre kubistischen Porträts von Picasso könnten von ihm selber stammen.

Dass aus der intelligenten und emanzipierten Dora ein abhängiges Wesen wurde, war wohl der tiefere Grund, weshalb es 1944 zum Bruch kam.

"Er hat mich benützt, bis er spürte, dass von mir nichts mehr übrig war. All die hundert Bilder, die er von mir malte ... Seine Porträts von mir sind ohnehin alles Lügen. Es sind allesamt Picassos, kein einziges davon ist Dora Maar."

Die Trennung hatte eine Nervenkrise ausgelöst, die der befreundete Psychoanalytiker Jacques Lacan heilen konnte. Allerdings war aus der früheren Dora, die großen Widerwillen gegen Aberglauben, Dogmatismus und Autorität hatte, eine strenge Katholikin geworden. Lacan dazu:

" "Ich musste sie stabilisieren. Sie brauchte einen Halt, es gab nur die Wahl zwischen Beichtstuhl und Zwangsjacke". "

In fast täglichen Briefen versuchte sie fortan, Picasso ebenfalls zum Glauben zu bekehren.

Dora Maar kehrte nicht zur surrealistischen Fotografie zurück, deren Zeit nach dem Krieg auch abgelaufen war. Sie malte weiter. Besonders in kraftvollen, fast abstrakten und doch entzifferbaren Landschaften war keine Abhängigkeit von Picasso mehr zu spüren. Ihre gegenständlichen Porträts waren in tapferem Eigensinn gegen den Zeitgeist gemalt. Als Künstlerin erfuhr Dora Maar erst nach ihrem Tod am 16. Juli 1997 eine angemessene Würdigung.

Literatur
Mary Ann Craws: Dora Maar. Die Künstlerin an Picassos Seite, Oktober 2002.
James Lord: Picasso und Dora Maar, Frankfurt 1998