Mehr Gerechtigkeit wagen

Über Menschen, die ihr Geld verschenken

Live-Crowdfunding in Berlin
Live-Crowdfunding in Berlin: Jeder gibt so viel, wie er oder sie möchte. © Deutschlandradio / Caroline Schwarz
Von Étienne Roeder |
Die Schere zwischen vermögenden und armen Menschen geht immer mehr auseinander. Aber muss das auch in Zukunft so weitergehen? In Berlin gibt es eine Initiative, die dabei hilft, Geld an Projekte zu verschenken. Zukunftsweisend oder nur Spielerei?
"Okay, ich habe jetzt hier einen riesigen Haufen Fünfer vor mir und versuch jetzt mal, die zu portionieren und mach kleine Hunderter-Haufen. Also zähle mal zwanzig Fünfer zusammen..."
Ein Freitagabend in Berlin Moabit. Der wilde Wedding. Zwischen dem Berliner Großmarkt und den Westhafen liegt das Gebäude des alten Güterbahnhofs Moabit. Draußen vor den schweren Eisentüren weht der nasskalte Herbstwind. Drinnen sitzt Ferdinand in legerer Kleidung auf dem Boden neben einem metallenen Einkaufswagen und zählt konzentriert Geld. Viel Geld.

"Ich glaube, das werden bestimmt so 30 Häuflein werden."
"Und, schon mal so viel Geld gezählt?"
"Nein, hab ich noch nie!"

Umschlagplatz für postindustrielle Werte
Ferdinand, der mittlerweile 5000 Euro in kleinen und großen Scheinen vor sich gestapelt hat. ist einer von 50 Teilnehmern der Tagung "Geld ist Beziehung". Die Teilnehmer diskutieren darüber, welche Beziehungen Geld zwischen Menschen schaffen kann. Und zwar nicht über Schulden, sondern – im besten Fall – über den kreativen Austausch, der zwischen Menschen entsteht.
Hier im alten Güterbahnhof Moabit, wo früher Warenaustausch über Geld abgewickelt wurde, befindet sich seit drei Jahren das Zentrum für Kunst und Urbanistik. Ein Umschlagplatz für zeitgenössische, postindustrielle Werte, so jedenfalls die Idee, auch im Umgang mit Geld.

"Nee, nee in den Wagen..."
"So Kleingeld hört sich toll an, oder?"


Und dann fliegen die Münzen und Scheine. Jeder der Teilnehmer wirft einen selbstgewählten Betrag in einen Einkaufswagen, der mit einer brennenden Kerze in der Mitte der Runde steht. Am Ende der Tagung sollen die Teilnehmer das zusammengetragene Geld dann wieder verschenken. Live-Crowdfunding nennt sich das Ganze. Jonas von der Gathen hat es sich ausgedacht. Ganz nach dem Motto: Geben ist seliger denn nehmen.
"Das ist der schwierigste Punkt, wie strahlt man ´ne Stimmung aus, in der so ´ne freie Schenkstimmung entsteht. Sloterdijk wirft das ja den Deutschen immer vor, dass das das Einzige wäre, was sie von denen Amerikanern lernen könnten 'Spend it!' also Großzügigkeit."
Kreative Menschen, die Geld brauchen
Die Organisatoren des Schenkspiels sind Mitglieder im Stiftungsrat der "Zukunftsstiftung Soziales Leben". Bei ihrer Arbeit als Geldvergeber oder Geldverschenker haben sie erlebt, dass es eine große Kluft gibt, zwischen der Masse an kreativen Menschen, die Geld braucht und ohnmächtig danach sucht und der kleinen Gruppe an Menschen, die über die Vergabe entscheidet. Das Live-Crowdfunding will diesen Gegensatz in Form eines Schenkspiels zusammenbringen.
"Kriegen wir die beiden Qualitäten zusammen. Die Qualität einer guten Stiftung im Hinterzimmer und die Crowd, die Masse, die Gruppenenergie. Ich hab das Gefühl, die dicken Fischen, also Menschen mit viel Kapital, die warten nur so darauf. Die erzählen mir oft: ´Ich seh ja nichts, ich hab das Gefühl, es gibt keine tollen Projekte, es gibt keine tollen jungen Leute.` Die klicken sich ja nicht durch die Crowdfunding Projekte, die sitzen ja eher auf Golfplätzen rum."
Damit auch die dicken Golffische in ferner Zukunft mal mitspielen und ein Umverteilungsprozess in Gang kommt – so jedenfalls die Hoffnung der Organisatoren – sind die Spielregeln vom Live-Crowdfunding denkbar einfach: Zunächst legt jeder Bares in die Mitte. Die 5000 Euro, die heute zusammenkommen, werden dann auf alle Teilnehmer gleichberechtigt aufgeteilt. In Kleingruppen, die der Größe eines Stiftungsrates nachempfunden sind, ringen sie dann darum, wer das Geld am Ende geschenkt bekommen soll und wie viel? Doch was unterscheidet sogenanntes freies Schenkgeld von Almosen oder Geldgeschenken in der Familie?
"In Realität, gerade im Zusammenhang mit Geld, ist es selten, dass es ein wirklich freies Schenken ist, wo ich danach das Gefühl hab: Ich kann mit dem Geld wirklich machen, was ich will und ich bin den Menschen nichts schuldig."
Junge Leute mit Visionen
Nichts schulden aber doch in Beziehung treten, wie soll das gehen? Die Teilnehmer sind junge Leute mit Visionen, die wissen wollen, woher ihr Geld kommt und die genau wissen, was sie damit machen. Asaf zum Beispiel. Ein energiegeladener Redner, will ein Theaterensemble aufbauen. Oder Natalie. Sie hat einen Roman geschrieben und braucht Geld um ihn im Selbstverlag zu drucken. Und Mirka? Sie will mit dem Geld Flüchtlinge in Berlin unterstützen. Zwei Duzend Initiativen und Projekte wollen an diesem Abend unterstützt werden.
Die Entscheidung fällt den Gruppen schwer. Geld frei zu verschenken, muss erst mal gelernt werden. Und Ferdinand, der zu Beginn das gesamte Geld gezählt hatte, war von der Fülle der Einzelinitiativen so überfordert, dass er das Geld niemandem auf der Tagung gibt – sein eigenes Ding machen will.
"Ich kann in diesem vergleichenden und bewertenden nicht mitgehen und hab dann meinen Anteil, sozusagen diese Hundert Euro, wieder rausgenommen. Ich möchte Geld im öffentlichen Raum gerne verschenken, also einfach fünf Euro irgendwo rantapen. Dazu schreiben: Geschenkt. Ohne zu gucken, was da passiert. Und dafür habe ich fast 50 Euro bekommen. "

Am Ende der Tagung scheinen alle zufrieden. Es ist deutlich mehr Geld zusammengekommen, als die einzelnen Projekte eigentlich benötigten. Und die Teilnehmer kennen nun ihre Geldgeber. Das Spiel soll nun regelmäßig kreative Menschen zusammenbringen. Und vielleicht spielen ja die dicken Fische auch bald mit.
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