Mehr Raum für Shakespeare

Von Blanka Weber |
Vor fast 150 Jahren wurde in Weimar die deutsche Shakespeare-Gesellschaft gegründet. Der Gründungsort war bewusst gewählt und zeigt den Einfluss Shakespeares auf die deutsche Literatur. In der vergangenen Woche rief die Shakespeare-Gesellschaft zu ihrer Jahrestagung.
"Alles, was wir von Shakespeare wissen ist so bürgerlich, so brav, so banal, es war so ein Besitzstandwahrer. Der hat ein Haus gekauft und umgebaut, und einen Garten. Es ist alles sozusagen so normal, dass also, jeder, der seinen Shakespeare liebt und der diese Stücke liebt und der diese Figuren kennt, denkt, der muss doch ‘was erlebt haben."

Wie war Shakespeare wirklich? Und welche Masken dürfen wir ihm aufsetzen, um die Werke zu zeigen? Ihn zu verstehen und uns zu konfrontieren? Tobias Döring lehrt an der Uni München. Für ihn sind die Masken, die wir dem großen Theaterdichter aufsetzen, durchaus legitim, mehr noch. Wer Shakespeare als Bier versteht – bitte – auch das sei genehm:

"Also wenn Shakespeare getrunken wird, ist das genau das Richtige, denn das würde er auch tun. Es war übrigens schon immer so, auch in Shakespeares Zeiten dass das Feiern, das Trinken, auch das Besäufnis mit dem Theater ganz eng zusammen hing. In Shakespeares London war das Theater keine so bildungsbürgerliche Angelegenheit, wo man sich so feierlich hinsetzte. Die sind da rumgelaufen, haben getrunken, gegessen, gehurt – alles Mögliche, während die Vorstellung vorne los ging und in dem Sinne, würde ich sagen, passt es wunderbar. Es gibt in Weimar hier einen sehr netten Pub, heißt Shakespeare – finde ich absolut passend."

Shakespeare in Weimar. Verleger, Wissenschaftler und Übersetzer, wie Markus Marti aus Basel trafen sich, um über Texte und Stücke des Dichters zu sprechen, über seine Sprache und deren Bedeutung:

"Die Zeit hängt auch stark mit den Wörtern zusammen, mit den individuellen Wörtern, die auch auf Dinge verweisen, die es heute gar nicht mehr gibt, auch Begriffe, die die damals anders verwendet, verstanden wurden."

Ein Beispiel, sagt die Verlegerin Brigitte Narr, ist das englische Wort "fat" im "Hamlet":

"Schlegel, Tieck und auch die nachfolgenden Übersetzer haben es immer wieder mit "dick" wieder gegeben. Jetzt haben die Mitarbeiter der englisch-deutschen Studienausgabe der Dramen Shakespeares recherchiert und haben festgestellt, dass 'fat' eine Nebenbedeutung hat: 'verschwitzt', und das macht überhaupt diese Szene erklärlich, denn Hamlet – da ist eine Fechtszene - Hamlet ist verschwitzt und weil er verschwitzt ist, reicht ihm die Königin, seine Mutter, ein Taschentuch."

Nach wie vor, sagt die Verlegerin, sind "Hamlet", "Sturm" und "Romeo und Julia" die Renner der Shakespeare Ausgaben. Dennoch war die Frage der Tagung: Erleidet Shakespeare in den deutschen Klassenzimmern derzeit Schiffbruch? Markus Marti, der Übersetzer wünscht sich etwas mehr Engagement der Lehrer, dann hätten es auch die Theaterschaffenden leichter:

"Es ist vielleicht so, dass man ja nicht unbedingt immer ein ganzes Stück lesen muss mit einer Klasse. Man könnte auch eine Szene auswählen. Den Rest auf Deutsch. Gerade unsere Studienausgabe wäre für so ’was geeignet, da kann man eine Szene intensiv machen und den Rest kursorischer."

Geht es nach dem neuen Präsidenten der deutschen Shakespeare Gesellschaft, dann gehört dem Dichter sowieso mehr Raum in Schule und Theater. Zeitlos schön – dieser Shakespeare – mit all‘ seinen Masken, biografischen Widersprüchen, Geheimnissen und Textfragmenten, die alles andere als bieder sind – sagt Tobias Döring:

"Dieser Autor ist eben nicht nur ein Autor der Hochkultur. Sondern genauso Pop, Event. Shakespeare ist ein unglaublich vielseitiger, volksnaher Autor schon immer gewesen in seiner eigenen Zeit und bis heute. Dass dadurch der besondere Reiz der Shakespeare-Gesellschaft herkommt, aus der Vielfalt, diesem Spektrum und der ganz unterschiedlichen Ansammlung von Leuten."

Ton Hoenselaars aus den Niederlanden leitet die Europäische Gesellschaft, die Ehre, Ruhm und Texte des Dichters erhalten will. Shakespeare in Weimar, auf deutschen Bühnen, authentisch für die Wissenschaft:

"Jeder macht es authentisch und es gibt keinen authentischen Shakespeare, und die Gedanken, die wir teilen: Shakespeare existiert, wenn wir ihn kreieren. Und das macht der Wissenschaftler, das macht man im Theater, oder wenn man ihn nur zitiert."

Zitiert hat Shakespeare übrigens auch Goethe, sagt Tobias Döring mit Blick auf den Gründungsort Weimar der Gesellschaft:

"Der Goethe ist ja undenkbar ohne den Shakespeare. Gerade der junge Goethe hat ja alles von Shakespeare gelernt. Es gibt diese berühmte Rede 'Shakespeare und kein Ende'. Er hat seine gesamte Inspiration und seinen gesamten Schwung aus der 'Sturm und Drang'-Zeit aus Shakespeare gezogen und genauso wie der Schiller. Die haben alle davon gelebt im 18. Jahrhundert. Und deswegen ist im Grunde Shakespeare in Weimar ebenso zu Hause, wir könnten sogar sagen: noch mehr zu Hause als in England oder in Stratford."

Noch mehr Zuspruch wünscht sich die Gesellschaft. Zumal in drei Jahren Shakespeares 450. Geburtstag und der 150. der Gesellschaft gefeiert wird. Tobias Döring:

"Und ansonsten glaub' ich schon, dass vielleicht viele Leute gar nicht wissen, dass sie sich mit Shakespeare befassen. Also, Romeo und Julia – ich meine – wir reden ständig über die Figuren, wir sehen die Geschichten, wir leben mit ihnen. Und ich möchte wetten, dass also Romeo und Julia heute noch jeden Teenager erregt, wann immer man das im Kino, im Theater oder sonst wo zu sehen bekommt."
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