Mehr Spielraum
Die freien Schulen expandieren gewaltig und entwickeln sich zu einer echten Herausforderung für das staatliche Schulsystem. Das muss sich anstrengen, um mit der Attraktivität der freien, in der Regel evangelischen, manchmal aber auch Waldorf- oder Montessori-Schulen mithalten zu können.
Zwar sind auch die freien Schulen öffentlich, was heißt, dass jeder seine Kinder hier beschulen lassen kann, der es möchte und solange der Platz reicht. Aber die freien Schulen nehmen Schulgeld von durchschnittlich 100 Euro im Monat, was die staatlichen Schulen nicht tun, und die Lehrer der freien Schulen verdienen auch ca. 25 bis 30 Prozent weniger. Finanziell gesehen, sind diese Schulen also keineswegs attraktiv. Dennoch, und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, ist der Run auf die freien Schulen ungebremst. Dabei scheint der konfessionelle Charakter der evangelischen Schulen bei weitem nicht ausschlaggebend zu sein. Viele Eltern, die sich selber gar nicht zur Kirche halten, vertrauen gleichwohl deren Schulen.
Und so kommt das staatliche Schulsystem mit seinem öffentlichen Auftrag der Daseinsvorsorge in Sachen Grundbildung unter Druck. Natürlich gibt es hier Desintegrationserscheinungen. Die sogenannten bildungsnahen Schichten wandern aus dem öffentlichen Schulsystem aus, und überlassen dem Staat die eher bildungsferneren Schichten. Dieser Trennungsprozess lässt sich zur Zeit besonders in Ostdeutschland beobachten. Doch kennt man dieses Problem auch in manche einer westdeutschen Region. Und es ist keine Frage, dass die Politik diesem Phänomen nicht tatenlos zusehen darf. Eine Schulreform ist also dringlich.
Und sie sollte sich, der Logik des Abwanderungsprozesses folgend, zuerst fragen, was eigentlich die freien Schulen so attraktiv macht, dass die Eltern bereit sind, Schulgeld für sonst kostenlose Leistungen zu zahlen, und Lehrer bereit sind, auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten. Das hat nichts mit Ideologie oder Religion zu tun, sondern mit der juristischen und praktischen Autonomie der freien Schulen. Diese können über ihr Personal frei verfügen, sie können über ihr schulisches Profil nicht nur nachdenken, sondern es auch durchsetzen, und sie können ihr Tun gegenüber den Eltern besser verantworten, weil sie es korrigieren können. Kurz: Sie verfügen über mehr pädagogischen Spielraum als die staatlichen Schulen, die zwar auch gute Lehrer und viele Ideen haben, aber eine Schulverwaltung über sich, die mit ihrer Personalpolitik in die Schulen hineinregiert und deren pädagogische Anstrengungen damit nicht selten konterkariert.
Wir haben es hier mit Machtstrukturen der Verwaltung zu tun. Und die ist die eigentliche Herausforderung der Politik. Wer die staatlichen Schulen wirklich reformieren will, wer ihnen Instrumente in die Hand geben will, um mit den freien Schulen mithalten zu können, der muss die Schulverwaltung entmachten, und den staatlichen Schulen mehr Autonomie geben.
Brandenburg, nebenbei auch Sachsen, und im Westen Bayern aber gehen einen anderen Weg. Sie wollen den freien Schulen die Mittel kürzen und deren Neugründungen erschweren. So kann man natürlich auch Chancengleichheit schaffen, tatsächlich aber schafft man nur Verlierer.
Was ist los mit dieser Art von Schulpolitik, dass sie sich so unkritisch mit den Interessen ihrer Schulverwaltung identifiziert? Die Verwaltung hatte schon immer einen guten, geradezu privilegierten Zugang zur Regierungspolitik, und das ist auch gut so. Aber eine kluge Regierungspolitik lässt sich von ihrer Verwaltung das Handeln nicht diktieren, sondern denkt in erster Linie an das, was die Gesellschaft braucht. Der Staat muss Dienstleister für die Gesellschaft sein. Die von ihm gesetzten Rahmenbedingungen dürfen nicht zu einer Zwangsjacke werden.
Gesellschaftlicher Fortschritt hat immer auch mit einem Zuwachs an Freiheit zu tun. In Sachen Schule heißt Freiheit Autonomie. Dementsprechend muss die Politik den staatlichen Schulen endlich das geben, was die freien Schulen bereits haben: nämlich mehr Freiheit, also Autonomie. Der Konflikt mit der Schulverwaltung ließe sich aushalten, den staatlichen Schulen und damit dem unverzichtbaren, staatlichen Bildungsauftrag aber wäre dauerhaft geholfen.
Stephan Hilsberg, Publizist und SPD-Politiker, 1956 im brandenburgischen Müncheberg geboren, wuchs in der DDR auf. Er arbeitete dort als Informatiker. Ende der 80er-Jahre engagierte er sich in der Friedensbewegung der Evangelischen Kirche. Am Beginn der friedlichen Revolution 1989 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der ostdeutschen SPD, war ihr erster Sprecher und später Geschäftsführer. Hilsberg gehörte der letzten und frei gewählten Volkskammer 1990 an. Anschließend war er Bundestagsabgeordneter bis 2009 und in dieser Zeit u.a. bildungs- und forschungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und zwei Jahre lang Staatssekretär im Verkehrsministerium. Stephan Hilsberg ist selbständig als Autor und Publizist tätig.
Und so kommt das staatliche Schulsystem mit seinem öffentlichen Auftrag der Daseinsvorsorge in Sachen Grundbildung unter Druck. Natürlich gibt es hier Desintegrationserscheinungen. Die sogenannten bildungsnahen Schichten wandern aus dem öffentlichen Schulsystem aus, und überlassen dem Staat die eher bildungsferneren Schichten. Dieser Trennungsprozess lässt sich zur Zeit besonders in Ostdeutschland beobachten. Doch kennt man dieses Problem auch in manche einer westdeutschen Region. Und es ist keine Frage, dass die Politik diesem Phänomen nicht tatenlos zusehen darf. Eine Schulreform ist also dringlich.
Und sie sollte sich, der Logik des Abwanderungsprozesses folgend, zuerst fragen, was eigentlich die freien Schulen so attraktiv macht, dass die Eltern bereit sind, Schulgeld für sonst kostenlose Leistungen zu zahlen, und Lehrer bereit sind, auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten. Das hat nichts mit Ideologie oder Religion zu tun, sondern mit der juristischen und praktischen Autonomie der freien Schulen. Diese können über ihr Personal frei verfügen, sie können über ihr schulisches Profil nicht nur nachdenken, sondern es auch durchsetzen, und sie können ihr Tun gegenüber den Eltern besser verantworten, weil sie es korrigieren können. Kurz: Sie verfügen über mehr pädagogischen Spielraum als die staatlichen Schulen, die zwar auch gute Lehrer und viele Ideen haben, aber eine Schulverwaltung über sich, die mit ihrer Personalpolitik in die Schulen hineinregiert und deren pädagogische Anstrengungen damit nicht selten konterkariert.
Wir haben es hier mit Machtstrukturen der Verwaltung zu tun. Und die ist die eigentliche Herausforderung der Politik. Wer die staatlichen Schulen wirklich reformieren will, wer ihnen Instrumente in die Hand geben will, um mit den freien Schulen mithalten zu können, der muss die Schulverwaltung entmachten, und den staatlichen Schulen mehr Autonomie geben.
Brandenburg, nebenbei auch Sachsen, und im Westen Bayern aber gehen einen anderen Weg. Sie wollen den freien Schulen die Mittel kürzen und deren Neugründungen erschweren. So kann man natürlich auch Chancengleichheit schaffen, tatsächlich aber schafft man nur Verlierer.
Was ist los mit dieser Art von Schulpolitik, dass sie sich so unkritisch mit den Interessen ihrer Schulverwaltung identifiziert? Die Verwaltung hatte schon immer einen guten, geradezu privilegierten Zugang zur Regierungspolitik, und das ist auch gut so. Aber eine kluge Regierungspolitik lässt sich von ihrer Verwaltung das Handeln nicht diktieren, sondern denkt in erster Linie an das, was die Gesellschaft braucht. Der Staat muss Dienstleister für die Gesellschaft sein. Die von ihm gesetzten Rahmenbedingungen dürfen nicht zu einer Zwangsjacke werden.
Gesellschaftlicher Fortschritt hat immer auch mit einem Zuwachs an Freiheit zu tun. In Sachen Schule heißt Freiheit Autonomie. Dementsprechend muss die Politik den staatlichen Schulen endlich das geben, was die freien Schulen bereits haben: nämlich mehr Freiheit, also Autonomie. Der Konflikt mit der Schulverwaltung ließe sich aushalten, den staatlichen Schulen und damit dem unverzichtbaren, staatlichen Bildungsauftrag aber wäre dauerhaft geholfen.
Stephan Hilsberg, Publizist und SPD-Politiker, 1956 im brandenburgischen Müncheberg geboren, wuchs in der DDR auf. Er arbeitete dort als Informatiker. Ende der 80er-Jahre engagierte er sich in der Friedensbewegung der Evangelischen Kirche. Am Beginn der friedlichen Revolution 1989 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der ostdeutschen SPD, war ihr erster Sprecher und später Geschäftsführer. Hilsberg gehörte der letzten und frei gewählten Volkskammer 1990 an. Anschließend war er Bundestagsabgeordneter bis 2009 und in dieser Zeit u.a. bildungs- und forschungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und zwei Jahre lang Staatssekretär im Verkehrsministerium. Stephan Hilsberg ist selbständig als Autor und Publizist tätig.

Stephan Hilsberg© stephan-hilsberg.de