Mehr von Jesus' Boschaft

Von Vladimir Balzer |
Im bayerischen Städtchen Oberammergau laufen die Proben für die 41. Passionsspiele auf Hochtouren. Am 15. Mai ist die Premiere der nur alle zehn Jahre aufgeführten Spiele. Die Jesus-Figur soll diesmal komplexer gestaltet werden, kündigen die Veranstalter an.
Kann der eine Jesus vom anderen lernen? "Der Andi" und "der Fredi" spielen ihn in Doppelbesetzung. Fredi – so wird Frederik Mayet in seinem Heimatdorf genannt, im Hauptberuf Pressesprecher der Passionsspiele. Andi – das ist Andreas Richter, im Hauptberuf Psychologe.

Die beiden Oberammergauer proben seit Wochen zusammen. Frederik Mayet schaut dabei öfter mal rüber zum Kollegen.

Jesus-Darsteller Frederik Mayet: "Das ist auch ganz schön auf den Proben: dass man auch mal zuschauen kann und sagt: Heute spielt der Andi die Szene und ich schau´ zu, was er macht, und dass man dann was sieht, wo man sagt: Das gelingt dem Andreas besser als mir. Da schaut man sich was ab ... Aber natürlich sind bestimmte Verabredungen auf der Bühne klar, Der Text ist klar, die Einsätze sind klar, auch die Positionen. Aber jeder bringt seine eigene Persönlichkeit und seine eigene Interpretation mit ein."

Beide Jesus-Darsteller sind sich frappierend ähnlich ... geworden, muss man sagen. Sie haben Bärte, lange Haare und sie schauen beide irgendwie besonders ernst. Bärte wachsen lassen – das gehört seit Ewigkeiten zum Ritual, aber ansonsten ist vieles anders dieses Mal in Oberammergau. Die Jesus-Figur soll deutlich komplexer werden als früher. Andi, Jesus Nummer 2, beschreibt es so:

Jesus-Darsteller Andreas Richter: "Im Vergleich zum Passionsspiel 2000 ist viel mehr von der Botschaft von Jesus dabei: lange Predigttexte, lange Reden – wo auch viel von der Figur erzählt wird, was 2000 überhaupt nicht so war. Da zog er in Jerusalem ein und hat die Händler vertrieben und dann ging die Auseinandersetzung mit der Priesterschaft los. Die Figur von Jesus hat viel mehr Raum, um eingeführt zu werden, um eine Beziehung den Darstellern auf der Bühne aufzubauen, aber damit auch das Publikum Gelegenheit hat, eine Beziehung zu dieser Figur aufzubauen."

Andreas Richter soll eine Jesus-Figur zeigen, die weit mehr als nur die Geschichte des Leidens erzählt. So will es jedenfalls Regisseur Christian Stückl, inzwischen zum dritten Mal Oberspielleiter in Oberammergau.

Regisseur Christin Stückl: "Wir haben den Text ganz stark bearbeitet, wir haben versucht, mehr von dem, was Jesus wollte, von seiner Botschaft, von dem, was er wirklich gesagt hat, mit ins Spiel hineinzunehmen. Wir haben am Anfang des Spiels eine große Szene geschrieben, wo er Bergpredigt-Texte hat, dass man ihn wegbringt von dieser reinen Leidensgestalt, hin zu einem Menschen, der was wollte, der was bewegen wollte, der eine große Botschaft hatte."

Und Christian Stückl will mit seinen beiden Jesus-Darstellern noch weiter gehen. Er will Jesus als den Juden zeigen, der er war. Schon vor zehn Jahren hatte Stückl den Spieltext ändern lassen und alles, was man als antijüdisch verstehen konnte, herausgenommen.
Nun wird auch hebräisch gesungen und gesprochen. Etwa das zentrale jüdische Glaubensbekenntnis – Sh´ma Israel. Und: die Verbindung von Pessach mit dem christlichen Abendmahl und der Osterzeit wird deutlich gezeigt - und nicht als Nebenaspekt abgetan.
13 Szenen, zweieinhalbtausend Oberammergauer, davon 110 Sänger und 56 Musiker (ein ganzes Sinfonieorchester!), 6 Stunden Spielzeit, 107 Aufführungen.

Danach soll man die Passionsgeschichte mit anderen Augen sehen, wünscht sich der Regisseur. Auch Maria, dargestellt von Andrea Hecht, im echten Leben Verkäuferin für Kunsthandwerk, will mehr als nur Leiden.

Maria-Darstellerin Andrea Hecht: "Ich habe drum gebeten, dass die Maria ein paar stärkere Texte, Gebetsworte spricht, dass man ihren eigenen Weg zum Glauben zeigt, auch ihren Zweifel. Das kann sie gut vertragen. Sie soll nicht nur eine duldsame und leidende Frau sein. Das wäre mir zu wenig."

Doch natürlich: Es bleibt am Ende eine Geschichte der Schmerzen. Die sollen "der Freddi" und "der Andi" auch spüren. Regisseur Christian Stückl hat bei Jesus auch mal ordentlich zugekniffen, wenn es sein musste, berichtet der psychologisch geschulte Andreas Richter.

Andreas Richter: "Wie der Christian das macht, das hat viel zu tun mit Psychodrama und alten gestalttherapeutischen Methoden. So würde heutzutage kein Therapeut mehr arbeiten. Das könnte er seinen Klienten nicht zumuten. Aber wir machen das ja freiwillig!"

Links auf dradio.de:

Interview mit dem Regisseur Christian Stückl

Links zum Thema:

Homepage 41. Oberammergauer Passionsspiele
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