Mehr Vorstudie als fertige Reportage
Der Psychologe und Romancier Rainer Merkel ist für jeweils zehn Tage nach Kosovo, Liberia und Afghanistan gereist. Er hat dort mit einheimischen Politikern und ausländischen Idealisten geredet. Herausgekommen ist "Das Unglück der anderen" - ein Buch mit wenig Tiefenschärfe.
Schon nach den ersten paar Seiten dieses umfangreichen Buches fragt man sich, womit man es hier zu hat: mit einem Essay? einer Reportage? Einem Tagebuch?
Das neueste Buch des Psychologen, Romanciers und beinahe Buchpreis-Trägers Rainer Merkel beginnt, wo zur Zeit die Hälfte der deutschen Literatur stattfindet: in Berlin. Merkel, der 2009 im psychiatrischen Krankenhaus von Monrovia gearbeitet hat, tritt mit seiner Schriftstellerei gerade irgendwie auf der Stelle und trifft einen Künstler aus dem Kosovo, den er fragt: "Wie war er, der Krieg?"
Mit dieser Grundneugier, macht er sich nun auf den Weg: Nach Kosovo, Liberia und Afghanistan, für jeweils zehn Tage, auf der Suche nach dem "Unglück der anderen". Der Titel lässt reflektierender Tiefenschärfe erwarten, die Reiseziele eine gewisse Aktualität. Doch die Gespräche mit Politikern und Möchtegernpolitikern, Psychologen, Strippenziehern, ausländischen Idealisten und UN-Mitarbeitern bleiben seltsam beiläufig und unergiebig.
Merkel besucht Kliniken, Hauptquartiere, Villen, Hotels - und am allerhäufigsten die Szenetreffs der Presseleute und internationalen Helfer, von denen er sich (außer in Afghanistan) als Couchsurfer weiterreichen lässt.
Hochinteressante Begegnungen gibt es da - wie mit der Familie eines angeklagten Kriegsverbrechers im Kosovo und mit dem fragwürdigen Warlord Prince Johnson in Liberia, der gerade im Begriff ist, als Demokrat wieder in die Politik einzusteigen. Doch diese Möglichkeiten zu Vertiefung lässt Merkel in einem Gewühl zahlloser Banalitäten untergehen: Wer mit ihm gerade das Taxi teilt, dass er im Flugzeug Tetris spielt, welche Figur eine irische Helferin hat, was auf der Speisekarte steht, wie es um Getränke, die politische Einstellung eines Journalisten, das Wetter, das Hilfsprogramm X und die seelische Verfassung von NGO-Mitglied Y bestellt ist.
Hintergrundinformationen zum Kosovo-Krieg, zum Bürgerkrieg in Liberia und zur komplizierten Gemengelange in Afghanistan tauchen dagegen nur in zufälligen Bruchstücken auf - nämlich wenn eine der zahllosen Bekanntschaften des Reisenden Merkel etwas Diesbezügliches äußert. Von einer Reportage im Sinne journalistischen Handwerks kann also keine Rede sein, auch wenn der Monrovia-Teil des Buches durchaus farbige Schilderungen und interessante Ansätze aufweist. Aber immer wenn der Leser auf Zusammenhänge, Aufklärung und Fortsetzungen wartet, ist da: nichts. Nichts als ein neues Thema, eine neue Beobachtung, eine neue Bekanntschaft.
Irgendeine Systematik ist im ganzen Text nicht zu erkennen. Sogar die naive Neugier darauf, wie er denn war, der Krieg, geht in Alltagsbewältigung und dem Haschen nach zufällig herumbaumelnden Informationen und Erlebnissen unter. Selbst als Insidergeschichte aus der Internationalen Helfer-Szene ist das Ganze viel zu disparat, zu unentschieden und unkonzentriert.
Rainer Merkel ist ein seltsam desinteressierter Zuschauer, der alles, alles aufnimmt und völlig unsortiert wieder von sich gibt: Er ist einfach ein Protokollant, Schriftführer internationaler Banalitäten auf drei Kontinenten. Das Material, das er gesammelt hat und das nun in diesem Buch gelesen werden kann, stellt allenfalls eine Vorstudie dar zu etwas, das einmal, eine Menge Arbeit vorausgesetzt, ein Buch werden könnte.
Besprochen von Katharina Döbler
Rainer Merkel: "Das Unglück der anderen. Kosovo, Liberia, Afghanistan"
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2012
480 Seiten, 22,99 Euro
Das neueste Buch des Psychologen, Romanciers und beinahe Buchpreis-Trägers Rainer Merkel beginnt, wo zur Zeit die Hälfte der deutschen Literatur stattfindet: in Berlin. Merkel, der 2009 im psychiatrischen Krankenhaus von Monrovia gearbeitet hat, tritt mit seiner Schriftstellerei gerade irgendwie auf der Stelle und trifft einen Künstler aus dem Kosovo, den er fragt: "Wie war er, der Krieg?"
Mit dieser Grundneugier, macht er sich nun auf den Weg: Nach Kosovo, Liberia und Afghanistan, für jeweils zehn Tage, auf der Suche nach dem "Unglück der anderen". Der Titel lässt reflektierender Tiefenschärfe erwarten, die Reiseziele eine gewisse Aktualität. Doch die Gespräche mit Politikern und Möchtegernpolitikern, Psychologen, Strippenziehern, ausländischen Idealisten und UN-Mitarbeitern bleiben seltsam beiläufig und unergiebig.
Merkel besucht Kliniken, Hauptquartiere, Villen, Hotels - und am allerhäufigsten die Szenetreffs der Presseleute und internationalen Helfer, von denen er sich (außer in Afghanistan) als Couchsurfer weiterreichen lässt.
Hochinteressante Begegnungen gibt es da - wie mit der Familie eines angeklagten Kriegsverbrechers im Kosovo und mit dem fragwürdigen Warlord Prince Johnson in Liberia, der gerade im Begriff ist, als Demokrat wieder in die Politik einzusteigen. Doch diese Möglichkeiten zu Vertiefung lässt Merkel in einem Gewühl zahlloser Banalitäten untergehen: Wer mit ihm gerade das Taxi teilt, dass er im Flugzeug Tetris spielt, welche Figur eine irische Helferin hat, was auf der Speisekarte steht, wie es um Getränke, die politische Einstellung eines Journalisten, das Wetter, das Hilfsprogramm X und die seelische Verfassung von NGO-Mitglied Y bestellt ist.
Hintergrundinformationen zum Kosovo-Krieg, zum Bürgerkrieg in Liberia und zur komplizierten Gemengelange in Afghanistan tauchen dagegen nur in zufälligen Bruchstücken auf - nämlich wenn eine der zahllosen Bekanntschaften des Reisenden Merkel etwas Diesbezügliches äußert. Von einer Reportage im Sinne journalistischen Handwerks kann also keine Rede sein, auch wenn der Monrovia-Teil des Buches durchaus farbige Schilderungen und interessante Ansätze aufweist. Aber immer wenn der Leser auf Zusammenhänge, Aufklärung und Fortsetzungen wartet, ist da: nichts. Nichts als ein neues Thema, eine neue Beobachtung, eine neue Bekanntschaft.
Irgendeine Systematik ist im ganzen Text nicht zu erkennen. Sogar die naive Neugier darauf, wie er denn war, der Krieg, geht in Alltagsbewältigung und dem Haschen nach zufällig herumbaumelnden Informationen und Erlebnissen unter. Selbst als Insidergeschichte aus der Internationalen Helfer-Szene ist das Ganze viel zu disparat, zu unentschieden und unkonzentriert.
Rainer Merkel ist ein seltsam desinteressierter Zuschauer, der alles, alles aufnimmt und völlig unsortiert wieder von sich gibt: Er ist einfach ein Protokollant, Schriftführer internationaler Banalitäten auf drei Kontinenten. Das Material, das er gesammelt hat und das nun in diesem Buch gelesen werden kann, stellt allenfalls eine Vorstudie dar zu etwas, das einmal, eine Menge Arbeit vorausgesetzt, ein Buch werden könnte.
Besprochen von Katharina Döbler
Rainer Merkel: "Das Unglück der anderen. Kosovo, Liberia, Afghanistan"
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2012
480 Seiten, 22,99 Euro