Meilensteine der Physik

Rezensiert von Dirk Lorenzen |
Der weltberühmte Physiker und Bestseller-Autor Stephen Hawking gewährt einen tiefen Einblick in die großen Entdeckungen der Physik und Astronomie, die das Bild der Menschheit von der Welt für immer veränderten. Versammelt in diesem Band finden Sie die Texte, die zu Meilensteinen der Wissenschaftsgeschichte wurden.
Das Buch ist ein Etikettenschwindel: Es steht Stephen Hawking auf dem Umschlag, aber es ist kaum Stephen Hawking drin. Das Etikett ist zudem noch irreführend: Es geht nicht um die "Giganten des Wissens", sondern um einige Giganten der Astrophysik. Zu diesen Giganten zählt Hawking nur Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei, Johannes Kepler, Isaac Newton, Albert Einstein - und sich selbst.

Das Buch besteht vor allem aus Auszügen aus den Hauptwerken dieser Forscher. Jeder "Gigant" wird mit einem kurzen Text eingeführt. Doch sind diese Texte oft nur eine Mischung aus halbherziger Einordnung und etwas lieblos erledigter chronologischer Pflicht. Apropos Einordnung: Da liegt Stephen Hawking - oder wer immer diese Texte verfasst hat – gelegentlich arg daneben. So heißt es gleich im Vorwort:

"Die Geschichte ist deshalb so spannend, weil sowohl Kopernikus als auch Einstein große Veränderungen in unserer Betrachtungsweise bewirkt haben, was unseren eigenen Standpunkt in der Weltordnung angeht. (...) Kein Wunder, dass beide Theorien heftige Gegenwehr herausforderten. Im Falle der kopernikanischen Theorie wurde die Inquisition auf den Plan gerufen, im Falle der Relativitätstheorie die Nationalsozialisten."

Ein Satz irgendwo zwischen unbedarft und töricht.

Die Auswahl der fünf Giganten wirkt etwas willkürlich - ein paar andere ebenso große fehlen. Aber das muss man beim begrenzten Platz eines Buches hinnehmen. Die ausgewählten Texte haben es in sich. Jeder kann nachlesen, was Kopernikus wirklich geschrieben hat, wie er mit dem alten Weltbild gebrochen und das neue vorgestellt hat. Und doch wird bei Laien kaum Begeisterung aufkommen. Denn die Texte sind in altem, sehr gedrechseltem Deutsch verfasst bzw. übersetzt – komplizierte Schachtelsätze verschleiern mehr als sie preisgeben. Hier wäre eine deutliche Kommentierung im Text hilfreich (oder eine frische Neuübersetzung), um die Leser auf die entscheidenden Passagen hinzuweisen. Doch derlei fehlt.

In seiner "Kurzen Geschichte der Zeit" bemerkt Hawking, der Verleger habe ihn darauf hingewiesen, jede Formel im Buch halbiere die Leserzahl. Wenn das stimmt, halbiert sich die Leserzahl der "Giganten des Wissens" viele Dutzend Male. Denn gerade bei Newton und Einstein wird es an vielen Stellen sehr mathematisch. Ohne mindestens Physik-Vordiplom wird man da kaum durchsteigen. Statt erklärender Grafiken finden sich meist nur etwas reißerische Trickbilder, die den Text illustrieren. Schon der Untertitel des Buches "Eine bebilderte Reise in die Welt der Physik" soll den Leser wohl in Sicherheit wiegen, sich nicht zu sehr auf die Texte einlassen zu müssen.

So bleibt ein zwiespältiges Gefühl: Natürlich sind die "Unterredungen über zwei neue Wissenszweige" von Galileo Galilei ein grandioser Text. Aber dieses Buch ist eben ein Buch von Galilei, Kopernikus, Einstein etc. - aber kein Buch von Stephen Hawking. Wollte hier ein cleverer Verlag mit der "Marke" Hawking nur ein neues Produkt platzieren? Oder setzt Hawking selber seinen von der Hysterie der Massenmedien beförderten Marktwert entsprechend um? Ein legitimes Vorgehen.

Ganz am Ende der "Giganten des Wissens" erwartet den Leser ein ganz besonderes Bonbon. Als sechster Gigant strahlt einen Stephen Hawking persönlich an. Bei allem Respekt: Ob Hawking zurecht in diese Reihe der Topwissenschaftler einzuordnen ist, wird erst die Geschichte zeigen. Doch buchstäblich vom ersten Satz an hat man den Eindruck, es gehe in diesem Buch auch um das eigene Denkmal des Nicht-Nobelpreisträgers.

"Wenn ich weiter gesehen habe, dann weil ich auf den Schultern von Riesen stand." Mit diesem Zitat aus einem Brief Isaac Newtons an Robert Hooke beginnt das Buch - und am Schluss soll der Leser wohl begreifen, auf wessen Schultern Hawking steht. Doch eine riesige Chance wurde vertan: Über Hawking gibt es nur eine Seite allgemeinen Text (in der dritten Person verfasst) – leider fehlen Auszüge aus seinen wichtigsten Arbeiten. Damit hätten all die Voyeure, die sich für diesen Menschen und seine wunderbaren Ideen nur interessieren, weil seine physischen Gebrechen ihn zur Attraktion machen, die Chance gehabt, zumindest ansatzweise zu begreifen, dass Hawking wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen so besonders ist – und nur sehr vordergründig wegen seines körperlichen Zustands.


Stephen Hawking: "Giganten des Wissens - Eine bebilderte Reise in die Welt der Physik"
Weltbild-Verlag Augsburg 2005
256 Seiten, 14,95 Euro.