Mein 9. November: Wolfgang Rüddenklau

Wolfgang Rüddenklau, Jahrgang 1953, ist ehemaliger Aktivist der Ostberliner "Umweltbibliothek". Die oppositionelle Einrichtung befand sich unter dem Dach der Zions-Kirche in Berlin-Mitte. Rüddenklau und seine Mitstreiter gaben dort von 1986 - 89 die viel beachteten, staatskritischen "Umweltblätter" heraus. Der 56-Jährige hatte einst, nach seinem Abitur, zwei kirchliche Ausbildungen begonnen, aber abgebrochen, dann als Nachtwächter gearbeitet und sich seit den 80er-Jahren politisch engagiert. Er zählt zu den Mitbegründern der Mahnwache in der Ostberliner Gethsemane-Kirche - eine Aktion, die sich 1989 gegen Verhaftungen von Demonstranten und gegen Polizeigewalt richtete. Heute führt Wolfgang Rüddenklau u.a. Besuchergruppen durch das alte Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen.
Da war dann die gesamte Bornholmer Straße voll. Und das war schon wirklich ein sehr prickelndes Erlebnis. Man hatte ja die ganze Zeit das Gefühl, dass diese Mauer sozusagen ein fester Bestandteil des Horizonts ist.

Also, neben der Freude gab es noch ganz andere Dinge natürlich, die dann mitschwebten. Wir hatten eine Revolution hier in der DDR. Die Leute waren auf der Straße. Und uns war natürlich klar, dass durch dieses Ventil, das da plötzlich aufgemacht wurde, ziemlich viel Luft raus ging. Das zeigte sich ja auch an den kommenden Tagen, dass dann die Leute vor allen Dingen erst mal im Westen waren, diese neuen Möglichkeiten auslebten, und dann die Massenbasis, die wir hatten, eine zeitlang weg war. Und wir hatten eben die Befürchtung, dass das von der SED ausgenutzt wird, um die Entwicklung zu hintertreiben, wie wir damals immer überlegt haben: Vielleicht ist das eben der Coup der SED. Zum Schluss machen sie die Mauer auf, um den Druck abzulassen.

Na ja, die Umweltbibliothek war dann auch sozusagen eine lokale Gruppe geworden, aber wir verloren zunehmend an Bedeutung.

Wir hatten eine Pressekonferenz anberaumt - das muss im November gewesen sein - und es war niemand erschienen. Die "Taz" titelte "Die Revolution überholt ihre Speerspitze". Da waren wir durch die Entwicklung überholt.

Natürlich, es war eben die Zeit der großen Bewegungen. Es war nicht mehr die Zeit der kleinen Gruppen. Ich hätte mir gewünscht, dass etwas mehr von den Tugenden dieser Basisbewegung überlebt - große Gemeinschaft, quer durchs Land, gegenseitige Solidarität, all das hat sich eben dann verabschiedet, natürlich vor allen Dingen durch die Arbeit der westlichen Parteien, die dann völlig unverschämt Geld da reingepumpt haben in diesen Wahlkampf, mit ihren bunten Dingern, die wir uns natürlich nicht leisten konnten, dann das Land bestückt haben, auch mit großen Versprechungen, die man natürlich bloß so machen kann, wenn man sehr viel Geld hat. - "Blühende Landschaften" und dergleichen. Aber sie haben natürlich ihre Versprechungen auch nicht eingehalten, keine Frage.