"Mein Herz klopft da im richtigen Rhythmus"

Von Vanja Budde |
Miguel D'Andrade-Hurst hat einen bewegten Lebenslauf: Geboren im Schwarzwald, aufgewachsen in Greifswald, zur Schule gegangen in Guinea-Bissau, studiert in Lissabon. Heute lebt er in Angolas Hauptstadt Luanda - und will mithelfen beim Wiederaufbau nach fast 30 Jahren Bürgerkrieg.
Beim Interview unterm Hochbett seiner Schwester in Berlin-Kreuzberg ist Miguel D'Andrade ganz entspannt, obwohl er demnächst aufbrechen muss, um den Flieger nach Luanda zu erwischen. Rappelvoll wird der wieder sein, erzählt der zierliche 43-Jährige: Seit in Angola der Öl-Boom ausgebrochen ist, geben sich Manager aus Europa, den USA und China die Klinke in die Hand. Gleichzeitig lebt der Großteil der Angolaner in Armut. Öl-Reichtum und Korruption sind die neueste Entwicklung in Angolas dramatischer Geschichte.

Miguel D'Andrade-Hurst ist der Nachfahre eines Engländers, der im 19. Jahrhundert in Luanda sein Glück mit Singer-Nähmaschinen versuchte. Miguel wurde 1967 in Freiburg im Schwarzwald geboren, als jüngstes von vier Geschwistern.

"Da gab‘s so´n Fotohaus, da gab‘s ein Foto von uns vieren, vielleicht hängt das immer noch da. Das war ja so ein Vorort, in Kappel, und da war da so´n Foto von den schönen kleinen vier Negerlein, die doch in Kappel da waren."

Eine komplizierte Familiengeschichte, die Miguel D'Andrade-Hurst erzählt, doch typisch für die Kinder und Enkel angolanischer Freiheitskämpfer: Ein Großvater mütterlicherseits wird während des Unabhängigkeitskrieges ermordet. Miguels Mutter ist 15, als sie nach Lissabon flieht. Dort studiert sie und heiratet einen jungen Angolaner. Ihre politischen Aktivitäten für die Befreiungsbewegung sind der Kolonialmacht unter Salazar ein Dorn im Auge: Die beiden gehen nach Deutschland. Im beschaulichen Schwarzwald bleiben sie nicht lange: Sie glauben an den Sozialismus und ziehen in die DDR, als Miguel erst ein Jahr alt ist. Aufgewachsen ist er in Greifswald.

"Ich war ein ganz schlimmer Bube! Und man hat mich halt immer erwischt, weil das ja nicht so schwierig war: Schwarze gab es da nicht viele. Den kleinen Miguel hat man immer erwischt, in allem, was ich gemacht habe. Ich war junger Pionier und war nie bei den Versammlungen da, bin immer abgehauen. Ein blaues Halstuch - ich hatte eine normale Kindheit eigentlich."

Sie leben auf einem Bauernhof am Stadtrand, mit Pferden und Hühnern. Die Geschwister spielen Klavier und Trompete, Miguel soll Gitarre lernen, hat aber keine Lust, regelmäßig zu üben. Sein Vater ist Arzt, versorgt im Krankenhaus in Rostock verletzte angolanische Freiheitskämpfer. Das Engagement der Eltern in der MPLA, der "Volksbewegung zur Befreiung Angolas", führt die Familie 1976 nach Guinea-Bissau. Ein Kulturschock für den neunjährigen Miguel:

"Da hatte ich eine oder zwei Wochen totale Schwierigkeiten. Ich hab nur geweint, ich wollte zurück nach Deutschland. Alles hat gestunken, man hat zu viel auf den Boden gespuckt, es war sowieso viel zu warm, andauernd stand ich unter der Dusche (lacht). Aber dann habe ich mich eingelebt. Und das war schon wichtig, Afrika, für mich in diesem Moment."

Zum ersten Mal ist Miguel wegen seiner Hautfarbe kein Außenseiter. Damals begleitet er seinen Vater auch auf eine Reise nach Angola und verliebt sich in das nächtliche Lichtermeer der Hauptstadt Luanda. Doch kurz darauf versinkt das gerade unabhängig gewordene Land im Bürgerkrieg - die Familie zieht nach Lissabon.

Miguel, ein Luftikus, nimmt es mit der Schulpflicht nicht so genau, tritt als Sänger in Jazz- und Rockbands auf. Drei Mal bleibt er sitzen, erst auf der Schauspielschule ist er in seinem Element.

"Ein Künstler will ja kommunizieren. Und das war halt die Weise, die ich gewählt habe: Nicht Musik, sondern Rollen zu spielen. Aber ich wollte meine Sachen schreiben und meine Sachen sagen. Ich war dann in Vereinen wie SOS Rassismus, hab viel in den schwarzen Slums gearbeitet, als Lehrer. Und wir waren ja sowieso revolutionär aufgezogen worden und da habe ich halt meine Theatergruppe gemacht. Und das waren meine besten Jahre im Leben - bis jetzt."
Eine Theatergruppe nur mit Schwarzen, die meisten Exil-Angolaner wie er selbst. Miguel hat die Ideen, Freunde schreiben die Stücke, der portugiesische Staat unterstützt sie, die Truppe reist um die Welt, auch zu vielen Festivals in Afrika. Nebenbei spielt er viele Rollen in Seifenopern, wird eine Berühmtheit in Portugal und dessen ehemaligen afrikanischen Kolonien, verdient gutes Geld.

2002 endet der Bürgerkrieg in Angola endlich. Miguel ist 35, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Mara ist acht und Ricardo vier, als er sich entschließt, in Luanda im Auftrag der angolanischen Regierung die Filmindustrie wieder aufzubauen.

"Wir hatten nämlich gute Künstler und gute Schriftsteller und gute Filmemacher. Aber unsere drei Bürgerkriege, die haben alles zerstört. Jeder hat einen Toten in der Familie, mindestens."

Auf die Frage, was ihn an dem eigentlich doch fremden Land trotzdem so gefesselt hat, dass er Frau und Kinder in Lissabon zurück ließ, zögert Miguel D'Andrade-Hurst kurz.

"Das ist eine komplizierte - alles! Mein Herz klopft da im richtigen Rhythmus Auf einmal hatte ich ´ne Heimat, hatte ich ja nie. Dieses Gefühl, das war das Gute in Angola: Dazu zu gehören und helfen, das Land aufzubauen. Da kann man ja immer noch alles machen."

Miguel betreut heute Kulturprojekte für das neu gegründete Goethe-Institut in Luanda, arbeitet aber auch als Schauspieler und Filmemacher. Er hofft, dass nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Kultur aufblühen wird in seinem vom Krieg so beschädigten Land.

"Und dass die Kunst mal der beste Botschafter Angolas wird. Und das hat jetzt angefangen. Ich hoffe wirklich, dass noch richtig zu sehen. Dass es nicht nur für meine Enkelkinder ist."