Mein Lieblingsort

Ohne Bayerntümelei und Schischi

Ein Metallschild mit der Aufschrift "Stammtisch - Mir san mir!" hängt bei Regen in München über einem leeren Biergarten.
Ein Metallschild mit der Aufschrift "Stammtisch - Mir san mir!" hängt bei Regen in München über einem leeren Biergarten. © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Von Michael Watzke |
Jeder Bayer hat einen favorisierten Platz - für unseren Korrespondenten Michael Watzke ist das der Biergarten im Münchner Westpark, wo er ganz dringend Weizenbier trinken muss.
Mein Lieblingsplatz in Bayern ist der Biergarten. Auf einer Holzbank unter einer Kastanie, das Sonnenlicht zwinkert mir durch die Blätter zu, ich höre das Klirren der Masskrüge und gemächliche Schritte im Kiesboden. Vor mir eine selbst mitgebrachte Brotzeit und eine frische Radlermass. Das ist das Paradies!
Das Gute: dieses Paradies gibt es tausendfach in Bayern. Biergärten sind im Freistaat so häufig wie Büdchen in Köln oder Currywurststände in Berlin. Allein in München gibt es über 500 Biergärten. Man kann siebzig Jahre an der Isar leben und kennt trotzdem noch nicht alle.
Jeder Bayer hat seinen Lieblings-Platz. Meiner ist im Münchner Westpark. Jeden Montagabend spiele ich dort mit Freunden auf einer Wiese Fußball. Nach zwei Stunden sind wir verdreckt, verschwitzt, mit blauen Flecken übersät – und völlig dehydriert. Dann geht's an die Weißbier-Theke des Westpark-Biergartens. Der Wirt dort kennt uns schon. "Habt's Ihr wieder nicht geduscht?" fragt er in typisch Münchnerischem Grant. Wir erklären ihm dann jedesmal, dass wir in der Umkleidekabine wahrscheinlich verdurstet wären – und dass wir jetzt ganz dringend zehn Weizen brauchen, wegen der Elektrolyte. Gerade in der Sommerhitze ist es ganz wichtig, genug zu trinken.
Der Biergarten am Westpark gefällt mir deshalb so gut, weil er so uneitel ist. Kein Schschi mit Rehpinscher wie im Biergarten am Seehaus. Auch keine Bayerntümelei mit Lederhosen und Trachtenjanker wie im Hirschgarten. Sondern abgegriffene Bänke, Biertische mit eingeritzten Liebesschwüren, eine Theke mit spärlich-ehrlicher Essens-Auswahl, also Würstel, Hendl und Brezn – mehr nicht. Der einzige Schmuck ist eine rot-grün-blaue Lichterkette, die über den Biertischen baumelt.
Der Biergarten hat die Abendzeitung überlebt
Die Frau an der Kasse ist wahrscheinlich die Oma des Besitzers, sie spricht kaum deutsch, die wenigen Sätze, die sie sagt, klingen wie eine Mischung aus albanisch, niederbayerisch und dritten Zähnen. Aber ihr Lachen ist eine Attraktion! Es gibt keine Blasmusik, weder live noch vom Band. Das ist uns Fußballern recht, so können wir uns besser über das Bundesliga-Wochenende unterhalten und über unsere eigenen Fußballkünste unterhalten.
In den Biergarten am Westpark hat sich mit Sicherheit noch kein Tourist verirrt. Ich habe jedenfalls noch nie einen gesehen. Was sollte er auch hier? Das Bier ist nicht besser als anderswo, die Brezn nicht frischer, der Obatzde nicht würziger. Die riesigen Münchner Biergärten am Chinesischen Turm und beim Augustiner bieten mehr Service und größere Abwechslung. Aber der Westend-Biergarten ist mein Biergarten. Unser Biergarten. Hier sind wir zuhause – jeden Montagabend.
Vor einiger Zeit hat die Münchner Abendzeitung ein Biergarten-Ranking veröffentlicht. Mit den Kriterien Gemütlichkeit, Charme, Auswahl, Qualität und was weiß ich sonst noch alles. Der Biergarten am Westpark hat den letzten Platz belegt - als "hässlichster Biergarten Münchens". "Kaum Speisen-Auswahl!" "Kein Charme!" "Unfreundliche Bedienung!" und so weiter stand da. Erst wollte ich mich per Leserbrief beschweren. Aber dann dachte ich, das lohnt sich gar nicht: die Abendzeitung ist doch längst pleite. Die erscheint höchstens noch ein paar Wochen. Unser Biergarten am Westpark dagegen wird auch in zehn Jahren noch stehen.
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