Mein Radio hat Ohren
Medienkünstler, Theoretiker und Radiopraktiker trafen sich in Berlin, um über die Zukunft des Radios in Zeiten von Podcasts und Digitalisierung nachzudenken. Organisiert war die Tagung vom Masterstudiengang Online-Radio der Martin-Luther Uni Halle-Wittenberg , vom Fachbereich Experimentelles Radio der Bauhaus-Universität Weimar und von der "Breitband"-Redaktion des Deutschlandradios.
24 Stunden Deutschlandradio Kultur in einer Minute – ist das die akustische Zukunft? Schneller und viel, viel mehr an Informationen, Tönen, Klängen, Daten. Die Collage von Moritz Metz ist eine mögliche Antwort auf Fragen, die Radiomacher gestern und heute in Berlin diskutierten.
"Wann ist es denn eigentlich ein Radio?"
… fragt zum Beispiel Golo Föllmer vom Studiengang Online-Radio von der Uni Halle-Wittenberg, denn:
"Dieses Nachhören über Podcasts, das Hören in mobilen Situationen …"
Diese nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, Sendungen im Internet nachzuhören, runterzuladen und beliebig zu kombinieren, verändern das Medium Radio.
Golo Föllmer: "Wenn mich jetzt ein Live-Radio anspricht und sagt, wir haben die und die Uhrzeit, ich bin als Sender da und da ... da ist es ja ’ne ganz andere Hörsituation, als wenn ich aus dem Archiv mir Schnipsel hole und die eigenständig zusammenfüge und versuche, daraus einen Sinn zu schaffen."
Das Radio im Internet bietet neue Möglichkeiten, die Fluten an Daten und Informationen ganz neu zu verarbeiten.
Golo Föllmer: "Wir können nur sagen, hier passieren gerade die Experimente, das ist bei Spiegelungen in neue Sinnesebene."
Was Föllmer damit meint, zeigt das Projekt des Medienkünstlers Anselm Nehls. Er hat die Kurznachrichten, die täglich über das Interplattforum Twitter von den Usern hin und her geschickt werden, in Töne umgesetzt:
"Ich hab das Projekt Tweetscapes entwickelt, das ist eine Verklanglichung sämtlicher deutscher Twitterdaten, und zwar in Echtzeit, das heißt, immer wenn irgendwo jemand in Deutschland twittert oder ein Tweet abschickt, dann entsteht ein Klangereignis daraus. Und aus der Gesamtsumme, die nach bestimmten Mustern verklanglicht werden, kann man Dinge ablesen, zum Beispiel, wann ein Thema besonders stark diskutiert wird zu ’nem bestimmten Tag oder ’ner bestimmten Minute. Man hört die Rhythmen des Dialogs im sozialen Netzwerk."
Nehls’ Tweetscape lief auf diesem Programm in der Rubrik "Geräusch der Monats". Die Daten werden dank digitaler Technik zum Klingen gebracht. Aber vor allem ermöglicht digitale Technik den Nutzern und Zuhörern, aktiv ins Programm einzugreifen:
"Man kann da mitspielen, man kann sich verabreden mit Freunden und sagen, wir wollen da mal ’ne Melodie draufspielen. Wir finden heraus, welche Worte welche Sounds auslösen, dann senden wir in bestimmten Rhythmen Tweets ab und spielen ’ne Melodie damit. Kann man alles machen."
Im Zeitalter des Internets werden die Grenzen zwischen passiven Hörern und aktiven Programmgestaltern immer durchlässiger.
"Die hierarchische Kommunikation vom Radio runter auf die Hörer funktioniert nicht mehr.”"
Auf der anderen Seite der Studioglasscheibe stehe keine unsichtbare Hörermasse mehr, sagt der italienische Mediensoziologe und Radiomacher Tiziano Bonini, sondern
"die Hörer sind selbst zu Medien geworden, die von anderen Leuten gehört werden und die selber für irgendwas Fachleute sind."
In Boninis Programm "Voi siete qui" (Ihr seid hier), das täglich auf dem privaten Sender Radio 24 läuft, fordert er die mediale Kompetenz seiner Hörer und Hörerinnen heraus:
"”Es ist ein Erzählformat, das von den Geschichten der Hörer lebt. Die schicken uns die Zuhörer ein, und wir machen daraus eine Art Doku-Fiktion, ein Live-Hörspiel. Die Geschichten sind wahr, aber wir erzählen sie wie eine fiktive Radio-Seifenoper.""
Noch einen Schritt weiter geht der Medienkünstler Udo Noll mit seinem Radio Aporee:
"Eins der Langzeitprojekte von Radio Aporee ist die Klangkarte der Welt. Diese Karte ist offen, und man kann sehr leicht Sounds selber betragen."
Fast 20.000 Aufnahmen aus allen Gegenden der Welt haben User auf Nolls Radio Aporee hochgeladen. Eine interaktive Landkarte auf der Homepage zeigt die Tondateien an. Aber daneben läuft auf der Seite auch rund um die Uhr ein Radioprogramm aus allen Aufnahmen. Ein Café in Leipzig, gefolgt von Ozeanwellen, gefolgt von australischem Dschungel. Zur Zeit versucht Noll, die zufällige Wiedergabe durch eine User-generierte zu ersetzen: Je nachdem, wo sich die User aktuell aufhalten, würde sein Internetradio dann Aufnahmen aus deren jeweiliger Umgebung abspielen …
"… so zum Beispiel, dass das Radio seine Hörer entdeckt."
Nolls Traum vom Radio ist nicht die endlose Sammlung unterschiedlicher Tonkonserven, die jeder nach Belieben herunterladen kann, sondern ein Programm, dass alle wie eh und je gleichzeitig hören, nur eben mit einem entscheidenden Unterschied:
"Mein Radio hat Ohren, mein Radio hört seine Hörer, mein Radio nimmt den Hörer wahr und verändert sich, während es seine Hörer hört."
Ein Radio mit Ohren? Noch ist das Zukunftsmusik ,aber an diesem Wochenende in Berlin schien die Utopie vom neuen alten Radio nur noch ein paar Mausklicks weit entfernt.
"Wann ist es denn eigentlich ein Radio?"
… fragt zum Beispiel Golo Föllmer vom Studiengang Online-Radio von der Uni Halle-Wittenberg, denn:
"Dieses Nachhören über Podcasts, das Hören in mobilen Situationen …"
Diese nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, Sendungen im Internet nachzuhören, runterzuladen und beliebig zu kombinieren, verändern das Medium Radio.
Golo Föllmer: "Wenn mich jetzt ein Live-Radio anspricht und sagt, wir haben die und die Uhrzeit, ich bin als Sender da und da ... da ist es ja ’ne ganz andere Hörsituation, als wenn ich aus dem Archiv mir Schnipsel hole und die eigenständig zusammenfüge und versuche, daraus einen Sinn zu schaffen."
Das Radio im Internet bietet neue Möglichkeiten, die Fluten an Daten und Informationen ganz neu zu verarbeiten.
Golo Föllmer: "Wir können nur sagen, hier passieren gerade die Experimente, das ist bei Spiegelungen in neue Sinnesebene."
Was Föllmer damit meint, zeigt das Projekt des Medienkünstlers Anselm Nehls. Er hat die Kurznachrichten, die täglich über das Interplattforum Twitter von den Usern hin und her geschickt werden, in Töne umgesetzt:
"Ich hab das Projekt Tweetscapes entwickelt, das ist eine Verklanglichung sämtlicher deutscher Twitterdaten, und zwar in Echtzeit, das heißt, immer wenn irgendwo jemand in Deutschland twittert oder ein Tweet abschickt, dann entsteht ein Klangereignis daraus. Und aus der Gesamtsumme, die nach bestimmten Mustern verklanglicht werden, kann man Dinge ablesen, zum Beispiel, wann ein Thema besonders stark diskutiert wird zu ’nem bestimmten Tag oder ’ner bestimmten Minute. Man hört die Rhythmen des Dialogs im sozialen Netzwerk."
Nehls’ Tweetscape lief auf diesem Programm in der Rubrik "Geräusch der Monats". Die Daten werden dank digitaler Technik zum Klingen gebracht. Aber vor allem ermöglicht digitale Technik den Nutzern und Zuhörern, aktiv ins Programm einzugreifen:
"Man kann da mitspielen, man kann sich verabreden mit Freunden und sagen, wir wollen da mal ’ne Melodie draufspielen. Wir finden heraus, welche Worte welche Sounds auslösen, dann senden wir in bestimmten Rhythmen Tweets ab und spielen ’ne Melodie damit. Kann man alles machen."
Im Zeitalter des Internets werden die Grenzen zwischen passiven Hörern und aktiven Programmgestaltern immer durchlässiger.
"Die hierarchische Kommunikation vom Radio runter auf die Hörer funktioniert nicht mehr.”"
Auf der anderen Seite der Studioglasscheibe stehe keine unsichtbare Hörermasse mehr, sagt der italienische Mediensoziologe und Radiomacher Tiziano Bonini, sondern
"die Hörer sind selbst zu Medien geworden, die von anderen Leuten gehört werden und die selber für irgendwas Fachleute sind."
In Boninis Programm "Voi siete qui" (Ihr seid hier), das täglich auf dem privaten Sender Radio 24 läuft, fordert er die mediale Kompetenz seiner Hörer und Hörerinnen heraus:
"”Es ist ein Erzählformat, das von den Geschichten der Hörer lebt. Die schicken uns die Zuhörer ein, und wir machen daraus eine Art Doku-Fiktion, ein Live-Hörspiel. Die Geschichten sind wahr, aber wir erzählen sie wie eine fiktive Radio-Seifenoper.""
Noch einen Schritt weiter geht der Medienkünstler Udo Noll mit seinem Radio Aporee:
"Eins der Langzeitprojekte von Radio Aporee ist die Klangkarte der Welt. Diese Karte ist offen, und man kann sehr leicht Sounds selber betragen."
Fast 20.000 Aufnahmen aus allen Gegenden der Welt haben User auf Nolls Radio Aporee hochgeladen. Eine interaktive Landkarte auf der Homepage zeigt die Tondateien an. Aber daneben läuft auf der Seite auch rund um die Uhr ein Radioprogramm aus allen Aufnahmen. Ein Café in Leipzig, gefolgt von Ozeanwellen, gefolgt von australischem Dschungel. Zur Zeit versucht Noll, die zufällige Wiedergabe durch eine User-generierte zu ersetzen: Je nachdem, wo sich die User aktuell aufhalten, würde sein Internetradio dann Aufnahmen aus deren jeweiliger Umgebung abspielen …
"… so zum Beispiel, dass das Radio seine Hörer entdeckt."
Nolls Traum vom Radio ist nicht die endlose Sammlung unterschiedlicher Tonkonserven, die jeder nach Belieben herunterladen kann, sondern ein Programm, dass alle wie eh und je gleichzeitig hören, nur eben mit einem entscheidenden Unterschied:
"Mein Radio hat Ohren, mein Radio hört seine Hörer, mein Radio nimmt den Hörer wahr und verändert sich, während es seine Hörer hört."
Ein Radio mit Ohren? Noch ist das Zukunftsmusik ,aber an diesem Wochenende in Berlin schien die Utopie vom neuen alten Radio nur noch ein paar Mausklicks weit entfernt.