Mein Teppich im Auktionshaus

Wenig Bares für Rares

30:09 Minuten
Der Autor Eberhard Schade mit seinem Teppich auf der Schulter.
Der Reporter schultert ein letztes Mal seinen schweren, alten Teppich. © Deutschlandradio / Eberhard Schade
Von Eberhard Schade |
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40 Jahre liegt ein alter Teppich auf dem Speicher der Schwiegermutter unseres Autors - bis sie ihn plötzlich verkaufen möchte. In einem 100 Jahre alten Berliner Auktionshaus taucht der Reporter in die Welt der Händler und Sammler ein.
Da liegt er nun zusammengerollt in meinem Keller: ein alter schwerer afghanischer Teppich. 40 Jahre war er auf dem Speicher meiner Schwiegermutter. Sie hat mal in Pakistan gelebt, ihn dort sicher ziemlich günstig gekauft. Jetzt will sie ihn verkaufen. "Das machst du doch, oder", hat sie mich gefragt.
Ich hab keine Ahnung vom Verkauf alter Teppiche, bin aber ein gutmütiger Mensch und habe ja gesagt. Der Teppich kommt aus Belutschistan. Be-lu-tschis-tan! Wo liegt das überhaupt? Und warum in aller Welt knüpft man dort so große und vor allem so schwere Teppiche?
Nun gut, zumindest eine Person scheint sich für meinen alten Afghanen zu interessieren. Susanne Link vom Auktionshaus Leo Spik am Berliner Kurfürstendamm. Dort habe ich einfach mal angerufen. Und ihr darf ich – trotz Corona – meinen Teppich bringen und ihn im Eingangsbereich des Auktionshauses abwerfen.
Dummerweise fällt dabei ausgerechnet die Ecke mit dem Flicken nach vorne, sodass man hier, bei Spik, gleich von 400 auf 350 Euro runtergeht mit dem Einstiegspreis – nächsten Samstag bei der Auktion.

Man kennt sich, begrüßt sich mit Namen

Ein paar Tage später ist offizieller Besichtigungstag bei Leo Spik. Natürlich schaffen es nicht alle 1736 Stücke in den Flur und die fünf Ausstellungsräume der knapp 300 Quadratmeter großen Altbauwohnung. Mein Teppich leider auch nicht. Er steht zusammengerollt in einer Kammer.
Viel los ist nicht, hier und da steht ein Kunde interessiert vor einer Kommode oder einem Bild. Sobald sie oder er sich dann fragend umschaut, steht auch schon jemand aus dem Auktionshaus daneben mit der Antwort. Das Ganze wirkt ziemlich eingespielt. Man kennt sich offenbar, begrüßt sich mit Namen.
Blick in einen mit Möblen, Teppichen und Bildern vollgestellten Raum. 
Rares auf fast 300 Quadratmetern: die Ausstellungsräume des Auktionshauses.© Archiv Leo Spik
"Es sind viel alte Kunden, die alle drei Monate zur Besichtigung kommen. Man macht alle drei Monate den kleinen Smalltalk. Freut sich, sagt 'Guten Tag, wie geht´s?'. Unser Gros besteht sicher aus 40 bis 50 Prozent alter Berliner Kunden."

Biedermeier geht immer

Oft sind auch junge Leute darunter, die sich gerade einrichten und eigentlich recht preiswerte hochwertige Möbel aus einer Auktion mit modernen Möbeln mischen. Biedermeier zum Beispiel, gehe immer. Barockschränke oder Sekretäre dagegen haben es schwer, was Susanne Link, die von manchen Möbelstücken wie von alten Freunden spricht, auch nach 50 Jahren nicht kalt lässt.
"Das tut mir oft so leid, wir hatten früher Tabernakelschränke für 80.000 Mark. Wir haben dahinten einen sehr schönen Schreibschrank stehen, der hat garantiert 25.000 Mark gekostet. Der ist jetzt angesetzt mit 4000 Euro. Alle Barockmöbel sind sehr schlecht dran."
Und, ich hatte es fast schon befürchtet: Bei Teppichen sieht es ähnlich düster aus. "Das ist zum Beispiel ein Turkmene, ein schöner Buchara. Das waren immer früher die Herrenzimmerteppiche. So ein Teppich hat früher, als ich bei Spik angefangen habe, 18.000 Mark gekostet. Jetzt kostet er 800 Euro."

Eine Taschenuhr vom Zaren Nikolaus

Susanne Link hat sich in den 60er-Jahren als Studentin bei Leo Spik beworben, damals noch als Aushilfe. Und ist immer noch da, gehört fast schon zum Inventar des Auktionshauses. Direkt vor uns liegt jetzt ein feiner, geschmeidiger Shirwan aus Aserbaidschan. Doppelt so alt wie mein Afghane, aber ohne Flicken und in einem Top-Zustand. "Früher haben die mal 10.000 Mark gekostet, aber das ist vorbei."
Eine ältere Dame sitzt in einem mit Büchern vollgestellten Büro. 
Reise in eine analoge Welt: Susanne Link an ihrem Büro bei Leo Spik. © Deutschlandradio/Eberhard Schade
Was dagegen immer geht, ist Schmuck. Susanne Link klickt die beiden Gläser ihrer kleinen blauen Brille mit Magnetverschluss auf ihrer Nasenspitze zusammen. Als sie sich dann über die Vitrine mit Broschen, Halsketten und Ohrringen beugt, spürt man sofort: Möbel und Teppiche - das gehört zu ihrem Pflichtprogramm. Schmuck dagegen zur Kür.
Behutsam breitet sie einige Stücke auf dem Deckglas der Schmuckvitrine aus. Eine über hundert Jahre alte Geschenktaschenuhr vom Zaren Nikolaus zum Beispiel mit dessen Initialen, eingraviert vom Schweizer Uhrmacher Pawel Buhre. Einstiegspreis: 3200 Euro. Oder einen mit Gold, Saphiren und Rubinen besetzten Anhänger aufgefasst mit kleinen Diamanten. Eine Geschenkbrosche von Kaiser Wilhelm II. Einstiegspreis hier: 4500 Euro.

Lupenreine Brillanten von Tiffany

Die meisten der Schmuckstücke, die am Wochenende unter den Hammer kommen, sind nicht so alt, stammen aus den 70er-, 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts - aus dem Nachlass einer Modejournalistin.
Darunter auch die Nummer 958, eines der Highlights der Auktion 675. Ein Diamant-Rosettenanhänger mit einer Naturperle im Zentrum, den man auch als Brosche tragen kann. "Der lag auch im Nachlass", erzählt Susanne Link. Unangekündigt. Ein Glücksfall. Signiert von Charles Tiffany in New York. Acht Karat, alles Altschliffbrillianten. Das Wissen der Autodidaktin fliegt mir nur so um die Ohren.
"Die sind normalerweise so ein bisschen gräulich. Und der blitzt und blinkt, weil der Charles Tiffany nur die besten Steine gekauft hat, die man auf dem Markt haben konnte. Die sind fast alle lupenrein."
Tiffany Brosche.
Die Tiffany-Brosche - buchstäblich ein Schmuckstück aus dem Auktionsangebot.© Johannes Zappe
Auch, weil sie der Star-Juwelier in Silber eingefasst hat, nicht in Platin, erzählt Susanne Link weiter. Bei Platin würde das Silber anlaufen und die Steine sich schwarz verfärben. "Tiffanys Kollegen in Russland wurden dafür auch schon mal aufgehängt" schiebt sie fast schon beiläufig hinterher.
Woher weiß sie das alles, frage ich sie. "Steht doch alles in den Büchern", antwortet sie, "in meinem Büro". Das liegt im vierten Zimmer zur Straße, ganz am Ende des Flurs. Und ist ein mit dicken Büchern und Katalogen bis zur Decke vollgestopfter hoher Raum, in dessen Mitte zwei Schreibtische stehen. Auf denen türmen sich Berge von Papier. Auf dem Schreibtisch von Susanne Link steht kein Laptop oder Computerbildschirm – der ganze Raum ist eine Reise in eine analoge Welt.

Der Boom kommt mit der Ölkrise

Susanne Link könnte stundenlang erzählen von der guten alten Zeit. Dem Jahr 1973, als Antiquitäten in Folge der Ölkrise plötzlich einen Boom erlebt haben und damit auch ihr Job plötzlich krisensicher war. Von US-amerikanischen Anwälten, die noch in den 80er-Jahren gar nicht genug kriegen konnten von den dunklen, schweren Schreibtischen aus der Gründerzeit und den windigen Händlern, die sie ersteigerten.
2 Männer auf einer historischen Aufnahme von 1919 vor einem Geschäft.
Kurz vor Weihnachten im Jahr 1919 eröffnete Leo Spik sein erstes Kunst -und Antiquitätengeschäft. © Archiv Leo Spik
Über die Jahre hat sich Susanne Link so bei Leo Spik in alles irgendwie reingefuchst und irgendwann um fast alles mal gekümmert. "Ich bin in den Preußenpark am Sonntag, mit des Kaisers Silberbuch, hab´ mich auf eine Bank gesetzt und darin gelesen, damit ich weiß, wie die überhaupt aussehen."
Beim Bestücken der Kataloge für die Auktionen schreibt sie noch heute alle Bildunterschriften und Beschreibungen selbst – und wählt dafür immer noch lieber den etwas umständlicheren Weg, damit sie eine Vorstellung von dem jeweiligen Stück bekommt.
"Wir, wenn wir nummeriert haben, hatten wir solche Listen. Wir hatten keine Fotos. Also musste man immer nach der Beschreibung den Gegenstand finden. Also hat man gelesen und weil man gelesen hatte und dann finden musste, blieb ja schon mal was im Kopf. Alle anderen machen den Laptop an, haben gleich das Foto, lesen nix und wissen nur, das sieht so aus. Und was es wirklich ist, haben sie eigentlich keine Ahnung."

Eine Frage des Vertrauens

Sie aber hat Ahnung - auch von den Silberarmbändern aus den 70er- Jahren, ebenfalls aus dem Nachlass der Modejournalistin. Das weiß auch eine Stammkundin, die schon ganz ungeduldig an der Schmuckvitrine auf Susanne Link wartet. Die Nummer 1017 muss es sein: ein 17 Zentimeter langes Diamant-Rubinarmband mit insgesamt 102 kleinen Brillanten und drei Rubinen in Blütenform.
Es gibt da aber ein Problem. Denn "hier", also ums rechte Handgelenk, will es einfach nicht passen. Weil die Kundin jahrzehntelang in der Oberliga Tennis gespielt hat und dadurch ihr Handgelenk leicht angeschwollen ist. Weil sie es aber so sehr will, probiert sie es jetzt noch einmal. Spannt das Rubinarmband ganz eng neben ihren beiden anderen Armbändern: Es hilft nichts. Die 17 Zentimeter reichen einfach nicht.
Rubinarmband.
Das Rubinarmband, das Frau Link ihrer Kundin anvertraut.© Johannes Zappe
Die Frau, die komplett in altrosa gekleidet ist und dazu Tennisschuhe trägt, schüttelt enttäuscht den Kopf. Susanne Link aber lächelt, sie weiß längst Rat. Schlägt das mit 2000 Euro Einstiegspreis veranschlagte Armband in ein weißes Baumwolltüchlein und schiebt es ihrer Kundin einfach über den Tisch. Die soll damit zu einem Juwelier ein paar Straßen weiter gehen und fragen, was es kosten würde, es zu verlängern. Kundin und Verkäuferin vertrauen sich. Suchen beide nach einer pragmatischen Lösung.
"Denn es hat keinen Sinn, dass sie das jetzt kauft und dann sagt der, das kostet so viel wie das ganze Armband. Und vor allem, es muss ein bisschen locker sein. Das ist nicht schön, wenn das so stramm ist." Das stimmt. Und irgendwie spürt Susanne Link wohl auch, dass der Juwelier von nebenan alles geben wird, damit die Frau in Altrosa am Samstag wiederkommt. Am eigentlichen Tag der Auktion also, wenn es dann zum Showdown kommt.

Sammlerin mit klarem Schlachtplan

Die nächste Kundin ist auch nicht wegen Teppichen hier. Sie interessiert sich bei der Vorbesichtigung für die Nummer 1033, einen kleinen Smaragd-Diamantring. Anne-Katrin P. ist Stammkundin im Auktionshaus, schon ihr Vater, ein Zahnarzt aus Berlin-Zehlendorf, hat hier viel ersteigert. Sie hat offenbar einen klaren Schlachtplan fürs Wochenende. Hat sich beim Silber zwei, drei Dinge ausgesucht, will dafür die Gebote schriftlich einreichen, genauso für eine Lampe. Für Schmuck und Möbel will sie zur Auktion kommen.
"Es sind heute nur kleine Sachen, für die ich mich interessiere, das ist da vorne ein Stuhlpaar, dann interessieren wir uns für ein Bild von einem, der den Schlachtensee gemalt hat, und daran hat er Interesse." Er ist Jan, ihr Mann - mittlerweile auch auf den Geschmack gekommen.
Das Bild vom Schlachtensee im Abendlicht hängt im Nebenraum. Beide stehen jetzt direkt davor. Anne-Katrin P. rümpft die Nase unter der Atemschutzmaske. "Er findet es super, ich fand es von der Perspektive schwierig, ich bin nicht so der absolute Fan davon. Wir haben gerade noch Probleme mit der Größe. 1,50 Meter mit Rahmen ist schon was, da braucht man Abstand. Wir müssten was umhängen."
Das Bild des Malers Rudolf Hellgrewe ist dem Sammlerpaar dann doch eine Nummer zu groß.
Das Bild des Malers Rudolf Hellgrewe ist dem Sammlerpaar dann doch eine Nummer zu groß. © Johannes Zappe
Wie sieht ein Haus eines Sammlerpaars wohl von innen aus? Hängen da lauter 1,50 Meter große alte Bilder mit Barockrahmen nebeneinander oder stapeln sie sich auf dem Dachboden?
Anne-Katrin P. und ihr Mann Jan haben nichts dagegen, dass ich sie zwei Abende vor der Auktion kurz besuche. Vorbei an einem großen, sehr tiefen Biedermeierschrank im Flur, führen sie mich in ihr Wohnzimmer: ein gelungener Stilmix aus modernem Design und ersteigerten Sammlerstücken. Wie der Stuhl im Kolonialstil, auf dem Anne-Katrin P. mir gegenüber sitzt. Oder die klassizistische Kommode an der Wand, zu der sie gerne die zwei Sessel aus Mahagoni aus der gleichen Epoche stellen würde, die am Wochenende bei Spik versteigert werden.

Möbel als Hobby und Leidenschaft

Sind die Möbel gesteckt und verleimt und nicht genagelt? Ist das Holz aus einem Schnitt und nicht zusammengesetzt? Ist es gleich alt oder Schmu drin? Das sind die Sachen, die beide vorher, beim Besichtigungstermin im Auktionshaus checken. Ich schaue mich um, alte Teppiche wie meinen Afghanen sehe ich leider nirgends. Sonst hätte ich mir gern noch etwas Expertise eingeholt. Das Möbelsammeln war ein Hobby ihres Vaters, erzählt Anne-Katrin P. Irgendwann habe er sie einfach zu den Auktionen mitgenommen.
Eine Frau und ein Mann vor einer Hauswand fotografiert.
Möbel als Hobby: Anne-Katrin P. und ihr Mann Jan sind leidenschaftliche Sammler. © Deutschlandradio/Eberhard Schade
"Und ich war so ein verschrobenes Kind, ich war immer sehr still. Wir waren fünf und ich war das einzige, die das toll fand und für mich war das Papa-Zeit. Und er hat mich mitgenommen. Wir waren in Hannover bei Auktionen, in München, immer bei Spik. Und er hat´s mir erklärt. Er hat mir die Stilrichtungen erklärt, er hat mir erklärt, Du musst ein Möbel auch hinter dem Zeithorizont verstehen, als schau dir an, was ist in der Zeit passiert. Im Biedermeier, im Klassizismus, im Barock, Rokoko. Er hat mir gesagt, welche Literatur dazugehört. Die Philosophen. Das hat mich irgendwie fasziniert. Das hat mich begleitet und so bin ich da reingewachsen."
"Und als ich dann ein bisschen älter war und mein eigenes Geld verdient habe, habe ich dann auch angefangen, klein zu ersteigern. Dann mit ihm zusammen. Er hat´s mir auch gezeigt, wie das geht. Wann ich zucken muss oder mich melden muss. Und das war dann bis zum Schluss so unsere Gemeinsamkeit und das war schön, hat Spaß gemacht." Mittlerweile ist aus dem Spaß eine echte Leidenschaft geworden. Und aus Anne-Katrin P. ein Profi, der weiß, dass man besser nicht bei jeder Auktion ein Liebhaberstück für sich entdeckt. Wie den Sekretär mit den wunderschönen Intarsien oben in ihrem Arbeitszimmer. "Da war ich hinterher so fertig, als wäre ich ein Marathon gelaufen. Da war ich schon vorher fertig, also da war die Aufregung sehr groß."

Der "Kick der Freude" beim Zuschlag

Und die hatte am Ende auch ihren Preis."Ja, der war umkämpft, weil er auch so schön ist. Es war schon ordentlich drüber. Fast 1000 Euro waren es dann schon mehr, aber er war´s wert!" Ihr Mann Jan nickt, ist mittlerweile auch ganz schön angefixt.
"Dieser Kick der Freude, wenn man den Zuschlag bekommen hat, das ist schon ein richtig tolles Gefühl. Das kann auch eine kleine Sache sein bis zu einem Sekretär, wo man ein Glücksgefühl über eine ganz ganz lange Zeit hat. Es ist der Kitzel bis man dann drin sitzt, dann merkst du schon, dann kriegst du nasse Hände. Das ist Aufregung bis zum Schluss und das macht richtig richtig Spaß."

Der Auktionstag ist gekommen

Zwei Tage später ist endlich soweit. "Heute Auktion" steht auf einer Klapptafel vor der Hausnummer 66 am Ku’damm. Die Fenster bei Leo Spik sind mit dicken Gittern verrammelt, doch drinnen brennt Licht und brummt die Klimaanlage.
Zwei Frauen und ein Mann stehend an einem Tisch - eine Frau und eine Mann telefonierend. 
Teamwork: Während ihre Kollegen Gebote am Telefon entgegennehmen, behält Susanne Link den Überblick im Saal. Eine Aufnahme aus der Zeit vor Corona.© Archiv Leo Spik
Die beiden großen Ausstellungsräume sind genau aufgeteilt. Im vorderen Bereich sitzt die gesamte Spik-Mannschaft an sieben kleinen antiken Tischchen. Vor Kopf die erste Auktionärin. Links flankiert von drei Kollegen, die am Laptop Online-Gebote verfolgen. Die Kollegen rechts nehmen Telefongebote an oder rufen Bieterinnen und Bieter selbst angerufen, ob sie weitermachen oder lieber aussteigen wollen.
Mittendrin sitzt Spiks Chefin, Susanna Beder, und füllt fleißig Verkaufsscheine aus.

Käsecroissants als Nervennahrung

Im hinteren Raum sitzt die Kundschaft. Natürlich auf Abstand. Ein Möbel- und Münzenhändler mit seinem Sohn, ein feiner älterer Herr in Breitcordhose, dunklem Zweireiher und Budapester Schuhen. Eine sehr alte Dame mit einer Reclam-Ausgabe der Legende vom Ozeanpianisten auf dem Schoß. Eine Familie. Und natürlich die Frau in Altrosa. Auf ihrem Schoß liegt eine Tüte mit frischen Käsecroissants. Nervennahrung. Anne-Katrin P. und ihr Mann sind spät dran, noch nicht da.
Susanne Link übernimmt bei der Nummer 850, den Ikonen. Sie trägt einen apricotfarbenen Blazer, dazu ein passendes Seidentuch und eine dezente Brosche. Und auf der Nasenspitze natürlich die blaue Lesebrille mit Klickverschluss. Höflich, aber bestimmt arbeitet sie sich durch die fast einhundert Ikonen, Taschen- und Armbanduhren, Dosen und Miniaturen.
Sie strahlt, als die alte Dame mit dem Reclamheft für 370 Euro den Zuschlag für eine Uhrkette bekommt. Ärgert sich aber auch über die beiden Händler in der Reihe dahinter. Weil die immer wieder versuchen, in Schritten von zehn Euro zu bieten oder sogar den Einstiegspreis zu unterbieten. So etwas mag sie nicht. Und als die beiden das merken, machen sie es extra. Nur, um sie zu ärgern. Solange, bis Susanne Link einmal ein nicht ganz politisch korrektes: "Wir sind doch hier nicht auf einem Basar" herausrutscht.
Die Diamantbrosche von Kaiser Wilhelm II. und der Diamant-Rosettenanhänger von Tiffany gehen nicht weg. Und damit in den Nachverkauf oder die nächste Auktion.

3200 Euro für ein viel zu enges Armband

Mittlerweile sind auch Anne-Katrin P. und ihr Mann Jan da. Beide haben wegen der Abstandsregeln nur einen Platz in der letzten Reihe bekommen, verfolgen die Auktionsnummern auf einem Smartphone. Bis zur Nummer 1033, dem kleinen Smaragd-Diamantring und dem dazu passenden Armband wird es noch eine gute halbe Stunde dauern.
Anne-Katrin P. wirkt cool, sitzt mit überschlagenen Beinen und verschränkten Armen auf ihrem Stuhl.
Dafür bringt sich jetzt die Frau in Altrosa in Stellung. Legt die Tüte mit den Croissants beiseite, setzt sich aufrecht an einen kleinen Tisch und fährt mit dem Finger aufmerksam von Nummer zu Nummer im Katalog. Bis Susanne Link endlich bei der Nummer 1017 angekommen ist: das "unerlässliche" Diamant-Rubinarmband.
Dann kommt alles so, wie es kommen musste. Die Frau in Altrosa geht mit. Erhöht erst auf 2000, nach zwei Gegengeboten noch einmal auf 2400 und 2800 Euro. Als der einzige Mitbieter im Internet dann die 3000er-Marke knackt, spricht Susanne Link ihre Stammkundin im Saal direkt an. Die zieht ihre Maske herunter, schnauft und hebt dann noch ein letztes Mal die Hand.
Wahnsinn. 3200 Euro für ein viel zu enges Armband. Die Frau in Altrosa nimmt ihren Verkaufsschein, geht damit gleich zur Kasse und lässt sich dann erschöpft auf einen Stuhl im Gang fallen. Langsam scheint ihr zu dämmern, dass sie mit Gebühren und den Kosten für die Änderung am Ende über 5000 Euro ausgegeben hat – andere kaufen sich davon einen Gebrauchtwagen.

Die Angst vor den Abräumern

Vor genau solchen Abräumerinnen hat Anne-Katrin P. Angst, hat sie mir bei meinem Besuch vor zwei Tagen noch gesagt. Jetzt sitzt auch sie aufrecht, leicht nach vorn gebeugt auf ihrem Stuhl. In Lauerstellung quasi.
Doch dann bleibt es ruhig. Im Netz. Im Saal. Und auch in der letzten Reihe. Anne-Katrin P. geht nicht mit, jedenfalls nicht über 700 Euro. Blickt einmal flüchtig zu ihrem Mann. Doch beide haben beim Schmuck ihr Limit. Und später Pech bei den Möbeln. Denn auch die zwei Mahagoni-Sessel mit den geschwungenen Armlehnen, die so schön zu Hause neben ihre Kommode gepasst hätten – gehen ihnen diesmal durch die Lappen. Zwei Bieter im Internet haben einfach nicht locker gelassen. Der "Kick der Freude", dieses tolle Glücksgefühl, stellt sich diesmal also nicht ein.
Wenig später steht das Sammlerpaar im Jugendstil-Foyer des Auktionshauses. Und muss diesmal dabei zusehen, wie die Frau in Altrosa eine ganze Taxirückbank volllädt mit ihrer Beute.

Kein Mensch will meinen alten Teppich

Die Teppiche sind ganz am Ende der Auktion dran. 130 insgesamt, über die Hälfte davon sind mit sehr schönen Fotos im Katalog abgebildet. Meiner ist wieder nicht dabei. Und bei der Beschreibung hat sich Frau Link nun auch nicht gerade ein Bein ausgerissen: "Afghan. Größe ca. 262 x 240 cm. Und in Klammern dahinter: "Eine Ecke Riss, eingesetzter Flicken". Daneben fett gedruckt der Einstiegspreis: 380 Euro.
Dass mein Afghane auch noch fast ganz zum Schluss der Auktion dran ist - er hat die Nummer 1708 - muss nichts heißen, tröste ich mich. Denn auch danach kommen noch Nummern, deren Einstiegspreise richtig hoch sind, einer liegt bei 20.000 Euro! Ich wäre ja schon froh, wenn ich am Ende hier mit 200 rausgehe. Viel mehr hat meine Schwiegermutter damals bestimmt auch nicht bezahlt.
Als Susanne Link die Nummer 1706 und 1707 aufruft, geht mein Puls leicht hoch, ich scanne die Gesichter der Kunden und Verkäufer, kann darin aber nichts erkennen. Kein Kunde baut gerade Körperspannung auf. Im Gegenteil. Alle sehen eher müde und erschöpft aus. Und die Chefin des Auktionshauses lässt ausgerechnet jetzt ihre Arme baumeln und schüttelt ihre Hände aus – auch die sind müde vom Ausfüllen der vielen Verkaufsscheine.
Meiner kommt heute nicht mehr dazu. Die bittere Wahrheit ist: Kein Mensch hier, und keiner irgendwo da draußen interessiert sich für den schönen alten Teppich meiner Schwiegermutter aus Belutschistan! Dabei ist Susanne Link sogar noch runtergegangen auf 300 Euro. Fünf Sekunden später ist sie aber schon bei der nächsten Nummer.

Happy End in Kreuzberg

Ich versuche ein Lächeln, wische meine feuchten Hände an meiner Jeans ab. Und sehe mich schon, wie ich das Ding schon ganz bald wieder abholen muss, rausschleppe und es vermutlich wieder in meinen Keller landet. Auf der Rückfahrt fällt mir dann das Naheliegende ein: Ebay Kleinanzeigen.
Drei Wochen später hole ich meinen Afghanen im Auktionshaus ab und bringe ihn zu einer jungen Frau in Berlin-Kreuzberg. Ich bin zwar mit dem Preis noch etwas runtergegangen - meine Kundin aber hat am Schluss noch 50 Euro draufgelegt - fürs Bringen. Und bei Leo Spik wissen sie bis heute nicht, warum ich beim Abholen so gute Laune hatte.
Eine Wiederholung vom 20.12.2020.
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