Meine Kunst gibt es "umsonst und draußen"

Olaf Metzel im Gespräch mit Katrin Heise |
Für den Garten des Kanzleramts schuf er eine riesige Pistole, in Wien zeigte er eine nackte Frau mit Kopftuch, in Nürnberg baute er Stadionstühle um einen Brunnen. Auf seine Themen stoße er in der Zeitung, sagt der Bildhauer Olaf Metzel. Es gehe ihm darum, ein "Bild" dafür zu finden, was in der Gesellschaft gerade los sei.
Katrin Heise: Ein Gerüst aus meterhoch angehäuftem Absperrgittern und Einkaufswagen – das war eine der bekannten Skulpturen des Bildhauers Olaf Metzel. "13.04.1981" hieß diese Arbeit und bezog sich auf die Nacht im April 81, in der, ausgelöst durch den fälschlicherweise gemeldeten Tod eines RAF-Häftlings, Ausschreitungen stattgefunden haben.

Metzels Skulptur, gegenüber vom Berliner Café Kranzler stand die, die blieb schon deswegen im Gedächtnis, weil sie ebenfalls Tumulte auslöste und wiederum mit Absperrgittern und Polizei vor den Protestlern geschützt und schließlich auch abgebaut werden musste. Olaf Metzel, Bildhauer der Gegenwart oder, noch besser gesagt, der Gegenwartsgesellschaft – so heißt auch eine Ausstellung in Hamburg, die ab morgen einen Überblick über Metzels Schaffen bietet: "Gegenwartsgesellschaft".

Herr Metzel, ich grüße Sie, schönen guten Tag!

Olaf Metzel: Guten Tag!

Heise: Ihre Objekte, Skulpturen, Ihre Werke stehen oft mitten im öffentlichen Raum, auf Plätzen, auf Bürgersteigen. Man kann sie nicht übersehen. Vielen wird vielleicht noch Ihre WM-Skulptur von 2006 in Nürnberg im Gedächtnis sein, "Auf Wiedersehen": Ausrangierte Fußballstadiensitze zu einem großen Turm geschichtet, rund um den Schönen Brunnen mitten auf dem Hauptmarkt in Nürnberg. Die Leute liefen Sturm dagegen. Kunst als Provokation: Womit wollten Sie da die gegenwärtige Gesellschaft aufrütteln?

"Bilder der Gesellschaft, wie ich sie sehe"
Metzel: Na ja, gut, also Provokation würde ich das nicht nennen und ich will auch nicht aufrütteln, belehren oder sonst irgendwas. Mir geht es darum, Bilder anzufertigen, Bilder zu zeigen, Bilder der Gesellschaft, wie ich sie sehe. Und ich habe die ganzen Dinge nicht erfunden, sondern ich kann sie nur versuchen darzustellen – in einer natürlich etwas anderen Form, und genau darum haben Sie sie im öffentlichen Raum, und es ist umsonst und draußen.

Heise: Und deswegen auch Volkskunst?

Metzel: Natürlich. Ich habe jetzt auch in der aktuellen Ausstellung Volkskunst gemacht, in Anführungsstrichen natürlich, Kunst, die Sie hier und jetzt sehen können und nur einmal, und dann ist sie weg. Da ist nichts zu verkaufen, da ist nichts zu transportieren. Die Arbeit ist in die Wand geschnitten.

Heise: Das ist Ihre "Sozialtapete", Ihr jüngstes Werk?

Metzel: Ja, genau.

Heise: In einem früheren, "Drehkreuz", da ging es beispielsweise um Asylbewerberunterkünfte. Wichtig ist Ihnen die Auseinandersetzung mit dem sozialen, mit dem gesellschaftlichen Umfeld. Wo beginnt Ihre Arbeit? Oder wie beginnt so eine Arbeit?

Die Arbeit "Idealmodell PK/90" von Olaf Metzel, hier in einer Schau im Berliner Martin-Gropius-Bau, 2009

Metzel: Ach, wissen Sie, ich tue das, was Sie vielleicht auch tun oder viele andere: Ich schlage morgens die Zeitung auf und dann kann man sich fast gar nicht mehr entscheiden, welche Themen man rausgreifen soll, und dann fängt man an, sich Gedanken zu machen. Und auch das zeige ich in der Ausstellung: Man hat so Arbeitswände, oder wie man so schön sagt in Berlin, Piekswände, wo man also Zeitungsausschnitte, Textfetzen und ähnliches mehr collagiert und dann daraus eine Arbeit entwickelt. Und dann entwickelt so eine Arbeit ihre Eigendynamik und dann kommt manchmal das raus, was man nicht dachte, aber was auch ganz spannend ist.

Heise: Sie haben eben gesagt, dass Sie ein Bild dafür finden wollen oder ein Bild dafür finden, was Ihnen eben beispielsweise beim Zeitungsstudium durch den Kopf geht, ein Bild finden für das, was in der Gesellschaft gerade los ist. Und Sie haben gesagt, Sie wollen eigentlich nicht provozieren. Aber diese Proteststürme – ist das so eine Art von Auseinandersetzung, die Sie sich auch wünschen, oder wie gehen Sie damit um?

Metzel: Na ja, wissen Sie, manchmal passiert es halt, dass Arbeiten senkrecht durch die Medien gekippt werden und manche Zeitungen andere Ansichten haben als vielleicht man sich erhofft oder wünscht. Und dann gibt es, wie gesagt, so eine Art Eigendynamik. Ich meine, ich kann Ihnen ein Beispiel geben: In Nürnberg – ich kam aus Mexiko und am Frankfurter Flughafen an, mache das Handy an, und dann wird man gefragt: Trauen Sie sich noch nach Nürnberg? Ich sage, ja, wieso nicht? Ich mag die Rostbratwurst so gerne. Und dann steht am nächsten Tag: "Verhöhnt die Nürnberger als Rostbratwüste". So entwickeln sich Dinge, auf die Sie gar nicht kommen.

Heise: Das ist das eine, aber dass die Nürnberger protestiert haben gegen die damals als Verhunzung empfundene Dekoration ihres Schönen Brunnens, das ist ja auch Tatsache.

"Am Ende hat Nürnberg damit Reklame gemacht"
"Metzel: Ja, wissen Sie, der sogenannte Schöne Brunnen, das ist ja eine Replik, eine Renaissance-Replik. Und so geht es schon mal los. Dann kommt hinzu, dass ich die Anregung eigentlich aufgrund von Recherchen bekommen habe zur Geschichte der Stadt Nürnberg. Und Sie wissen, die wurde im Zweiten Weltkrieg doch ziemlich abgeräumt. Und da blieb in der Mitte nur so eine Art Turm stehen, und dann hatten die Nazis den Brunnen geschützt, indem sie ihn mit Beton ummantelt haben. Jetzt habe ich den zur WM mit Sitzschalen aus dem Olympiastadion ummantelt. Wissen Sie, es gab solche und solche Reaktionen, aber am Ende war es dann doch so, dass die Stadt Nürnberg damit Reklame gemacht hat, nachdem man es erst abbauen wollte. Also es ist doch ganz merkwürdig, wie dann sich die Gewichte verschieben.

Heise: Die Gewichte verschieben sich aber doch zum Teil auch so: Wenn so viel diskutiert wird über so ein Kunstwerk, verpufft dann nicht irgendwie was vom Kunstwerk selbst? Also dominiert da nicht das Thema die Kunst?

Metzel: Was soll da verpuffen? Im Gegenteil, ich meine, es gibt ja dann auch Dokumentationen und Filme und Youtube und so weiter. Die Dinge sind heute noch allen – ob das jetzt Berlin 1987 war oder Nürnberg 2006 oder in Wien oder ich weiß nicht wo –, allen noch immer in Erinnerung. Und ich denke, das ist zumindest eine Chance, Kunst anders zu sehen und auch zu formulieren.

Heise: Selbst wenn das Kunstwerk abgeräumt ist, bleibt der Protest in Erinnerung. Sie haben gerade Wien erwähnt. Wenn Sie Denkanstöße geben wollen, müssen die ja auch verstanden werden. Ihre Skulptur zum Beispiel "Turkish Delight", das war die Skulptur einer nackten Frau mit Kopftuch, die musste auch abgebaut beziehungsweise umgesetzt werden. Werden Sie oft missverstanden?

Metzel: Die musste nicht abgebaut werden oder umgesetzt werden, die wurde umgehauen mehrmals. Und dann, denke ich, hat es keinen Sinn mehr, und dann räumen wir die Arbeit selber weg. Aber die Diskussionen haben natürlich angehalten. Es ist natürlich was anderes, wenn Sie dann in Istanbul bei "Hürriyet", "Sabah" oder "Türkiye" auf der Frontseite stehen, dann denke ich, wenn ich mit Zeitungsmotiven arbeite, mache ich doch gleich daraus auch noch mal eine Arbeit. Aber Entschuldigung, zum Thema zurück.

Heise: Das ist ja unser Thema. Der Bildhauer Olaf Metzel im "Radiofeuilleton", sein Werk wird ab morgen in Hamburg gezeigt. Viele Ihrer Arbeiten, Herr Metzel, sind ja auch Auftragsarbeiten durchaus. Wie gehen Sie denn an solche offiziellen Aufträge ran? Der Auftraggeber will ja vielleicht, was so seinen Garten, also den Garten des Kanzleramtes beispielsweise, schmückt.

Metzel: Ja, das war ein Auftrag, wenn Sie das erwähnen, die Arbeit ist übrigens auch in der Ausstellung in Hamburg zu sehen, …

Heise: Eine überdimensionale Pistole ist es dann, das Standardmodell der Polizei.

Metzel: Ja, das war eine Auftragsarbeit von BDI, Bund der Deutschen Industrie, fürs Kanzleramt, für eine Ausstellung dort. Und die fanden ja eigentlich prima die Arbeit … Herr Kruhe fand sie weniger gut.

Heise: Er fühlte sich vielleicht bedroht durch die Pistole.

Metzel: Ja, der hat sogar den Bundesgrenzschutz hat er vorgestellt, weil er sich unwohl fühlte und schimpfte, das die auch noch in seine Richtung zeigt, die musste dann umgedreht werden, und am Ende war sie dann weg.

Heise: Aber beeinflussen lassen Sie sich dadurch auf jeden Fall nicht, durch den Auftraggeber, dass Sie da sich irgendwelche Beschränkungen dann …

Metzel: Nein, habe ich nie, würde ich nie. Wenn nicht, würde ich den Auftrag oder was auch immer, das Projekt zurückgeben.

Heise: An Wettbewerben für Denkmale nehmen Sie …

Metzel: … nicht teil.

Heise: … nicht teil. Warum?

""Auseinandersetzung mit der Jetzt-Zeit"
Metzel: Damit habe ich nichts zu tun. Mich interessiert die Auseinandersetzung der Jetzt-Zeit. Und das sind Erinnerungsgeschichten, und was will ich denn erinnern? Ich will doch nicht erinnern, um irgendwelche Dinge, die wir vergessen haben, darzustellen, sondern ich will hier, jetzt, heute, anti, sponti, gegen, außer. Das interessiert mich, und nicht so Staatsgeschichten. Ich bin kein Staatskünstler.

Heise: Beispielsweise Ihr Kunstwerk, was wir vorhin erwähnt haben, "13.04.1981" mit den aufgetürmten Absperrgittern, damals eben vom Berliner Senat entfernt, das steht jetzt am Spreeufer in Friedrichshain zwischen Cafés – da gibt es doch gar keine provokante Wucht mehr. Gefällt Ihnen das trotzdem noch?

Metzel: Ja, ich habe es ja selber da hingestellt. Früher wurde demonstriert, heute sitzen die Leute davor und trinken latte macchiato, also – so what?

Heise: Also es wird aus der Skulptur dann was anderes an einem anderen Ort?

Metzel: Ja, es ist die Zeit, die sich ändert, ich meine, früher gab es keine Handys und die ersten, die waren Riesenknochen. Früher waren die Videokameras schwer und kaum tragbar, heute sind sie ganz klein und handlich. Ich meine, wie gesagt – keine Denkmäler, keine Ewigkeitswerte, sondern in der Zeit, mit der Zeit, aus der Zeit heraus Die Leute sitzen davor, finden es klasse und denken an vollkommen andere Geschichten als das, was man damals gedacht hat, und ich finde es gut.

Heise: Herr Metzel, Sie sind auch Professor für Bildhauerei in der Akademie der Künste in München. Jungen Künstlern wird ja oft vorgeworfen, sie seien unpolitisch, sie würden nach dem Markt schielen. Was für einen Eindruck haben Sie von Ihren Studenten?

Metzel: Nun, ich denke, dass während des Studiums die Dinge überhaupt keine Rolle spielen sollten und auch nicht spielen, jedenfalls soweit ich es von meinen Studenten weiß, und nach dem Studium geht es in eine andere Richtung. Und die werden natürlich darauf vorbereitet, das gehört dazu, zum Geschäft auch. Und ich freue mich, wenn dann ehemalige Studenten sehr erfolgreich sind, von ihrer Kunst leben können. Und ich denke, jeder hat andere Vorstellungen und das finde ich wichtig und ist auch eine Frage der Flexibilität, und ob einer hinterher Kunst macht oder eine Disco aufmacht, finde ich, sehe ich keine großen Unterschiede.

Heise: Ihre Arbeiten kann man sich jetzt jedenfalls über die verschiedensten Jahrzehnte und in den verschiedensten Zusammenhängen angucken. Die Ausstellung "Gegenwartsgesellschaft" versammelt Ihre Arbeiten im öffentlichen Raum, einige als Modelle, als Fotos, unterschiedlich zu betrachten. Sie läuft ab morgen bis Anfang Januar im Hamburger Kunstverein. Erste Eindrücke erhalten Sie übrigens heute Abend in unserer Sendung "Fazit" über die Ausstellung. Und ich bedanke mich ganz herzlich, Olaf Metzel! Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch!

Metzel: Ich danke Ihnen!

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