"Meine Kunst ist der ewige Widerstand gegen den Tod"
Der 1998 verstorbene Aktionskünstler Wolf Vostell fiel als Plakatabreißer auf, irritierte die Öffentlichkeit mit fluxusbewegten Happenings und steckte Limousinen in Beton. Mit einer anregenden Werkschau, in deren Mittelpunkt ein Gedenkbild zur Shoa steht, ist dem Rheinischen Landesmuseum Bonn eine Hommage an einen unbequemen Künstler gelungen.
Schon 1953, mit 21 Jahren, bezog Vostell Position - denn er entschied sich für gegenständliche Malerei und stellte einen gekreuzigten Christus auf einem abstürzenden Bombenflugzeug dar. Und brachte außerdem, deutlich inspiriert von Picasso, als Kritik an Massakern in Korea einen mörderischen Panzer auf die Leinwand.
1997 wiederum entstand sein letztes Triptychon: ein Betonarm fällt auf menschliche Leiber - ein Gedenkbild zur Shoa, das die Judenvertreibung in Spanien Ende des 15. Jahrhunderts mit einschließt.
Diese Arbeiten bilden Anfang und Ende eines außerordentlichen Künstlerlebens - dazwischen fiel Vostell als Plakatabreißer auf, irritierte die Öffentlichkeit mit fluxusbewegten Happenings, schuf Siebdrucke gegen staatliche Selbstherrlichkeit, attackierte den Vietnamkrieg, montierte Materialien und Objekte zu Eros und Gewalt, steckte Limousinen in Beton und zeigte sich überhaupt kritisch gegenüber technischer Hybris und einer ufernden Medien- und Kosumwelt.
Inge Baecker, seit 1970 Galeristin für die Arbeiten Vostells: "Vostell hat in der Kunst verwirklicht, was wir uns von der Politik erhofft
haben: die Öffnung des Menschen und die Öffnung der Gesellschaft, und dass sich beides geistig durchdringt. Es geht darum, die Verkrustung unseres Denkens deutlich zu machen und sie aufzulösen.
Vostell ist im Grunde auch derjenige, der die Hoffnungen der 68er-Generation gemalt hat. Er hat sich selber nie aktiv beteiligt, hat gesagt, er sei der Erste, der wegen seiner physischen Breite vom Wasserstrahl getroffen werde. Aber er versuchte, den Studenten Modelle in die Hand geben, damit sie erkennen, was sie wirklich wollen und nicht nur in verquasten Theorien leben. "Es geht um die gesellschaftliche Überlebensmöglichkeit."
"Meine Kunst ist der ewige Widerstand gegen den Tod, gegen den bösen Willen und die Gewalt”, so formulierte Vostell seine Linie, die er über Jahrzehnte durchhielt. Leben und Kunst, Kunst und Leben sollten nicht länger getrennt sein. Mit diesem Willen zur Aufklärung und Bewusstseinserweiterung wirkt er angesichts der heutigen Kunstszene fast schon anachronistisch.
Oft rufen seine Werke im Betrachter eine Abwehrhaltung hervor, eben weil sie ihn in eine Welt der Kriege und Unterdrückung, der täglichen Gewalt hineinziehen, und mit ihren verwischten Motiven, Glasscherben, Bleiplatten und Blechstücken alles andere als leichtgewichtig erscheinen. Ein Sessel von 1976 mit herausragenden Messern steht für die aggressive Gesellschaftskritik Vostells und überhaupt für den Charakter seiner Kunst. Bei ihm nimmt niemand bequem Platz, um sich behaglicher Kontemplation hinzugeben.
Gabriele Uelsberg, die Direktorin des Rheinischen Landesmuseums
Bonn: "Er macht es uns nicht leicht, beachtet nicht die Schönheit, die in unseren ästhetischen Vorstellungen verankert ist. Schönheit ist für ihn ein moralischer Akt – und wenn wir diese Moral erkennen und diese Schönheit, dann kann man unendlich viel von diesen Bildern profitieren."
Was zuweilen grob gezimmert scheint und flächig gemalt, ist dennoch genau durchdacht und penibel vorbereitet.
Mercedes Vostell, die Witwe des Künstlers: "Er hat an jeder Sache sehr intensiv gearbeitet, auch wenn manches Werk so aussieht, als sei es schnell entstanden. Aber das war nicht so: Er hat viel gelesen, viel von der Kunstgeschichte gewusst, Studien betrieben und lange überlegt."
Als Erster bezog Vostell Ende der 50er Jahre in Deutschland in seine Objektbilder Fernsehgeräte ein, die auch später unverzichtbare Elemente seiner Kompositionen waren. So verweist eine naiv gemalte Jesusfigur auf ihr Herz: das ist ein flimmernder Bildschirm. In eine alte Heilandsskulptur hat Vostell ebenfalls einen Monitor integriert, auf ihm findet sich aber der von oben gefilmte Besucher wieder. Eine deutliche Aufforderung des Künstlers zum Dialog: Man soll sich erklären, nach seiner Existenz in dieser heillos wirkenden Welt fragen - und über eine Perspektive nachdenken.
Das Vaterland bietet da keine Gewissheit: die großen Bilder nach dem Mauerfall und der deutschen Vereinigung verheißen in ihren dunklen Tönen, den bizarren Formen und unschönen Materialien keine gloriose deutsche Zukunft, sondern nehmen ein neues Desaster vorweg.
Und immer wieder die Vergangenheit: Über die vielen Lautsprecher eines von ihm geplanten Berliner Holocaust-Denkmals sollten die Namen aller Ermordeten zu hören sein, Vostell besprach für seinen Entwurf schon mal beispielhaft eine Kassette.
Kein Zweifel, man hat in Bonn markante Werke aus Vostells Oeuvre ausgewählt und zeigt manches aus Sammlungen, was lange nicht zu sehen war. Wenn nur die technischen Probleme nicht wären: So kann das aktuelle Fernsehprogramm derzeit nicht in die TV-Geräte der Installationen eingespeist werden, wie Vostell es wünschte. Und die pointierten "Sara Jevo”-Fluxusobjekte können wegen des zu großen Stromverbrauchs erst mal nicht in Bewegung gesetzt werden: die Motorsägen graben sich also nicht in die Tasten eines Klaviers.
Was in Bonn über mehrere Etagen und auf mehrere Räume verteilt wurde, stellt erklärtermaßen auch keine Retrospektive dar - die immense, 1992 zum 60. Geburtstag Vostells in gleich fünf Einrichtungen ausgebreitete Werkschau wäre ohnehin kaum zu übertreffen, gerade was die aufwendigen Environments mit den Autokarosserien anbelangt. Aber eine anregende Ausstellung rund um das Thema "Macht und Gewalt” ist hier doch gelungen, eine Hommage an den unbequemen Künstler Wolf Vostell.
Gabriele Uelsberg: "Die Art und Weise, wie er es verstand, gesellschaftliche, politische und ganz persönliche Betroffenheiten, Positionen und Haltungen in seinen Bildern zu visualisieren, ist in ihrer Aussagekraft ungebrochen. Vostell zeigt, dass Kunst mehr kann, dass Bilder Inhalte so stark vermitteln können, dass man sich dicke Bücher und lange Berichte sparen kann. Die Kraft und die Wirkung seiner Werke sind so, dass in den letzten Tagen Kinder und Jugendliche beim Aufbau auf einmal ganz fasziniert hingeschaut haben. Ich erlebe, dass Kunst in eine Bedeutungsqualität zurückkehrt, die mir – und das merke ich erst jetzt in der neuerlichen Auseinandersetzung mit Vostell – vielleicht in den letzten Jahren ein bisschen gefehlt hat."
1997 wiederum entstand sein letztes Triptychon: ein Betonarm fällt auf menschliche Leiber - ein Gedenkbild zur Shoa, das die Judenvertreibung in Spanien Ende des 15. Jahrhunderts mit einschließt.
Diese Arbeiten bilden Anfang und Ende eines außerordentlichen Künstlerlebens - dazwischen fiel Vostell als Plakatabreißer auf, irritierte die Öffentlichkeit mit fluxusbewegten Happenings, schuf Siebdrucke gegen staatliche Selbstherrlichkeit, attackierte den Vietnamkrieg, montierte Materialien und Objekte zu Eros und Gewalt, steckte Limousinen in Beton und zeigte sich überhaupt kritisch gegenüber technischer Hybris und einer ufernden Medien- und Kosumwelt.
Inge Baecker, seit 1970 Galeristin für die Arbeiten Vostells: "Vostell hat in der Kunst verwirklicht, was wir uns von der Politik erhofft
haben: die Öffnung des Menschen und die Öffnung der Gesellschaft, und dass sich beides geistig durchdringt. Es geht darum, die Verkrustung unseres Denkens deutlich zu machen und sie aufzulösen.
Vostell ist im Grunde auch derjenige, der die Hoffnungen der 68er-Generation gemalt hat. Er hat sich selber nie aktiv beteiligt, hat gesagt, er sei der Erste, der wegen seiner physischen Breite vom Wasserstrahl getroffen werde. Aber er versuchte, den Studenten Modelle in die Hand geben, damit sie erkennen, was sie wirklich wollen und nicht nur in verquasten Theorien leben. "Es geht um die gesellschaftliche Überlebensmöglichkeit."
"Meine Kunst ist der ewige Widerstand gegen den Tod, gegen den bösen Willen und die Gewalt”, so formulierte Vostell seine Linie, die er über Jahrzehnte durchhielt. Leben und Kunst, Kunst und Leben sollten nicht länger getrennt sein. Mit diesem Willen zur Aufklärung und Bewusstseinserweiterung wirkt er angesichts der heutigen Kunstszene fast schon anachronistisch.
Oft rufen seine Werke im Betrachter eine Abwehrhaltung hervor, eben weil sie ihn in eine Welt der Kriege und Unterdrückung, der täglichen Gewalt hineinziehen, und mit ihren verwischten Motiven, Glasscherben, Bleiplatten und Blechstücken alles andere als leichtgewichtig erscheinen. Ein Sessel von 1976 mit herausragenden Messern steht für die aggressive Gesellschaftskritik Vostells und überhaupt für den Charakter seiner Kunst. Bei ihm nimmt niemand bequem Platz, um sich behaglicher Kontemplation hinzugeben.
Gabriele Uelsberg, die Direktorin des Rheinischen Landesmuseums
Bonn: "Er macht es uns nicht leicht, beachtet nicht die Schönheit, die in unseren ästhetischen Vorstellungen verankert ist. Schönheit ist für ihn ein moralischer Akt – und wenn wir diese Moral erkennen und diese Schönheit, dann kann man unendlich viel von diesen Bildern profitieren."
Was zuweilen grob gezimmert scheint und flächig gemalt, ist dennoch genau durchdacht und penibel vorbereitet.
Mercedes Vostell, die Witwe des Künstlers: "Er hat an jeder Sache sehr intensiv gearbeitet, auch wenn manches Werk so aussieht, als sei es schnell entstanden. Aber das war nicht so: Er hat viel gelesen, viel von der Kunstgeschichte gewusst, Studien betrieben und lange überlegt."
Als Erster bezog Vostell Ende der 50er Jahre in Deutschland in seine Objektbilder Fernsehgeräte ein, die auch später unverzichtbare Elemente seiner Kompositionen waren. So verweist eine naiv gemalte Jesusfigur auf ihr Herz: das ist ein flimmernder Bildschirm. In eine alte Heilandsskulptur hat Vostell ebenfalls einen Monitor integriert, auf ihm findet sich aber der von oben gefilmte Besucher wieder. Eine deutliche Aufforderung des Künstlers zum Dialog: Man soll sich erklären, nach seiner Existenz in dieser heillos wirkenden Welt fragen - und über eine Perspektive nachdenken.
Das Vaterland bietet da keine Gewissheit: die großen Bilder nach dem Mauerfall und der deutschen Vereinigung verheißen in ihren dunklen Tönen, den bizarren Formen und unschönen Materialien keine gloriose deutsche Zukunft, sondern nehmen ein neues Desaster vorweg.
Und immer wieder die Vergangenheit: Über die vielen Lautsprecher eines von ihm geplanten Berliner Holocaust-Denkmals sollten die Namen aller Ermordeten zu hören sein, Vostell besprach für seinen Entwurf schon mal beispielhaft eine Kassette.
Kein Zweifel, man hat in Bonn markante Werke aus Vostells Oeuvre ausgewählt und zeigt manches aus Sammlungen, was lange nicht zu sehen war. Wenn nur die technischen Probleme nicht wären: So kann das aktuelle Fernsehprogramm derzeit nicht in die TV-Geräte der Installationen eingespeist werden, wie Vostell es wünschte. Und die pointierten "Sara Jevo”-Fluxusobjekte können wegen des zu großen Stromverbrauchs erst mal nicht in Bewegung gesetzt werden: die Motorsägen graben sich also nicht in die Tasten eines Klaviers.
Was in Bonn über mehrere Etagen und auf mehrere Räume verteilt wurde, stellt erklärtermaßen auch keine Retrospektive dar - die immense, 1992 zum 60. Geburtstag Vostells in gleich fünf Einrichtungen ausgebreitete Werkschau wäre ohnehin kaum zu übertreffen, gerade was die aufwendigen Environments mit den Autokarosserien anbelangt. Aber eine anregende Ausstellung rund um das Thema "Macht und Gewalt” ist hier doch gelungen, eine Hommage an den unbequemen Künstler Wolf Vostell.
Gabriele Uelsberg: "Die Art und Weise, wie er es verstand, gesellschaftliche, politische und ganz persönliche Betroffenheiten, Positionen und Haltungen in seinen Bildern zu visualisieren, ist in ihrer Aussagekraft ungebrochen. Vostell zeigt, dass Kunst mehr kann, dass Bilder Inhalte so stark vermitteln können, dass man sich dicke Bücher und lange Berichte sparen kann. Die Kraft und die Wirkung seiner Werke sind so, dass in den letzten Tagen Kinder und Jugendliche beim Aufbau auf einmal ganz fasziniert hingeschaut haben. Ich erlebe, dass Kunst in eine Bedeutungsqualität zurückkehrt, die mir – und das merke ich erst jetzt in der neuerlichen Auseinandersetzung mit Vostell – vielleicht in den letzten Jahren ein bisschen gefehlt hat."