Meine Mama, das Monster

Wenn deine Mutter sich in ein Biest verwandelt hat, ist vieles anders. So beginnt das Kinderbuch "Der Kleine und das Biest" von Marcus Sauerman und Uwe Heidschötter, das herzergreifend lustig das Thema Trennung behandelt - aus Kindersicht, versteht sich.
In der alten Geschichte von der Schönen und dem Biest wird ein junger Prinz von einer Zauberin in ein schreckliches Biest verwandelt. Nur durch wahre Liebe, die sich von seiner Hässlichkeit nicht abschrecken lässt, kann der Prinz erlöst werden. Diese wahre Liebe erfährt er durch die schöne und freundliche Belle. Ende gut, alles gut!

Das Bilderbuch des Duos Sauermann/Heidschötter basiert auf einer genial einfachen Idee: es dreht das Märchen um. Die hübsche Belle mutiert zum niedlichen kleinen Jungen und das männliche Biest zum weiblichen Koloss. Dieser ist - ein weiterer Clou - die Mutter des Jungen. Biestig ist sie nicht, weil sie gemein, böse oder autoritär wäre, sondern weil sie traurig ist, unaufmerksam und schlecht gelaunt. Der Vater hat sie verlassen, und der ist auch zum Biest geworden. So muss der kleine Sohn sehen, wie er klarkommt mit den nervigen Riesenbiestern. Doch auch die haben ihre Vorteile, außerdem können sie auch wieder normal werden - so die unausgesprochene Botschaft des Buches.

Passend zum Alter ab vier dominieren die großflächigen Bilder über den Text. Auf einer Doppelseite gibt es manchmal nur einen Satz, zum Beispiel den ersten: "Wenn deine Mutter sich in ein Biest verwandelt hat, ist vieles anders." Das ist klar und eindeutig und regt die Phantasie an. Das dazu gehörende Bild in Breitwandformat macht unmittelbar deutlich, was das bedeutet: Eine schwunglose Biest-Mutter mit hängenden Schultern watschelt hinter ihrem kleinen Sohn her. Er wird auf den nächsten Seiten fast alles selbst machen müssen, sich ziemlich einsam fühlen, seine Mutter trösten und ab und zu auch ihre Schwäche ausnutzen. Dafür braucht es nur ganz wenig lakonischen Text, denn die eindrücklichen Bilder erklären die Geschichte von selbst.

In kräftigen Farben, die meist - biestig - zwischen braun, ocker und grün changieren, setzt Uwe Heidschötter die Geschichte in Szene. Die Figuren sind flächig angelegt und scharf konturiert, von weitem winkt der Comic. Das Riesenbiest mit den gigantischen Zähnen und den germanischen Hörnern am Kopf ist unvergesslich, Angst kann man trotz seiner Größe und Hässlichkeit nicht vor ihm haben. Es ist schwach, Mitleid hat nicht nur der kleine Sohn, sondern auch der kleine Leser. Und das macht stark! Ernst und Komik, Traurigkeit und Witz, Dramatik und Lakonie mischen sich in diesem Bilderbuch auf anrührende Weise. Es endet mit einer augenzwinkernden Szene. Ende gut, alles gut!

Dass "Der Kleine und das Biest" nach dem gleichnamigen Animationskurzfilm für die ZDF-Sendung Siebenstein entstanden ist, lässt sich an keiner Stelle erkennen. Ganz eigenständig kommen Text und Bilder daher. Nichts fehlt, alle wichtigen atmosphärischen und psychologischen Feinheiten stecken in diesen 32 Seiten: Ärger und Glück, Stolz und Verwunderung drücken sich in der Gestik, der Mimik und der Haltung der Figuren aus. Ein biestig-schönes Bilderbuch zum gemeinsamen Nachdenken, Mitfühlen, Kuscheln und Sich-Freuen!

Besprochen von Sylvia Schwab

Marcus Sauermann/Uwe Heidschötter: Der Kleine und das Biest
Klett Kinderbuch, Leipzig 2012
32 Seiten, 13,90 Euro
ab 4 Jahren
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