Meine Reisen im Rollstuhl

Hürden - es gibt solche und solche

Absperrband vor einem Aufzug in der Berliner S-Bahn.
Defekte Aufzüge sind eine große Barriere im Alltag. © Andi Weiland | Sozialhelden e.V.
Von Peter Glaser · 19.10.2017
Wenn jemand eine Reise tut, kann er was erzählen. Wenn er dabei im Rollstuhl sitzt, erst recht. Schon kleine regionale Ausfahrten können ihm zu größeren Abenteuern verhelfen, weiß Peter Glaser - aus ureigener Erfahrung.
Besonders beliebt für kurze Reisen im Rollstuhl ist der unter dem nicht ganz barrierefrei artikulierbaren Kürzel ÖPNV, sprich Ö-Pe-eN-Vau, zusammengefasste öffentliche Personennahverkehr. Kommen, um das anvisierte Verkehrsmittel zu erreichen, noch Infrastrukturteile wie Fahrstühle ins Spiel, wird es gleich richtig spannend. Schaffe ich es bis auf den Bahnsteig oder ist der Aufzug wieder mal im Eimer?
Eine bange Frage im übrigen, die nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch andere Mitglieder einer Solidargemeinschaft aus Frauen mit Kinderwagen, rollatorschiebenden Senioren, Fahrradfahrern und unglaublich dicken Amerikanern beschäftigt, für die steile Treppen ein no-go sind. Zwar gibt es längst Telefonnummern und Apps, mit denen man in größeren Städten die, sozusagen, Fahrstuhlwetterlage abfragen kann, ehe man eine Tour beginnt. Aber Aufzüge scheinen zu jenen Geräten zu gehören, die schon jetzt über eine allerdings fiese Form der Künstlichen Intelligenz verfügen: Sie wissen genau, wann sie kaputtgehen müssen, um einem die größtmöglichen Ungelegenheiten zu bescheren.

Bürgersteige: einen halben Meter hoch

In solchen Fällen tritt ein entscheidendes Element auf den Plan: Die Menschen, mit denen man es als Problempartner zu tun bekommt. Ich beispielsweise leide an chronischer Ägyptomanie und war deshalb bereits mehrfach im Rollstuhl in Kairo. Die Bürgersteige dort sind an vielen Stellen, da anderenfalls sofort alles zugeparkt wäre, einen Viertel- bis halben Meter hoch – eine für einen Rollstuhlfahrer unüberwindliche Höhe. Aber es ist immer jemand da, der hilft. Tag und Nacht sitzen Männer auf Stühlen am Bürgersteig, reden und rauchen Wasserpfeife, und ich brauche mich gar nicht groß bemerkbar zu machen, schon werde ich hochgezogen oder hinabgelassen von guten Geistern, die freundlich, aber bestimmt jedes Bakschisch verweigern.
Anders zu Hause in Deutschland. Ich war noch nicht in Berlin ansässig und es ist auch schon ein paar Jahre her, dass ich eigens anreiste, um die Büste der Nofretete zu sehen. Sie war damals noch in einem alten Museumsgebäude einquartiert, mit einer Treppe aus flachen, bequemen Stufen am Eingang. Ich sprach einen der uniformierten Museumsbediensteten an, ob er mich, vielleicht mit einem Kollegen, kurz hochziehen könnte. Er sagte, dass er mir leider nicht helfen dürfe, aus versicherungsrechtlichen Gründen, und ich sah, wie unangenehm ihm das war, nicht helfen zu dürfen, obwohl er es wollte. Bürokratie kann eine höhere Barriere sein als eine Bürgersteigkante.

Das provisorische Blindenleitsystem

Anders die Folgen amtlichen Verwaltungshandelns, die mir während einer Reise nach Japan begegneten. Wird in Tokio eine Straße aufgegraben, ist das erste, woran man den Weg um die Baugrube erkennen kann, das provisorische Blindenleitsystem, das ausgelegt wird. An jeder Baustelle gibt es zudem einen Mann, der nur dazu da ist, sich dafür zu entschuldigen, dass es die Baustelle gibt und der einem abends mit einer Art Lichtschwert in der Hand eindrucksvoll voranschreitet.
Auch in Tokio sind Bahnhöfe spannend, der Bahnhof von Shinjuku etwa, den täglich mehr als zweieinhalb Millionen Menschen durchqueren. Ich wollte da einmal zur Hauptverkehrszeit rein, der Rollstuhl würde mir Schutz davor bieten, von der unfassbaren Menschenmenge verschluckt zu werden. Mitten in einer der Hallen hielt ich einfach an, in einem Niagarafall aus Menschen, der von den Rolltrep¬pen herabflutete. Alle hier bewegen sich sehr schnell und gehen doch bedacht miteinander um, nicht ein¬mal mit dem Jackett wird man gestreift. Ich fühlte mich wie ein Elektron in einem Mikrochip.
Nun kommt die Zukunft, mit fahrerlosen Fahrzeugen. Melancholisch werden leere Rollstühle autonom über die Straßen der Welt rollen. Behinderte Roboter werden Zuspruch erfahren. Und manchmal wird einem eine in den Unbedingt-Modus geratene Pflegedrohne helfen – ob man nun will oder nicht.
Mehr zum Thema