Meinungsfreiheit in Äthiopien

Wo Blogger als Terroristen eingesperrt werden

Der äthiopische Blogger Jomanex Kasaye
Der äthiopische Blogger Jomanex Kasaye © Hermann Bredehorst
Margarete Wohlan im Gespräch mit Jomanex Kasaye |
Äthiopiens einziger Fernseh- sowie fast alle Radiosender sind in staatlicher Hand und werden vom Staat stark kontrolliert. Auf seinem Blog forderte Jomanex Kasaye etwa Rede- oder Demonstrationsfreiheit. Im Gegensatz zu anderen Bloggern landete er nicht im Gefängnis - er floh ins Exil.
Margarete Wohlan: Jomanex, Sie sehen sich als Blogger und nicht als Journalisten, und das Motto, unter dem "Zone 9" bloggt, ist: "we blogg because we care" - wir bloggen, weil wir uns Sorgen machen. Sind Blogger in Äthiopien notwendig, weil Journalisten entweder ihren Job nicht machen oder ihn nicht richtig machen können?
Jomanex Kasaye: Es gibt einige Radio- und einen Fernsehsender in Äthiopien, und auch Zeitungen, aber die meisten sind in staatlicher Hand und werden vom Staat kontrolliert. Die, die nicht regierungstreu berichten, werden geschlossen. Jeder Andersdenkende wird weggesperrt – und die ersten Opfer waren und sind die Journalisten. Wer es schaffte, ging ins Exil. Und so kamen wir Blogger ins Spiel: Wir sind keine professionellen Journalisten, wir nennen uns "citizen journalists", Bürgerjournalist – manche von uns sind Maschinenbauingenieure, andere Anwälte oder auch Hochschuldozenten. Ich selbst habe erst für eine französische Firma gearbeitet und mich dann selbständig gemacht, mit einem kleinen Laden. Wir fingen 2012 auf einer Social Media Plattform an zu bloggen, weil das eine Alternative zu den etablierten Medien ist – so können wir schreiben, was wir wollen, ohne dass die Regierung einen direkten Zugriff hat.
Wohlan: Als Sie anfingen zu bloggen, wie hat da die Regierung reagiert?
Kasaye: Die Regierung in Äthiopien ist repressiv und sie hat große Angst vor einer Opposition. Als wir anfingen uns zu organisieren – als einzelnes Individuum bist du weniger eine Gefahr – und mit einer Stimme zu sprechen, fühlte sie sich deshalb auch sofort bedroht. Aber wir ließen uns nicht einschüchtern – und starteten auf unserer Plattform eine Kampagne mit Forderungen wie Versammlungsfreiheit oder Redefreiheit oder Demonstrationsrecht. Das sind unsere Grundrechte als Menschen, aber sie gelten in Äthiopien nicht.
Unsere Forderung nach dem Demonstrationsrecht war dabei die erfolgreichste, die Online-Community unterstützte sie sehr! Und es führte dazu, dass zum ersten Mal seit Ewigkeiten in Addis Abeba demonstriert wurde. Doch dann begannen die Einschüchterungen – bei unseren Freunden und Kollegen, Familie, aber auch bei uns selbst. Um das Risiko zu reduzieren, versuchten wir, online weniger zu provozieren, aber wir hörten nicht auf, die politischen Gefangenen zu besuchen. Das empfanden die Sicherheitsorgane als Übertreten der roten Linie.
T-Shirt mit dem Aufdruck "Defend Press Freedom".
T-Shirt mit dem Aufdruck "Defend Press Freedom".© dpa / picture alliance / epa Rolex Dela Pena

Blogger und Journalisten leben gefährlich

Wohlan: Ich las im Internet, sie beschuldigten euch, Terroristen zu sein?
Kasaye: Ja. Drei, vier Tage später begannen die Verhaftungen. Und die, die verhaftet wurden, kamen ins Kality-Gefängnis – für 83 Tage! Die meiste Zeit ohne Anwalt. Sie wurden gefoltert und gezwungen, eine Selbstbeschuldigung zu unterschreiben, was sie angeblich so verbrochen hatten. Und da einige von uns, die in Haft waren, Anwälte sind und für internationale Menschenrechtsorganisationen tätig, hat die Regierung ihnen auch gleich eine Verbindung zum Terrorismus vorgeworfen.
Wohlan: Ihnen gelang es zu fliehen. Sie leben im Moment in Schweden. Um Ihre Freunde zu schützen, was glauben Sie, ist besser: eine weltweite Öffentlichkeit schaffen – wie jetzt hier durch dieses Interview – oder lieber schweigen? Macht dieses Interview es riskanter für Ihre Mit-Blogger in Äthiopien?
Kasaye: Ja, es macht es in gewissem Maße riskanter, aber es ist es wert. Es zeigt, dass sie nicht vergessen sind – und indem ich auf die Situation in Äthiopien hinweise, erfahren es die Menschen in Deutschland, Europa, in der Welt. Das stärkt sie und sie versuchen weiter, ihre Stimme zu erheben, auch wenn sie Angst haben, auch wenn sie Geiseln sind. Sie lehnen es ab, zu schweigen.
Wohlan: Kanzlerin Angela Merkel bezeichnet Äthiopien als "Stabilitätsanker" Ostafrikas, lobt die wirtschaftliche Entwicklung – und die EU hat bis 2020 Entwicklungshilfe von zwei Milliarden Euro zugesagt. Wie beurteilen Sie das? Sind Sie sauer? Oder kann es Ihnen in Ihrer Arbeit irgendwie weiterhelfen?

Europa und die EU unterstützen repressive Regierung

Kasaye: Wenn sie das vor drei oder vier Jahren gesagt hätten, wäre ich sauer gewesen, weil ich das als Unterstützung der Diktatur angesehen hätte. Aber jetzt bin ich hier und kann die Dinge aus einer anderen Perspektive sehen – und ich verstehe den Frust Deutschlands und der EU: Die Fragilität in der Region und die Flüchtlingskrise und der Terrorismus in Somalia – Al Shabaab. Ich selbst möchte nach Hause zurück – Merkel möchte die Flüchtlingskrise lösen. Also sind wir beide im selben Boot. Aber das Problem ist: Ihre Unterstützung ermöglicht diese Diktatur. Die EU betont, dass das Geld genutzt wird, um Arbeitsplätze zu schaffen oder Mikro-Kredite zu finanzieren.
Aber vieles davon fließt in die Taschen der Politiker. Und wegen der Korruption und weil gleichzeitig die Regierung inkompetent ist, verlaufen die meisten Projekte im Sande. Die äthiopische Regierung ist repressiv – und das bleibt sie, auch wenn die EU sie als Verbündeten in der Flüchtlingskrise ansieht, weil Äthiopien sich bereit erklärt hat, 800.000 Flüchtlinge aus seinen Nachbarstaaten aufzunehmen. Dieselbe Regierung lässt auch ihre eigenen Leute töten und foltern. Sie ist brutal und keine Menschenrechtsfreundin. Die Ausrufung des Ausnahmezustands Ende letzten Jahres zeigt, dass sie Rache üben will.
Wohlan: Sie sagten, Sie wollen zurück, wenn die Situation besser wird. Das ist Ihr Ziel, um ein normales Leben zu führen – ja?
Kasaye: Ja, ich sehe mich als einen normalen Bürger – ich habe keine politischen Ambitionen, auch meine Freunde haben sie nicht. Wir haben mit dem Bloggen angefangen, weil wir sahen, dass hier etwas grundsätzlich falsch läuft. Deshalb erhoben wir unsere Stimme. Zurückgehen? Ja, ich will zurück, will dort meinen äthiopischen Kaffee trinken, meine Familie treffen und die Zeit mit meinen Freunden verbringen. Und all das tun, was ich gern hab.
Mehr zum Thema