Meir Shalev: "Zwei Bärinnen"
Diogenes Verlag, Zürich 2014,
456 Seiten, 22,90 Euro
Ein Hauch von Western in Israel
Meir Shalev erzählt eine Familiengeschichte über drei Generationen, die vor allem eines verbindet: Ein Fluch. Sein Roman "Zwei Bärinnen" ist stark erzählt und bietet am Ende einen klitzekleinen Hoffnungsschimmer.
Viele der im vorstaatlichen Israel geborenen Erzähler verlegen immer häufiger die Handlung ihrer Romane in eben jene Gründerzeit, während sie die literarische Bestandsaufnahme der Gegenwart jüngeren Autoren und Autorinnen überlassen. Das mag mit einer Abwendung von der enttäuschenden Tagesrealität einer einstmals ideal gedachten Gesellschaft zusammenhängen, zugleich aber dient die Suche nach der verlorenen Zeit auch der Selbstvergewisserung im Heute. Längst sind politische Dogmen über Bord geworfen, zionistische Mythen entzaubert und – trotz nostalgischer Versuchung – ist der Blick auf die Grundlagen des jüdischen Staates auch kritisch.
Dass die Pioniere und Kibbuzniks der ersten Stunde nicht nur verehrungswürdige Helden und tapfere Zionisten, "neue Hebräer", waren, sondern ebenso Menschen mit Geschichte, Leidenschaften und Schwächen, zeigt beispielhaft der neue Roman des 1948 geborenen Meir Shalev.
Dinge, über die sonst niemand spricht
"Zwei Bärinnen" beginnt in der Gegenwart. Die Lehrerin Ruta Tavori lebt in einer genossenschaftlichen Siedlung, die in den 1930er Jahren von ihrem Großvater Seev ("Wolf") mit gegründet wurde. Eine junge Wissenschaftlerin befragt Ruta zu ihrer Familiengeschichte und der des Moschaws.
Schnell wird deutlich, dass diese Figur nur ein Vorwand des Autors Shalev ist, um Ruta zu Wort kommen zu lassen. Sie erzählt gerne, ausführlich und auch Dinge, über die sonst niemand spricht. Das Gespräch der beiden Frauen erweist sich vor allem als Sprungbrett in die Vergangenheit. Shalev entwickelt seine Geschichte retrospektiv. Nach und nach fügen sich einzelne Handlungsstränge zu einer Gesamterzählung, die drei Generationen umfasst. Seev und Etan, der Mann seiner Enkelin Ruta, sind dabei die Hauptfiguren.
Verbunden sind die Figuren durch einen Fluch. Seev, ein echtes Mannsbild mit Augenklappe, nichtsdestotrotz ein hervorragender Schütze, heiratete dreiundzwanzigjährig seine Jugendliebe Ruth. Doch Seev gelang es nicht, seine Frau zu schwängern, was dann sein Nachbar, ein eher zart besaiteter Rabbinerssohn aus Istanbul übernahm. Seev, im biblischen Zorn, erschoss den Liebhaber seiner Frau, deklarierte das Geschehen als Selbstmord und brachte bald auch das frisch entbundene Baby seiner Frau um. Es herrschte wieder Ordnung im Dorf, alles wussten was geschehen war, niemand sprach darüber.
Starke Anklänge an die Bibel
Seevs Ehre und Männlichkeit waren wiederhergestellt. Tod prägte auch das Leben der Enkelin Ruta. Ihr Mann Etan kann nicht das Leben ihres sechsjährigen Sohnes retten, nachdem dieser bei einer Wanderung von einer Schlange gebissen worden ist. Zwischen den Eheleuten herrscht daraufhin zwölf Jahre lang Schweigen. Und erst Seevs Tod, er wird zweiundneunzigjährig von Kleinkriminellen erschlagen, gibt ihnen die Chance, wieder zusammen zu finden: Etan greift nach Großvaters Gewehr und rächt mit Rutas Billigung dessen Tod. Ein Hauch von Western umflirrt den Roman.
Meir Shalev erzählt - mit starken motivischen und sprachlichen Anklängen an die Bibel - vom Fluch der bösen Tat, von Rache und vom Töten, der Geburt von Schuld aus der Geschichte. Doch variiert er auch Klischees herkömmlicher Geschlechterverhältnisse. Die Gewalt geht zwar stets von Männern aus, doch die Frauen sind, vor allem in Liebesangelegenheiten, die potenteren. Das erscheint am Ende des Romans als klitzekleiner Hoffnungsschimmer.