Wirtschaftsmacht YouTube
Mit einer Milliarde Zugriffen pro Tag ist YouTube das meistbesuchte Videoportal der Welt. Erfolgreiche YouTuber können an den Werbeeinnahmen partizipieren und zusätzlich Geld verdienen, wenn sie in ihren Performances Produkte vorstellen. Zielgruppe sind die 14- bis 29-Jährigen.
Mit über einer Milliarde Zugriffen pro Tag ist YouTube das meistbesuchte Videoportal. Zehn Prozent des weltweiten Datenverkehrs im Internet soll auf YouTube stattfinden. Pro Minute werden rund 100 Stunden neues Videomaterial hochgeladen: Selbstgedrehte Wackel-Streifen und professionelle Aufnahmen. Dazu Musikvideos, TV-Sendungen, Werbeclips und Filmtrailer.
"You Tube ist aktuell das meistbesuchte Videoportal der Welt"
Auch in Deutschland schätzen die Nutzer das breit gefächerte Angebot, die hohe Videoqualität und die Möglichkeit, Videos immer und überall abzurufen. Christian Hoffmeister aus Hamburg ist Leiter des Forschungs-und Beratungsinstitutes DCI, das sich mit digitalen Geschäftsmodellen auseinandersetzt.
"YouTube ist aktuell das meistbesuchte Videoportal der Welt. Es gibt verschiedene Erfolgsfaktoren und KPIs, also Key Performance Indicators. Ein wesentlicher ist natürlich die Anzahl von Views auf Videos, und dann natürlich in Summe, wie viele Videos werden insgesamt angeschaut, auf der anderen Seite auch, wie viel Videomaterial wird in YouTube hinein oder hochgeladen. Das ist der eine Maßstab, bei dem es um die reine Nutzung von Videos geht. Dazu gehören dann auch Abonnenten-Likes und so weiter. Also alles, was technisch am und um das Video herum messbar ist, wird gemessen und auch als Indikator für Erfolg und Nutzung definiert."
Bibis Beautypalace, 1,5 Millionen Klicks. – Dr. Allwissend, 500.000 Klicks. – LeFloid, 2 Millionen Klicks:
YouTube ist in, Fernsehen ist out. Vor allem Youngsters zwischen 12 und 29 machen ihr eigenes Ding:
"Meine Lieblings-YouTuber sind so Leute wie Broken Thumb TV z.um Beispiel. – LeFloid, Y-Titty, Lion TV, Gronkh, Bibis Beauty Palace. – Also, ich guck mir zu 90 Prozent Let's Plays an. – Ich guck ganz viele verschiedene. – Ich guck ganz gerne Musikvideos. Reit-TV. – Ja, Reit-TV ist gut."
Der Drang zur ständigen Selbstdarstellung
Youtuber wie Bibi und LeFloid haben fast drei Millionen Abonnenten, ihre Auftritte werden vielfach kommentiert und geteilt. Ansonsten bewerten sich die Jugendlichen gegenseitig ununterbrochen mit Likes und Postings. Der Fachausdruck: performative Ökonomie – der Drang, sich ständig selbst darstellen zu müssen, Eindruck zu machen. Philipp Ikrath ist Professor für Soziologie am Institut für Jugendforschung Wien:
"Unzweifelhaft ist, dass sehr viele dieser Video-Blogging-Formate – ob das jetzt Schmink-Tipps oder lets-play, d.h. da spielt jemand ein Computerspiel und andere sehen zu – ganz stark auch unter dem Zeichen der Selbstdarstellung produziert werden. Es ist wichtig, dass sich die Leute, die das machen, nicht so wie klassische Fernsehredakteure als Persönlichkeiten oder als Menschen quasi da so weit wie möglich zurücknehmen. Sondern die bringen eben sehr viel von sich selber oder zumindest von den Kunstfiguren, die sie da kreieren, mit ein. Und das kommt den Jugendlichen häufig authentischer vor."
Weil sie diese Kultur der Selbstdarstellung auch aus ihrem eigenen Alltag gewohnt sind. Auch da gehe es um den permanenten Austausch, sagt der Soziologe.
"Und um das sich gegenseitige Loben und, wie man heute sagen würde, um diese fürchterliche Feedback-Kultur, dass alles, was irgendwie herausgesendet wird, auch irgendwie 'gefeedbacked' werden muss, bewertet, geliked, geretweetet, etc. etc."
Schlechte Zeiten für stille Naturen
Ständig posten was man macht, wie man es macht, ständig auf der Suche nach Likes und damit nach Bestätigung. Ständig damit beschäftigt, andere zu bewerten.
"Das hängt damit zusammen, dass wir in einer Zeit leben, wo die Menschen ein großes Bedürfnis haben, wahrgenommen zu werden, kommentiert zu werden. Die Introvertierten, die Stillen, die Leisen haben heute keine guten Karten, sondern die, die die ganze Zeit kommunizieren, die die ganze Zeit netzwerken, die in einer Tour auf Senden stehen und so eine größtmögliche Aufmerksamkeit auf sich vereinen können. Das sind die, die die Nasen vorn haben."
(Kinder:) "Es ist halt schön, wenn du Likes kriegst, einfach, um zu sehen, wie es ankommt. Alle: Likes. Ein Siegesgefühl. Unbeschreiblich schön."
Um diesem "unbeschreiblich schönen Gefühl" nachzugehen, versuchen sich viele junge Leute, wie diese vierzehnjährigen Schüler aus Berlin selbst als "YouTuber". Sie wollen coole Videos drehen und vor der Kamera über ihre Lieblingsthemen reden
"Ich habe ein Musikvideo bearbeitet. Ich habe die Tonhöhen geändert und so. Was reingeschnitten und rausgeschnitten. Jetzt habe ich, glaub ich, hundert Klicks oder so."
3500 Abonnenten - "das sind mega viele Teenager, die da schreien würden"
Mr. Verknallt ist da schon erfolgreicher. Er ist 17, seit vier Jahren auf YouTube und hat seinen eigenen Kanal.
"Also, ich hab eine Reichweite von 3500 Abonnenten, ich meine, man muss sich erst mal 3500 Menschen vorstellen in einer Halle. Das sind mega viele Teenager, die da schreien würden. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit versteckter Kamera. Dann haben wir ein Format, wo wir Leute anrufen und die dann verarschen, wie zum Beispiel aus einer Socke gefiltertes Wasser trinken oder so."
Alles, was man braucht, ist ein Videokanal und etwas, was man zu erzählen hat. Und natürlich Leute, die sich das anschauen und dann liken. Die Anleitung, wie man auf YouTube berühmt wird, gibt es als Tutorial im Internet:
"Wie werde ich ein berühmter YouTuber"
Trend "Influencer Marketing"
Wer erfolgreich ist, kann über das so genannte Partnerprogramm an den Werbeeinnahmen partizipieren, die die Videoplattform erwirtschaftet. Die Videos werden dann mit Werbeeinblendungen versehen. Nach Aussagen von YouTube wird der "Großteil der Einnahmen" an die Partner ausgeschüttet. Aber noch viel mehr Geld verdienen bekannte YouTuber, wenn sie Produkte vorstellen.
Bibi ist der Prototyp für den letzten Schrei in der Werbebranche, das sogenannte Influencer-Marketing. Influencer sind in diesem Kontext Menschen, die übers Netz direkt eine treue Fangemeinde für dieses und jenes begeistern können. Bibi und andere YouTube-Stars erreichen eine Zielgruppe, die nicht mehr fernsieht, keine Zeitung liest, also auf den klassischen Werbekanälen nicht erreicht wird. Die digital influencers sollen den Usern Wünsche nahezu organisch einpflanzen, und das wollen sie auch. Fabian Reinbold ist Netzredakteur bei Spiegel Online:
"Ein Influencer zeichnet sich dadurch aus, dass er eine so große Reichweite auf YouTube hat und eine Armee an so treuen Fans, dass diese sehr jungen Fans in der Regel oft das wollen und das kaufen, was sie von ihrem Star vorgelebt bekommen. In der YouTube-Welt sind diese Influencer supersympathische Figuren, total authentisch, und deshalb natürlich total interessant für die Werbeindustrie."
Geld verdienen mit product placement
Laut "Süddeutscher Zeitung" zahlen Firmen für eine "Kooperation" mit einem erfolgreichen YouTuber bis zu 13.000 Euro. Wenn der YouTuber dann in einem Video bis zu 25 verschiedene Produkte präsentiert, kann man sich vorstellen, welche Summen da verdient werden. Wer es auf 50.000 Klicks bringt, kann für ein product placement 3.500 Euro verlangen, bei 10.000 Klicks immerhin noch 525 Euro. Was Bibi mit ihrer neuen Produktlinie erhält, darüber schweigt die Branche.
Mr.Verknallt hat zwar noch keine Angebote für product placement, aber er ist zuversichtlich.
"YouTube regelt das halt so, dass wir vertraglich abgeschlossen sind. Wir dürfen über die Einnahmen nicht reden, aber ich kann so viel sagen, dass es halt noch nicht ausreicht, dass ich davon jetzt meine Brötchen verdiene, aber es ist schon ein netter Nebenverdienst."
Patnerprogramm oder Multi-Channel-Network?
Alternativ zum Partnerprogramm gibt es für Inhaber eines eigenen Kanals die Möglichkeit, einem so genannten Multi-Channel-Network beizutreten, einem Netzwerk bestehend aus einer großen Zahl von YouTube-Kanälen. Das Netzwerk bietet Unterstützung bei Produktion und Vermarktung. Michael Frenzel ist Pressesprecher des größten deutschen Multichannels: Mediakraft Networks in Köln.
"Der Support, den Mediakraft bereitstellt, und damit haben wir bereits 2013 angefangen, der ist recht umfangreich. Das wird manchmal unterschätzt. Beispielsweise in Form von Technik, Formatentwicklung, Schnitt, Rechercheteams, redaktionellem Support und Marketing. Und das alles ist natürlich relativ aufwendig. Das mag nach vorne hinein relativ hölzern und simpel aussehen, aber die erfolgreichen YouTube-Künstler haben in der Regel ein Team, was sie unterstützt und was dort im Hintergrund steht."
Hört sich gut an, doch viele YouTuber sind unzufrieden. Spiegel Online Netzredakteur Frank Reinbold:
"Der Nachteil aus Sicht der YouTuber an den Netzwerken ist letztendlich das Geld. Viele Netzwerke wollen einen Großteil der Werbeeinnahmen für sich behalten, und was sie machen: sie schließen vor allem Verträge mit aufstrebenden oder vielversprechenden YouTubern ab. Und dann langfristig. Also setzt man die Konditionen, wenn der YouTuber noch nicht so groß ist, und wenn sich diese Leute dann entwickeln, zu Stars werden und selbst ihren Marktwert und ihren Einfluss ein bisschen anders einschätzen, genügen ihnen die Verträge halt oft nicht mehr."
Umstrittenes Modell: Multi-Channel-Networks
Simon Unge war der bekannteste Aussteiger. Mit mehr als 30 Millionen Klicks – ein Star der Szene.
Jahrelang war er selbstbestimmt, dann trat er dem Multi-Channel-Network Mediakraft bei. Das ging nicht lange gut. Er fühlte sich geknebelt. Mit großem Krach verließ er Mediakraft Networks:
"Ich möchte in meinem gesamten Leben nie wieder etwas mit Euch zu tun haben."
Bei Mediakraft reagiert man mit demonstrativer Gelassenheit auf die Austritte von Unge, und in der Folge auch von YouTube-Größen wie z.B. LeFloid, Daaruum und Ape Crime:
"Wir haben ja über den Wandel in der Medienbranche gesprochen, und dass gerade auch aus dem TV-Bereich massiv investiert wird in diesen Markt, und da muss man einfach sagen, Mediakraft hat ja fast eine Monopolstellung, und fast alle großen Künstler waren bei Mediakraft. Und es ist natürlich immer einfach, den Marktführer anzugreifen. Und wenn dann TV-Sender in den Markt reindrängen, oder auch Werbefirmen, die versuchen, sich dann auch Marktanteile zu kaufen, und machen den Künstlern dann auch attraktive Angebote, und insbesondere dann, wenn der Künstler seinen ganzen Content, den er gemeinsam mit dem Netzwerk produziert hat, mitnehmen kann, ist das für den Künstler durchaus eine attraktive Option, dann auch mal zu wechseln. Das ist etwas, in ein zwei Jahren werden auch bei den übrigen Netzwerken die Verträge auslaufen, und dann wird sich das wieder ändern."
Stefan Unge hat sich übrigens wieder gebunden, er hat bei den Maker Studios unterschrieben, die zum Disney-Konzern gehören. Unge findet die Atmosphäre dort kreativ. Und das ist wichtig, denn der Markt ist umkämpft.
"You Tube, das ist Weltöffentlichkeit"
Das YouTube-Publikum ist in vielen Zielgruppen häufig jetzt schon viel größer als das der wichtigsten Sendeanstalten. Denn YouTube, das ist Weltöffentlichkeit. Dagegen wirkt die Reichweite eines klassischen Senders provinziell. Wer braucht noch Redakteure, Programmplanung oder Sendeformate? Lieber "quick and dirty" von zuhause als glatt und schal aus den Programmstudios. YouTube, das ist das dazu passende Geschäftsmodell. Hier erreicht man die jüngeren Konsumenten.
Doch auch immer mehr öffentlich–rechtliche Sender wagen sich auf die zu Google gehörende Videoplattform, einfach, um ihre jungen Zuschauer nicht zu verlieren. Noch ist man weit entfernt von dem, was zum Beispiel der BBC-Kanal vorweisen kann – fast drei Millionen Abonnenten bei YouTube, aber das Angebot wächst. Der WDR hat einen eigenen Kanal und eine Espressoausgabe der Lokalzeit auf YouTube, das ZDF bereitet Sendungen für die Video-Plattform auf. Bekannte "YouTube-Stars" werden als Fernsehmacher geholt. Der YouTuber MrWissen2Go hat eine eigene Rubrik in der Sendung "MDR Zeitreise".
Ein Beispiel für virales Marketing: Edeka "Heimkommen"
Unternehmen platzieren nicht nur gezielt Werbung oder Product-Placement auf YouTube, große Firmen haben ihren eigenen Kanal. Sie nutzen die Plattform für Social Media Marketing, vor allem und gerne aber zu viralem Marketing. Beispielhaft dafür: das Werbevideo von Edeka "Heimkommen":
Ein alter Mann verzehrt einsam sein Abendessen, als seine Tochter ihm telefonisch mitteilt, dass sie dieses Weihnachten wieder nicht nachhause kommen kann. Da greift der alte Mann zu einem drastischen Mittel: er verschickt seine eigene Todesanzeige. Alle Verwandten reisen bestürzt an und nach dem ersten Schrecken feiert man endlich gemeinsam Weihnachten.
Zum Schluss blendet sich das Edeka-Logo ein.
Der Clip hatte über 46 Millionen Klicks weltweit, einfach jeder hat ihn auf YouTube gesehen – und sofort geteilt: das ist virales Marketing. Mit Edeka oder seinen Produkten hat dieses Video vordergründig nichts mehr zu tun. Die sozialen Netzwerke werden genutzt, um auf ungewöhnliche Weise auf eine Marke aufmerksam zu machen.
"Ich guck mir jetzt ein lustiges Video an, sag zu Anton, oh Anton, ich hab da ein richtig lustiges Video gesehen, guck dir das mal an. Anton findet's lustig, sagt es zwei anderen Leuten, dann sagen die das jeweils auch zwei anderen Leuten, und dann sagen die das vielleicht mal in ner ganzen Gruppe, dann gucken es fünf. Und dann sagt der andere das noch zweien, und dann sagt der das noch zweien, und dann kommt man natürlich noch irgendwie von alleine drauf, weil das dann auch in den Beliebt-Videos ist."
"Ganz am Anfang, wenn du YouTube praktisch neu hast, dann werden dir erst mal Sachen vorgeschlagen, die einfach beliebt in Deutschland oder beliebt auf der ganzen Welt sind, und dann, wenn es z.B. die Kategorie let's play ist, dann kommst du über ähnliche Videos noch zu anderen YouTubern und guckst dir dann deren Videos an, und dann gefallen die dir vielleicht, und du abonnierst die, und dann kriegst du halt immer die neuen Videos von denen praktisch zugeschickt."
Kommunikation und Interaktion zwischen Publikum und Machern
Sehen die jungen User Videos und teilen diese mit ihren Freunden, entsteht Kommunikation und Interaktion zwischen Publikum und Videomachern. Sofort ist ersichtlich, welcher Inhalt auf die jugendliche Zielgruppe wirkt. Likes und Dislikes ergeben ein klares Bild der Vorlieben der Zielgruppe, die man mit den Medien TV oder Print nicht mehr erreichen kann.
Hier arbeitet YouTube mit sogenannten "preroll ads". Das sind Werbeclips, die man nach drei Sekunden wegklicken kann. Die jugendlichen User finden das super cool. Was sie nicht wissen - durch ihr Konsumverhalten: Wegklicken oder eben nicht, liefern sie unbewusst Daten an YouTube. Christian Hoffmeister, Leiter des Forschungs-und Beratungsinstitutes DCI, Digital Change and Innovation.
"Die ganz neue Idee, die dahinter steht ist – und dieser Denkansatz kommt aus Harvard –, dass ein Mensch durch seine Beziehungen zu etwas bestimmt ist. Ich betrachte nicht den Menschen als Einheit, und frage, was hast du für Interessen, was könnte dir als nächstes gefallen? Sondern die Frage ist, welche Beziehungen zu Objekten, zu anderen Menschen hast du aufgebaut, und daraus schließe ich, was dir gefallen könnte oder wer du bist. Und nach diesem Prinzip funktionieren fast alle Algorithmen. So funktioniert Facebook, Facebook schaut, mit wem interagieren Sie, mit wem sind Sie vernetzt, mit welchem YouTube-Video sind Sie auch vernetzt, mit welcher Seite sind Sie vernetzt, schließt daraus, was Sie eventuell haben wollen oder was Sie interessieren könnte. Und das ist eine völlige Neuinterpretation, wie Vorhersagen gemacht werden über Wünsche und Verhalten von Usern. Das nennt man im amerikanischen predictive."
Algorithmen, die "predictive" sind
Predictive bedeutet voraussagend: Computer berechnen mithilfe von Algorithmen auf der Basis dessen, was der User bisher angeschaut hat, mit wem er in Beziehung steht, welches Medienverhalten er hat, ob er gerne Sport treibt oder gerne Süßigkeiten nascht, was ihn als nächstes interessieren könnte und was er bereit wäre, dafür zu bezahlen. Das Predictive-Prinzip zieht sich durch die gesamte digitale Ökonomie und Technologie.
"Und deswegen haben diese Algorithmen heute so eine große und hohe Bedeutung, weil sie letztendlich bestimmen, was Sie sehen und was Ihnen überhaupt vorgeschlagen wird. Deswegen bleiben Sie, was man filterbubble nennt, irgendwann einmal in einer Blase, die Ihnen diese Unternehmen vorschlagen. Sie kommen gar nicht mehr auf andere Ideen, sondern Sie sehen immer mehr von dem, was Ihre Beziehungen eigentlich bestimmen. Und das ist eben dann diese Algorithmik, die festlegt, auf welchen Prinzipien solche Vorschläge tatsächlich kreiert werden."
Und das ist genau das, was YouTube und andere soziale Netzwerke wollen: Daten sammeln, diese per Algorithmik vernetzen und per statistischer Berechnung von Verhaltensverteilungen das Verhalten in sozialer und ökonomischer Hinsicht vorhersagbar machen. Je mehr YouTube über die User weiß, desto leichter ist die Berechenbarkeit des künftigen Nutzerverhaltens und desto besser die Möglichkeit, dieses wirtschaftlich für Werbekunden nutzbar zu machen. Aber auch für Versicherungen, Sicherheitsdienste und Gesundheitswesen.
Reichweiten werden zur Nebensache
Das ist das YouTube Geschäftsmodell. Deshalb sind Indikatoren wie Reichweitenmessung für dieses innovative Modell nur ein Parameter von vielen und quasi nebensächlich.
"Anders als bei traditionellen Medienunternehmen ist hier vor allem die Idee, dass der User damit ein aktives Signal sendet und sagt, das interessiert mich, das interessiert mich nicht, und YouTube versucht, daraus zu berechnen, was könnte Sie tatsächlich als nächstes interessieren, um so langfristig die Performance von YouTube und damit ihre Werbevermarktung zu steigern. Wenn man sich das im Detail betrachtet, diese Denkweise, wie Werbung funktioniert, die Verknüpfung von YouTube-Videos mit Werbevideos funktioniert, eine völlig andere als die traditionell gelernte in Medien. Deswegen gibt es da zahlreiche Indikatoren, die Erfolg ausmachen, das klassische Reichweitendenken spielt da eine sehr untergeordnete Rolle, in meiner Interpretation."
Trotz dieser Strategie steckt YouTube nach zehn Jahren Existenz immer noch in den roten Zahlen. Und das, obwohl der Umsatz 2014 von drei auf vier Milliarden Dollar gestiegen ist. Aber für den Experten ist es nur eine Frage der Zeit, bis YouTube Gewinne macht:
"Heute ist es so, dass Innovation bedeutet, dass es sehr kostspielig ist, sie aufzubauen und im Markt zu platzieren und auszubauen und Marktführerschaft zu erlangen. Deswegen sind fast alle innovativen Unternehmen jahrelang in den roten Zahlen und versuchen dann, durch einen so genannten Hockey-Stick-Effekt diese Anlaufverluste deutlich überzukompensieren. YouTube ist nur ein Teil von Alphabet, ehemals Google, deswegen steht die eigenständige Wirtschaftlichkeit gar nicht so im Focus, wie wenn es ein eigenständig geführtes Unternehmen nur unter der Marke YouTube wäre. Insofern spielen beide Aspekte, die ökonomische Denkweise und die darauf aufbauende Strategie als auch die organisatorische Einbettung eine ganz zentrale Rolle."
Das war übrigens bei Facebook auch so:
"Facebook hat am Anfang sehr, sehr hohe Anlaufverluste gehabt, im mehrstelligen Millionenbereich, und hat am Anfang kaum Umsätze gemacht. Und seit zwei, drei Jahren explodieren die Umsätze, verdoppeln, verdreifachen sich fast jedes Jahr, und dadurch ist zu erklären, dass diese lange Anlaufzeit dazu führt, dass man einen sehr starken ökonomischen Effekt erzeugen kann, der dann auch sehr stark Wachstum produziert. Wenn man sich diese Verlaufskurve anschaut bei Facebook aber übrigens auch bei Google, erkennt man diesen dramatischen Effekt."
Das gerade eingeführte You Tube Red, eine werbefreie, kostenpflichtige Premium-Ausgabe in den USA, ist also nicht unbedingt eine Reaktion auf rote Zahlen, sondern einfach der Versuch, ein weiteres Segment am digitalen Markt zu besetzen. Um der Konkurrenz zu begegnen.
Die Konkurrenz läuft hinterher - außer vielleicht Facebook
Es gibt eine Reihe von Video-Plattformen, die eine direkte Konkurrenz zu YouTube darstellen, wie die französische Plattform Dailymotion, zu deren Partnern CNN, die Süddeutsche Zeitung und die Deutsche Welle gehören. Dailymotion bringt es auf immerhin 105 Millionen Nutzer im Monat. Alle anderen Video-Plattformen wie Tape.tv, Vimeo, Vevo, MyVideo oder clipfish bleiben weit unter diesen User-Zahlen. Eine wirkliche Bedrohung für YouTube stellen diese Plattformen nicht dar.
Anders sieht es allerdings mit Facebook aus. Seit Anfang 2015 versucht der Social-Network-Gigant, die Video-Funktion auf seiner eigenen Plattform massiv auszubauen. Facebook fordert seine User unermüdlich auf, Videos dort und nicht mehr auf YouTube zu posten. Besonders gefährlich scheint die Neuerung, dass Videoproduzenten künftig auch bei Facebook an Werbeerlösen beteiligt werden können. So sollen mehr attraktive Inhalte auf die Facebook-Plattform gelockt werden.
Doch viele Experten winken ab: Facebook wurde nie als Videoplattform konzipiert. Die Videos liegen irgendwo zwischen all den anderen Posts, im sogenannten News-Feed, sodass man sie leicht beim Scrollen übersieht. Und der Möglichkeit gezielt nach einem Video zu suchen, wird YouTube, der nach eigener Aussagen "zweitgrößten Suchmaschine der Welt" so schnell keiner den Rang ablaufen.
Der Markt ist jedenfalls heftig in Bewegung – Spotify, der Musik-Streaming-Dienst aus Schweden steigt ins Videogeschäft ein. Und You Tube seinerseits will Film-und Serienproduktionen über den Premium-Kanal anbieten und damit Streamingdiensten wie Netflix künftig Konkurrenz machen.
"Jedes Hochladen ist eine Veröffentlichung"
Immer mehr Menschen wollen in den Social-Network-Giganten präsent sein, und damit präsent in der digitalen Welt, die für viele heute ebenso wichtig scheint wie die reale. Trotz aller Warnungen ist es vielen Usern gleichgültig, was mit ihren Daten geschieht. Welche Dimensionen die Daten-Verknüpfungen haben werden und vielleicht bereits haben, wird von den Nutzern kaum wahrgenommen. Uwe Buermann ist Medienexperte vom IPSUM-Institut in Bonn:
"Jedwedes Hochladen im Internet kommt einer Veröffentlichung gleich. Denn das Internet ist eine öffentliche Plattform. Einen wirklichen Schutz gibt es nicht. Und auch das wird Zeit, dass wir das alle begreifen, denn selbst vermeintlich geschützte Plattformen, und das lesen und hören wir auch immer wieder, werden gehackt, die Daten werden entwendet, selbst der Deutsche Bundestag war nicht sicher davor."
Der Datenschutz bleibt auf der Strecke
Seit Januar 2015 ist bei Facebook eine technische Neuerung aktiv, die es in sich hat: Ein so genannter Tracking-Cookie registriert alle Aktivitäten des Users im Internet und übermittelt sie an Facebook. Damit wird das gesamte Surf-Verhalten der User transparent und gespeichert. Auch auf Internetseiten, die mit Facebook gar nichts zu tun haben. Die Verknüpfung der erhobenen Userdaten mit Gesichtserkennungssoftware ist in Deutschland derzeit verboten. Aber wie lange noch? Das Datensammeln zumindest wird immer offensichtlicher und unverschämter.
(Frank Reinbold:) "Auf YouTube verschränkt sich manchmal auch dieses 'der Star ist zum Anfassen' mit einem ganz neuen Sammeln von Daten. Man sieht das zum Beispiel bei Bibi. Bibi macht manchmal Aktionen, wo sie sagt: 'Ich ruf euch heute an, wenn ihr mir eure Nummer auf Twitter schickt.' Da gibt's einen eigenen Hashtag, dieser Hashtag ist dann sofort trending Topic in Deutschland, da beteiligen sich sehr viele Leute dran, schicken Bibi ihre Telefonnummer, per Direkt-Nachricht, und hoffen dann darauf, dass ihr Star sie anrufen wird. Dann hat man natürlich zehntausende von Handynummern, von jungen Leuten, von denen man weiß, wofür sie sich eigentlich interessieren."
(Christian Hoffmeister:) "Neutral formuliert ist es natürlich de facto so, dass diese Unternehmen, aber auch die Sicherheitsbehörden, oder wer auch immer auf diese Daten zugreifen kann, über Sie wahnsinnig viel weiß. Und Sie das de facto heute eigentlich nicht mehr unterbinden können."
Die ersten Jugendlichen werden online-müde
Während all dieser neuen Entwicklungen beginnt sich bei einem Teil der 12- bis 15-Jährigen langsam eine gewisse Online-Müdigkeit zu entwickeln. Einige Jugendliche scheinen gar kein Interesse mehr an der Dauerpräsenz im Netz – der Always-On-Kultur zu haben. Kein Bock mehr auf Rundum-Kommunikation. Der Soziologe Philip Ikrath vermeint in seinen forschungsgebundenen Erhebungen eine solche Entwicklung zu erkennen. Wird das Nutzerverhalten sich ändern?
"Es gibt tatsächlich eine Gegenbewegung dazu, und zwar ist das ein gar nicht mal so kleiner Teil der jüngeren Jugendlichen, also der 14-, 15-Jährigen, die mit den negativen Konsequenzen dieser allways-on-Kultur, d.h. einer Kultur, wo man dauernd connected, verbunden sein muss, aufwachsen. Die heute jüngeren Jugendlichen erkennen aber in ihrem Alltagsleben die negativen Konsequenzen, die das haben kann, in einem deutlich stärkeren Ausmaß und gehen deswegen, das kann man zumindest hoffen, etwas differenzierter damit um als die älteren."
Ein anderer Umgang mit den digitalen Medien ist "unverzichtbar"
Christian Hoffmeister vermeint diesen Trend auch zu bemerken, findet einen veränderten Umgang mit den digitalen Medien sozusagen unverzichtbar:
"Ich glaube, dass wir lernen, mit diesem informativen Erreichbarkeitsüberfluss, Kommunikationsüberfluss, mit der Zeit anders umzugehen. Das wird aber völlig anders ausschauen als der Sprung zurück. Ich habe kein altes Handy, ich habe ein nagelneues, aber ich gehe damit anders um. Wirkungsvoll wäre, sehr bewusst sich zu überlegen: Was benötige ich, und was kann ich wirklich auch guten Gewissens sein lassen?"
Doch bis dieses Bewusstsein sich allgemein durchgesetzt hat, bleibt die Antwort auf die Frage, ob YouTube eine Wirtschaftsmacht darstellt ein klares Ja, denn:
"YouTube ist ein Teil von Google, Google ist eine Riesenwirtschaftsmacht, und gerade in der digitalen Ökonomie absolut beherrschend."
(YouTube Bibi:) "Und wenn es Euch gefallen hat, dann dürft ihr mir das mit einem Daumen nach oben zeigen."