Meister der Beton-Seerosen
Dass die DDR architektonisch mehr zu bieten hatte als industriell gefertigte Plattenbauten, zeigt sich am Beispiel des Architekten Ulrich Müther. Seine Betonschalenpavillons wie der "Teepott" in Rostock-Warnemünde sind mit ihren mehrfach gekrümmten Dächern weithin bekannte Beispiele für die so genannten Hyparschalenbauten, die Müther nach mathematischen Prinzipien konstruierte. Eine Ausstellung in Templin zeigt Müthers Werk und Wirkung.
Es heißt, als Kind habe Ulrich Müther gern am Meer mit Muscheln gespielt und dabei immer schon deren dünne und enorm belastbare Schale bestaunt. Das muss nicht zwingend eine Erklärung dafür sein, dass Müther in seinem späteren Leben zum unumschränkten Meister des Betonschalenbaus wurde - liegt aber tatsächlich nahe, wenn man sich die Formen anschaut, die der 1934 in Binz auf der Insel Rügen geborene Architekt immer wieder entworfen hat.
Das inzwischen leider der Berliner Hauptstadtplanung zum Opfer gefallene "Ahornblatt" ist vielleicht das berühmteste Beispiel. Eine im Halbkreis fünffach aufgefaltete, zarte Fächerstruktur, so dünn, so leicht, so mitunter schwindelerregend virtuos, dass Müther selbst in der DDR, die architektonische Experimente nicht unbedingt förderte, rasant Karriere machte, und das sogar ohne Parteimitgliedschaft. Der Architekt und Müther-Kenner Carsten Joost:
"Ulrich Müther gehört ja zu einer Avantgarde der Baukunst. Also er hat Pavillons entwickelt mit gekrümmten Dächern, also zweifach gekrümmte Dachschalen, die weit ausladen, also ganz besondere Zeichen setzen, und auch sehr imposante Innenräume besitzen. Anfangs ist es wohl schon ein bisschen angeeckt, aber man hat dann sehr bald erkannt, dass eigentlich Betonschalenpavillons die ideale Ergänzung sind für recht einfach gestrickte Plattenbaubezirke. Die notwendige Sozialinfrastruktur ist hervorragend zu ergänzen durch organische Formen des Betonschalenbaus."
Mit dem Untergang der DDR ist Müthers Werk weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl seine Bauten sogar noch zahlreich erhalten sind. Manche sind sogar allgemein bekannt, ohne dass Müther als ihr Schöpfer dies selbst noch wäre: Das spektakulär gelegene Café "Seerose" in Potsdam, das auf fast keiner Postkartenansicht fehlen darf etwa, oder der virtuos sternförmige Sockel des Berliner Fernsehturms am Alexanderplatz. Nicht weit entfernt auch die markante Kuppel des Planetariums am Prenzlauer Berg oder das Restaurant "Teepott" in Rostock-Warnemünde, das Urlauber immer wieder an die so genannte Schwangere Auster in Berlin erinnert, die freilich nicht von Müther stammt. Aber der Deckeneinsturz bei eben jener "Schwangeren Auster" 1980 hat auch Müthers Konstruktionsmethode Sympathien gekostet. Zu Unrecht, wie die Kunsthistorikerin Tanja Seeböck meint:
"Soweit ich weiß, ist diese Geschichte mit der Schwangeren Auster durch diesen dicken Randbalken verursacht worden, weil es ist ein Hängedach, das in diese Ringkonstruktion eingelegt wurde. Und Müthers Schalen sind anders konzipiert, die eben nicht mit diesem Ringanker arbeiten, sondern als Flächen-Drahtgeflecht, also selbsttragend an zwei Auflagepunkten anders funktionieren."
Der besondere Kniff bei den leichten und dünnen Tragwerkkonstruktionen von Müther aber ist, dass sie nur an zwei Punkten aufgestützt sind und sich auch über große Flächen hinweg selbst tragen. Er vertraute dabei ganz auf die so genannten hyperbolischen Paraboloiden, einer rein mathematischen Konstruktion, die schon bei kleineren Probebauten, die z.B. als Bushaltestellen eingesetzt wurden, dazu führte, dass zusätzlich eine simulierte, aber sonst völlig nutzlose Eisenstütze das Dach halten sollte, weil niemand glauben konnte, dass diese seltsam geschwungenen Dächer, die nur auf zwei Enden im Boden wie Zelte verankert sind, tatsächlich halten würden.
Auf diese Weise hat Müther fast mehr Bau-Psychologie betrieben, was sich auch auf die Verwendung seiner Bauten entscheidend auswirkte, so Architekt Carsten Joost:
"Mir ist nicht bekannt, dass jemals eine Wohnung im Betonschalenbau entstanden ist. Es ist tatsächlich eine reine Freizeit- und Vergnügungsarchitektur und unter anderem deshalb so reizvoll auch für viele, die vielleicht noch Probleme haben mit dem Hintergrund der DDR-Geschichte. Das ist so mit das Spannendste, glaube ich, an Hinterlassenschaften der DDR, weil es hier wirklich um Architektur-Avantgarde geht. Das findet sich auch kaum in anderen Ländern in dieser Art von Expressivität."
Pavillons von Müther finden sich vor allem noch im Bereich der Seebäder von Mecklenburg-Vorpommern, wurden zu DDR-Zeiten vor allem als Großgaststätten oder Kioske verwendet und nannten sich schon damals "Inselparadies" oder "Ostseeperle" - heute dagegen befinden sich viele in der Umnutzung, leiden unter zusätzlich eingezogenen Zwischenwänden, unnötigen Stützmauern zur Beruhigung der Gäste oder schlicht unter Verfall, weil sie niemand aufwändig restaurieren möchte und sie darüber hinaus auch nicht mehr den heutigen Vorschriften für Wärmeisolation und Feuerbeständigkeit entsprechen. Trotzdem wirkt das Beispiel Müthers nach Ansicht von Carsten Joost fort:
"Es gibt natürlich auch Beispiele für richtigen Betonschalenbau. Auch das Hans Otto-Theater in Potsdam: ganz, ganz dünn, ganz interessant auch. Aber es gibt natürlich viele freie Formen, mitunter organische Formen, auch kaschierte Formen in Stahlbau, also die sozusagen ganz anders hergestellt sind, jetzt beispielsweise das Tempodrom in Berlin, dagegen spricht ja auch nichts. Der Betonschalenbau ist aber irgendwie so der Königsweg, weil man wirklich so dünne Flächen hinbekommt wie mit keinem anderen Baustoff."
Freilich gibt es markante Unterschiede: Müthers Bauten wirken nie wirklich organisch, sondern eher stilisiert, mit einer zackigen, dynamischen Form, die dem Futurismus der sozialistischen Bauästhetik zu ganz unverhofftem plastischem Ausdruck verhalf. Gerade dadurch wirken sie aber auch so zeitgebunden, weil sie eine bestimmt Form von technischer Zukunftsvorstellung verkörpern. Die ist heute unter Jüngeren zwar mittlerweile wieder "Kult", ansonsten aber kaum mehr praktikabel.
Überhaupt scheint die Zukunft in der Architektur als Symbol ausgedient zu haben. Stattdessen dominieren Schlagworte wie Nachhaltigkeit, Ökologie und Sparsamkeit. Müthers Bauten dagegen sind wie Träume mathematischer Vernunft, ein architektonischer Sonderweg, der als Skulptur, als Denkmal eigentlich mehr aussagt, denn als Nutzbau.
Das inzwischen leider der Berliner Hauptstadtplanung zum Opfer gefallene "Ahornblatt" ist vielleicht das berühmteste Beispiel. Eine im Halbkreis fünffach aufgefaltete, zarte Fächerstruktur, so dünn, so leicht, so mitunter schwindelerregend virtuos, dass Müther selbst in der DDR, die architektonische Experimente nicht unbedingt förderte, rasant Karriere machte, und das sogar ohne Parteimitgliedschaft. Der Architekt und Müther-Kenner Carsten Joost:
"Ulrich Müther gehört ja zu einer Avantgarde der Baukunst. Also er hat Pavillons entwickelt mit gekrümmten Dächern, also zweifach gekrümmte Dachschalen, die weit ausladen, also ganz besondere Zeichen setzen, und auch sehr imposante Innenräume besitzen. Anfangs ist es wohl schon ein bisschen angeeckt, aber man hat dann sehr bald erkannt, dass eigentlich Betonschalenpavillons die ideale Ergänzung sind für recht einfach gestrickte Plattenbaubezirke. Die notwendige Sozialinfrastruktur ist hervorragend zu ergänzen durch organische Formen des Betonschalenbaus."
Mit dem Untergang der DDR ist Müthers Werk weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl seine Bauten sogar noch zahlreich erhalten sind. Manche sind sogar allgemein bekannt, ohne dass Müther als ihr Schöpfer dies selbst noch wäre: Das spektakulär gelegene Café "Seerose" in Potsdam, das auf fast keiner Postkartenansicht fehlen darf etwa, oder der virtuos sternförmige Sockel des Berliner Fernsehturms am Alexanderplatz. Nicht weit entfernt auch die markante Kuppel des Planetariums am Prenzlauer Berg oder das Restaurant "Teepott" in Rostock-Warnemünde, das Urlauber immer wieder an die so genannte Schwangere Auster in Berlin erinnert, die freilich nicht von Müther stammt. Aber der Deckeneinsturz bei eben jener "Schwangeren Auster" 1980 hat auch Müthers Konstruktionsmethode Sympathien gekostet. Zu Unrecht, wie die Kunsthistorikerin Tanja Seeböck meint:
"Soweit ich weiß, ist diese Geschichte mit der Schwangeren Auster durch diesen dicken Randbalken verursacht worden, weil es ist ein Hängedach, das in diese Ringkonstruktion eingelegt wurde. Und Müthers Schalen sind anders konzipiert, die eben nicht mit diesem Ringanker arbeiten, sondern als Flächen-Drahtgeflecht, also selbsttragend an zwei Auflagepunkten anders funktionieren."
Der besondere Kniff bei den leichten und dünnen Tragwerkkonstruktionen von Müther aber ist, dass sie nur an zwei Punkten aufgestützt sind und sich auch über große Flächen hinweg selbst tragen. Er vertraute dabei ganz auf die so genannten hyperbolischen Paraboloiden, einer rein mathematischen Konstruktion, die schon bei kleineren Probebauten, die z.B. als Bushaltestellen eingesetzt wurden, dazu führte, dass zusätzlich eine simulierte, aber sonst völlig nutzlose Eisenstütze das Dach halten sollte, weil niemand glauben konnte, dass diese seltsam geschwungenen Dächer, die nur auf zwei Enden im Boden wie Zelte verankert sind, tatsächlich halten würden.
Auf diese Weise hat Müther fast mehr Bau-Psychologie betrieben, was sich auch auf die Verwendung seiner Bauten entscheidend auswirkte, so Architekt Carsten Joost:
"Mir ist nicht bekannt, dass jemals eine Wohnung im Betonschalenbau entstanden ist. Es ist tatsächlich eine reine Freizeit- und Vergnügungsarchitektur und unter anderem deshalb so reizvoll auch für viele, die vielleicht noch Probleme haben mit dem Hintergrund der DDR-Geschichte. Das ist so mit das Spannendste, glaube ich, an Hinterlassenschaften der DDR, weil es hier wirklich um Architektur-Avantgarde geht. Das findet sich auch kaum in anderen Ländern in dieser Art von Expressivität."
Pavillons von Müther finden sich vor allem noch im Bereich der Seebäder von Mecklenburg-Vorpommern, wurden zu DDR-Zeiten vor allem als Großgaststätten oder Kioske verwendet und nannten sich schon damals "Inselparadies" oder "Ostseeperle" - heute dagegen befinden sich viele in der Umnutzung, leiden unter zusätzlich eingezogenen Zwischenwänden, unnötigen Stützmauern zur Beruhigung der Gäste oder schlicht unter Verfall, weil sie niemand aufwändig restaurieren möchte und sie darüber hinaus auch nicht mehr den heutigen Vorschriften für Wärmeisolation und Feuerbeständigkeit entsprechen. Trotzdem wirkt das Beispiel Müthers nach Ansicht von Carsten Joost fort:
"Es gibt natürlich auch Beispiele für richtigen Betonschalenbau. Auch das Hans Otto-Theater in Potsdam: ganz, ganz dünn, ganz interessant auch. Aber es gibt natürlich viele freie Formen, mitunter organische Formen, auch kaschierte Formen in Stahlbau, also die sozusagen ganz anders hergestellt sind, jetzt beispielsweise das Tempodrom in Berlin, dagegen spricht ja auch nichts. Der Betonschalenbau ist aber irgendwie so der Königsweg, weil man wirklich so dünne Flächen hinbekommt wie mit keinem anderen Baustoff."
Freilich gibt es markante Unterschiede: Müthers Bauten wirken nie wirklich organisch, sondern eher stilisiert, mit einer zackigen, dynamischen Form, die dem Futurismus der sozialistischen Bauästhetik zu ganz unverhofftem plastischem Ausdruck verhalf. Gerade dadurch wirken sie aber auch so zeitgebunden, weil sie eine bestimmt Form von technischer Zukunftsvorstellung verkörpern. Die ist heute unter Jüngeren zwar mittlerweile wieder "Kult", ansonsten aber kaum mehr praktikabel.
Überhaupt scheint die Zukunft in der Architektur als Symbol ausgedient zu haben. Stattdessen dominieren Schlagworte wie Nachhaltigkeit, Ökologie und Sparsamkeit. Müthers Bauten dagegen sind wie Träume mathematischer Vernunft, ein architektonischer Sonderweg, der als Skulptur, als Denkmal eigentlich mehr aussagt, denn als Nutzbau.