Meister und Muse
Sie ist ein Gesicht des französischen Films, ein Gesicht der Nouvelle Vague: Anne Wiazemsky. In mehr als einem Dutzend Filme stand die 1947 geborene Schauspielerin, Regisseurin und Autorin vor der Kamera. Im Alter von 20 Jahren spielte sie unter anderem in Jean-Luc Godards Film "Die Chinesin" mit, kurz nach dem Ende der Dreharbeiten wurde sie Godards Ehefrau. In ihrem Roman "Jeune Fille", der im Deutschen den gleichen Titel trägt wie im französischen Original, erzählt Wiazemsky die Initiationsgeschichte ihrer Filmlaufbahn, es ist zugleich die Geschichte einer weiblichen und einer kulturellen Initiation: ein Frühlingserwachen in der Welt der cinematografischen Moderne.
Durch eine Freundin lernt Anne Wiazemsky Mitte der 60er-Jahre den berühmten Filmregisseur Robert Bresson kennen. Sie ist siebzehn Jahre alt, als sich Bresson spontan entscheidet, ihr die Hauptrolle in seinem Film "Zum Beispiel Balthasar" anzuvertrauen. Der spätere Kultfilm der Nouvelle Vague erzählt mit äußerster stilistischer Strenge und im Kontext des Katholizismus von der Liebe zwischen einem Mädchen, dargestellt von Anne Wiazemsky, und einem Esel. Bresson arbeitet in seinen Filmen ausschließlich mit Laien und verlangt von seinen Darstellern absolute, widerstandslose Hingabe, ja Unterwerfung. Während der Dreharbeiten lebt Anne Wiazemesky mit Bresson in einem Haus.
Von dieser Zeit im Sommer 1965 erzählt sie in dem autobiografischen Roman "Jeune Fille". Das Kernthema variiert einen Topos der europäischen Kunstgeschichte: Das platonische, erotisierte Verhältnis zwischen Meister und Muse: zwischen dem Mädchen Anne, das als Enkelin des französischen Literaturnobelpreisträgers Francois Mauriac und als Tochter eines Diplomaten in großbürgerlichen, höchst kultivierten Verhältnissen groß geworden ist, und einem Starregisseur, den sie vor Ehrfurcht kaum beim Namen zu nennen wagt.
Der Roman bildet den Kontrast ab zwischen den feudalen Verhältnissen in einem Filmteam und der Künstlerboheme, die um die Filmarbeiten kreist. Drei Jahre vor der Kulturrevolution, vor dem Pariser Mai 68 ist die bürgerliche Ordnung noch intakt – aber sie weist winzige Sprünge auf. Erotik liegt in der Luft, und das Mädchen, das mit einem Kabelträger sein erstes Abenteuer erlebt, saugt sie gierig auf.
Charme, Erotik, Leichthändigkeit sind auch die stilistischen und erzählerischen Merkmale des Romans. Er ist so typisch französisch wie die Nouvelle Vague, deren Geschichte er sich verdankt.
Besprochen von Ursula März
Anne Wiazemsky: "Jeune Fille",
Aus dem Französischen von Judith Klein,
C.H. Beck Verlag, München 2009, 206 Seiten, 18,90 Euro
Von dieser Zeit im Sommer 1965 erzählt sie in dem autobiografischen Roman "Jeune Fille". Das Kernthema variiert einen Topos der europäischen Kunstgeschichte: Das platonische, erotisierte Verhältnis zwischen Meister und Muse: zwischen dem Mädchen Anne, das als Enkelin des französischen Literaturnobelpreisträgers Francois Mauriac und als Tochter eines Diplomaten in großbürgerlichen, höchst kultivierten Verhältnissen groß geworden ist, und einem Starregisseur, den sie vor Ehrfurcht kaum beim Namen zu nennen wagt.
Der Roman bildet den Kontrast ab zwischen den feudalen Verhältnissen in einem Filmteam und der Künstlerboheme, die um die Filmarbeiten kreist. Drei Jahre vor der Kulturrevolution, vor dem Pariser Mai 68 ist die bürgerliche Ordnung noch intakt – aber sie weist winzige Sprünge auf. Erotik liegt in der Luft, und das Mädchen, das mit einem Kabelträger sein erstes Abenteuer erlebt, saugt sie gierig auf.
Charme, Erotik, Leichthändigkeit sind auch die stilistischen und erzählerischen Merkmale des Romans. Er ist so typisch französisch wie die Nouvelle Vague, deren Geschichte er sich verdankt.
Besprochen von Ursula März
Anne Wiazemsky: "Jeune Fille",
Aus dem Französischen von Judith Klein,
C.H. Beck Verlag, München 2009, 206 Seiten, 18,90 Euro