Meisterfälscher und Menschenretter
Ein genialer Tüftler und sein Leben im Untergrund: 1943 begann Adolfo Kaminsky, für die französische Résistance gefälschte Papiere herzustellen – und rettete damit Tausende Juden vor dem sicheren Tod. Geld nahm er nie, sein Ziel war eine bessere, eine gerechtere Welt.
Geschmeidig und schnell bewegt sich Adolfo Kaminsky. Er ist 86 Jahre alt. Fast zierlich wie die einer Frau sind seine Hände, weich und sehr hell die Haut. Sein Blick scheint durch den Raum zu schweifen. Tatsächlich aber beobachtet er. Unauffällig bleiben. Für Adolfo Kaminsky war das lange Zeit überlebenswichtig.
Ich musste mich in einen Schatten verwandeln, dicht an den Mauern entlanggehen, dem Licht der Straßenlaternen ausweichen, meine Schritte dämpfen, über den Boden gleiten und mich unsichtbar machen.
Er ist immer auf der Flucht vor der Entdeckung: 1943 beginnt Adolfo Kaminsky, für die französische Résistance gefälschte Papiere herzustellen – und bewahrt so Juden vor der Deportation. Er nimmt kein Geld für seine Arbeit, für den jungen russischstämmigen Juden wird es zu einer Lebensentscheidung.
"Warum haben Menschen nicht das Recht, wie jedermann zu leben, nur weil sie keine Ausweispapiere haben? Das ist bizarr. Ein Mensch ist ein Mensch, und kein Mensch ist mehr oder weniger wert als ein anderer."
Die Familie Kaminsky wandert 1932 aus Argentinien aus, lebt zunächst in Paris, seit 1938 in Vire in der Normandie. Hier beginnt Adolfo eine Färberlehre.
"Es gab diese Magie der Farbe. Die Stoffe kochten in großen Bassins – gemeinsam mit einer tintenartigen Flüssigkeit. Nach einer Stunde war die Farbe im Stoff und das Wasser klar wie Quellwasser. Ich fand das sehr eindrucksvoll."
Auf dem Flohmarkt kauft er Chemiebücher. In einer Apotheke eine ausrangierte Laborausstattung – auf Raten. Er ist ein Tüftler. Einfache Mittel, kluge Lösungen.
1940 wird Vire von der deutschen Armee besetzt, seine Mutter ein Jahr später von den Nazis ermordet. Die Familie Kaminsky wird 1943 deportiert: Drancy, das Internierungslager, für Kaminsky der "Palast des Durchzugs", und ein Ort, an dem er sein politisches Bewusstsein schärft.
Erst in Drancy habe ich die Juden und ihre Vielfalt entdeckt. Ich habe sie geliebt, ich habe sie durch mich geliebt. Ich habe mich als Jude gefühlt, und dieses Gefühl hat mich nie mehr verlassen.
Der argentinische Konsul setzt sich für die Familie ein. Adolfo ist frei. In Paris nimmt die Résistance Kontakt zu ihm auf.
"Die Résistance hat mich rekrutiert, weil ich alles über die Chemie der Farben wusste. Mein Verbindungsoffizier, ein Chemiker, konnte ein Problem im Fälscherlabor nicht lösen. Ich hatte direkt eine Idee, wie es klappen könnte. Das hat ihn sehr verblüfft."
Adolfo beginnt direkt mit der Arbeit. Von seinen Kollegen kennt er nur die Decknamen: Giraffe, Reiher und Pinguin.
Ich werde das dunkle Zimmer, den Geruch des Holzschreibtischs mit der kleinen Lampe, die Feder und das Tintenfass und die Gegenwart von Girafe und Héron und Pingouin nie vergessen, die mir schweigend über die Schulter schauten. Ich unterschrieb den Ausweis mit einem sehr französischen Namen und zeigte ihn ihnen. Ich hatte eine Schwelle überschritten, ohne die mindeste Ahnung, dass dies der Beginn eines langen Fälscherlebens war.
"Schicksalsfabrik" – in einer Dachwohnung in Paris entsteht 1944 das größte Fälscherlabor Frankreichs. Betrieben von "La Sixième", der Sechsten, einer kleinen Gruppe jüdischer Widerstandskämpfer. Für Adolfo Kaminsky beginnt die Untergrundexistenz – mit einem gefälschten Pass: Julien Keller, 17 Jahre.
"Wenn man der einzige Überlebende eines Lagers ist, so wie ich, dann steht man in der Schuld. Ich konnte einfach nicht gleichgültig bleiben."
"Papiere zu fälschen, war nie ein moralisches Problem für mich. Ich habe es Menschen möglich gemacht, Grenzen zu passieren, sich in Sicherheit zu bringen, zu überleben. Das ist alles."
Und ich war stolz: ich war im Widerstand.
Unentdeckt bleiben – seine persönliche Sicherheit hängt für ihn davon ab, stets nur einen einzigen Kontaktmann zu haben. Oft sind mehrere hundert gefälschte Ausweispapiere in einer Woche notwendig.
"Die Nachfrage riss nicht ab."
Nach der Befreiung von Paris geht er für den französischen Geheimdienst nach Deutschland: Spione, die weniger bekannte Konzentrationslager in Deutschland finden sollen, brauchen falsche Papiere.
Nach dem Krieg zurück in die Normalität? Obwohl er kein Zionist ist, glaubt er an die Notwendigkeit eines jüdischen Staates. Er unterstützt die "Sterngruppe", Kämpfer gegen die britische Besetzung Palästinas. Ein neues "Kaminsky-Labor" entsteht. Seine Erwartungen werden von der Realität des jungen Staates Israel konterkariert: Zu religiös, zu individualistisch, zu nationalistisch ist ihm dieses Land der Juden.
Ich persönlich war für die zweite Lösung, einen gemischten säkularen Staat, das einzige, was meiner Meinung nach garantierte, dass jeder seine Religion ausüben konnte, ohne dem anderen deren Gesetze aufzuzwingen. Utopist sagst Du? Ja das war ich, und das bin ich immer noch.
Fast 30 Jahre seines Lebens arbeitet Kaminsky im Untergrund und versorgt die großen Widerstandsbewegungen des 20. Jahrhunderts mit falschen Papieren und Identitäten. Vom Algerienkrieg und den südamerikanischen Befreiungsbewegungen bis zu den Aufständen gegen Diktatoren wie Salazar, Franco, die griechischen Obristen und der südafrikanischen Anti-Apartheidsbewegung: Kaminsky hat sie, aus Überzeugung und mit technisch immer ausgefeilteren Methoden mit falschen Papieren unterstützt.
Geld nahm er nie – und blieb damit unabhängig. Adolfo Kaminsky will eine bessere, eine gerechtere Welt.
Es gab sehr viele Freiheitskämpfer, aber auf meinem Gebiet gab es außer mir keinen, oder fast keinen. Immer wenn es nötig war, wenn ein Menschenleben in Gefahr war, fälschte ich Papiere, und ständig quälte mich die Frage: Wer würde meine Aufgabe übernehmen, wenn ich aufhörte oder mir etwas zustieß?
Fast selbstironisch klingt es, wenn Adolfo Kaminsky die "Ehemalige-Kämpfer -Depression" beschreibt:
Wenn man gelernt hat, mit der Angst im Bauch zu leben, wenn man immer auf der Hut sein Leben, seine Freiheit riskiert und so viele gefährliche Situationen erlebt hat, dass einem der Kopf schwirrt, wenn man sich selbst ganz in den Dienst einer gerechten Sache gestellt hat, ist die Rückkehr in ein normales Leben sehr schwer.
Warum hörte er auf? Eine Reihe von Zufällen zeigte ihm, dass sein Name inzwischen zu bekannt war, er war, wie er sagt, "verbrannt".
"Eines Tages habe ich beschlossen aufzuhören. Um einen klaren Schnitt zu setzen, bin ich zum Arbeiten nach Algerien gegangen. Ich plante auf ein Jahr. Und ich blieb zehn."
Er heiratet, bekommt drei Kinder. Heute lebt er in Paris. Der Meisterfälscher hat noch einmal angefangen: Als "junger Fotograf", wie er augenzwinkernd sagt.
Ich musste mich in einen Schatten verwandeln, dicht an den Mauern entlanggehen, dem Licht der Straßenlaternen ausweichen, meine Schritte dämpfen, über den Boden gleiten und mich unsichtbar machen.
Er ist immer auf der Flucht vor der Entdeckung: 1943 beginnt Adolfo Kaminsky, für die französische Résistance gefälschte Papiere herzustellen – und bewahrt so Juden vor der Deportation. Er nimmt kein Geld für seine Arbeit, für den jungen russischstämmigen Juden wird es zu einer Lebensentscheidung.
"Warum haben Menschen nicht das Recht, wie jedermann zu leben, nur weil sie keine Ausweispapiere haben? Das ist bizarr. Ein Mensch ist ein Mensch, und kein Mensch ist mehr oder weniger wert als ein anderer."
Die Familie Kaminsky wandert 1932 aus Argentinien aus, lebt zunächst in Paris, seit 1938 in Vire in der Normandie. Hier beginnt Adolfo eine Färberlehre.
"Es gab diese Magie der Farbe. Die Stoffe kochten in großen Bassins – gemeinsam mit einer tintenartigen Flüssigkeit. Nach einer Stunde war die Farbe im Stoff und das Wasser klar wie Quellwasser. Ich fand das sehr eindrucksvoll."
Auf dem Flohmarkt kauft er Chemiebücher. In einer Apotheke eine ausrangierte Laborausstattung – auf Raten. Er ist ein Tüftler. Einfache Mittel, kluge Lösungen.
1940 wird Vire von der deutschen Armee besetzt, seine Mutter ein Jahr später von den Nazis ermordet. Die Familie Kaminsky wird 1943 deportiert: Drancy, das Internierungslager, für Kaminsky der "Palast des Durchzugs", und ein Ort, an dem er sein politisches Bewusstsein schärft.
Erst in Drancy habe ich die Juden und ihre Vielfalt entdeckt. Ich habe sie geliebt, ich habe sie durch mich geliebt. Ich habe mich als Jude gefühlt, und dieses Gefühl hat mich nie mehr verlassen.
Der argentinische Konsul setzt sich für die Familie ein. Adolfo ist frei. In Paris nimmt die Résistance Kontakt zu ihm auf.
"Die Résistance hat mich rekrutiert, weil ich alles über die Chemie der Farben wusste. Mein Verbindungsoffizier, ein Chemiker, konnte ein Problem im Fälscherlabor nicht lösen. Ich hatte direkt eine Idee, wie es klappen könnte. Das hat ihn sehr verblüfft."
Adolfo beginnt direkt mit der Arbeit. Von seinen Kollegen kennt er nur die Decknamen: Giraffe, Reiher und Pinguin.
Ich werde das dunkle Zimmer, den Geruch des Holzschreibtischs mit der kleinen Lampe, die Feder und das Tintenfass und die Gegenwart von Girafe und Héron und Pingouin nie vergessen, die mir schweigend über die Schulter schauten. Ich unterschrieb den Ausweis mit einem sehr französischen Namen und zeigte ihn ihnen. Ich hatte eine Schwelle überschritten, ohne die mindeste Ahnung, dass dies der Beginn eines langen Fälscherlebens war.
"Schicksalsfabrik" – in einer Dachwohnung in Paris entsteht 1944 das größte Fälscherlabor Frankreichs. Betrieben von "La Sixième", der Sechsten, einer kleinen Gruppe jüdischer Widerstandskämpfer. Für Adolfo Kaminsky beginnt die Untergrundexistenz – mit einem gefälschten Pass: Julien Keller, 17 Jahre.
"Wenn man der einzige Überlebende eines Lagers ist, so wie ich, dann steht man in der Schuld. Ich konnte einfach nicht gleichgültig bleiben."
"Papiere zu fälschen, war nie ein moralisches Problem für mich. Ich habe es Menschen möglich gemacht, Grenzen zu passieren, sich in Sicherheit zu bringen, zu überleben. Das ist alles."
Und ich war stolz: ich war im Widerstand.
Unentdeckt bleiben – seine persönliche Sicherheit hängt für ihn davon ab, stets nur einen einzigen Kontaktmann zu haben. Oft sind mehrere hundert gefälschte Ausweispapiere in einer Woche notwendig.
"Die Nachfrage riss nicht ab."
Nach der Befreiung von Paris geht er für den französischen Geheimdienst nach Deutschland: Spione, die weniger bekannte Konzentrationslager in Deutschland finden sollen, brauchen falsche Papiere.
Nach dem Krieg zurück in die Normalität? Obwohl er kein Zionist ist, glaubt er an die Notwendigkeit eines jüdischen Staates. Er unterstützt die "Sterngruppe", Kämpfer gegen die britische Besetzung Palästinas. Ein neues "Kaminsky-Labor" entsteht. Seine Erwartungen werden von der Realität des jungen Staates Israel konterkariert: Zu religiös, zu individualistisch, zu nationalistisch ist ihm dieses Land der Juden.
Ich persönlich war für die zweite Lösung, einen gemischten säkularen Staat, das einzige, was meiner Meinung nach garantierte, dass jeder seine Religion ausüben konnte, ohne dem anderen deren Gesetze aufzuzwingen. Utopist sagst Du? Ja das war ich, und das bin ich immer noch.
Fast 30 Jahre seines Lebens arbeitet Kaminsky im Untergrund und versorgt die großen Widerstandsbewegungen des 20. Jahrhunderts mit falschen Papieren und Identitäten. Vom Algerienkrieg und den südamerikanischen Befreiungsbewegungen bis zu den Aufständen gegen Diktatoren wie Salazar, Franco, die griechischen Obristen und der südafrikanischen Anti-Apartheidsbewegung: Kaminsky hat sie, aus Überzeugung und mit technisch immer ausgefeilteren Methoden mit falschen Papieren unterstützt.
Geld nahm er nie – und blieb damit unabhängig. Adolfo Kaminsky will eine bessere, eine gerechtere Welt.
Es gab sehr viele Freiheitskämpfer, aber auf meinem Gebiet gab es außer mir keinen, oder fast keinen. Immer wenn es nötig war, wenn ein Menschenleben in Gefahr war, fälschte ich Papiere, und ständig quälte mich die Frage: Wer würde meine Aufgabe übernehmen, wenn ich aufhörte oder mir etwas zustieß?
Fast selbstironisch klingt es, wenn Adolfo Kaminsky die "Ehemalige-Kämpfer -Depression" beschreibt:
Wenn man gelernt hat, mit der Angst im Bauch zu leben, wenn man immer auf der Hut sein Leben, seine Freiheit riskiert und so viele gefährliche Situationen erlebt hat, dass einem der Kopf schwirrt, wenn man sich selbst ganz in den Dienst einer gerechten Sache gestellt hat, ist die Rückkehr in ein normales Leben sehr schwer.
Warum hörte er auf? Eine Reihe von Zufällen zeigte ihm, dass sein Name inzwischen zu bekannt war, er war, wie er sagt, "verbrannt".
"Eines Tages habe ich beschlossen aufzuhören. Um einen klaren Schnitt zu setzen, bin ich zum Arbeiten nach Algerien gegangen. Ich plante auf ein Jahr. Und ich blieb zehn."
Er heiratet, bekommt drei Kinder. Heute lebt er in Paris. Der Meisterfälscher hat noch einmal angefangen: Als "junger Fotograf", wie er augenzwinkernd sagt.
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