Meisterin der Selbstinszenierung
Im Martin-Gropius-Bau in Berlin ist derzeit eine große Retrospektive mit 150 Gemälden und Zeichnungen Frida Kahlos zu sehen. Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen bewundert, wie Kahlo ihr biografisches Material in verschiedene Kunstformen überführt hat. Zugleich habe Kahlo "sehr gekonnt gewusst, wie sie sich als Kunstfigur immer wieder inszenieren konnte".
Joachim Scholl: 1907 ist sie geboren, 1954 schon gestorben, die mexikanische Malerin Frida Kahlo. Inzwischen zählt man sie zu den bedeutendsten Künstlerinnen der Moderne, ihre Werke erzielen auf dem Kunstmarkt astronomische Summen, und um ihr Leben, ihre Persönlichkeit hat sich ein regelrechter Kult gebildet. Der Sammler und Kunstmäzen Heinz Berggruen, er war mit Frida Kahlo befreundet, sogar liiert, und so hat er sich über ihre Kunst geäußert:
Heinz Berggruen: "Sie ist ganz schwer einzuordnen. Sie ist so eine einmalige Erscheinung, und auch in der modernen Kunst, in unserer zeitgenössischen Kunst, ist sie ganz unabhängig, völlig unabhängig, einmalig. Sie ist ja absolut zu einem Mythos gewachsen, den sie gar nicht provozieren wollte – sie war viel zu bescheiden, aber so ist es geworden. Aber für mich ist Frida eben auch menschlich so unerhört bedeutend. Viele Dinge, die passiert sind, habe ich wahrscheinlich vollkommen vergessen und weiß gar nicht mehr, dass sie existierten, aber Frida bleibt mir im Bewusstsein."
Scholl: Der Sammler und Mäzen Heinz Berggruen über die Künstlerin Frida Kahlo. Ab heute ist ein Großteil ihrer Werke in einer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau zu bewundern, und ich bin nun mit Elisabeth Bronfen verbunden. Sie ist Kulturwissenschaftlerin an der Universität Zürich, hat ein viel beachtetes Buch über große Diven veröffentlicht und auch in mehreren Arbeiten Wesen und Werk von Frida Kahlo in den Blick genommen. Ich grüße Sie, Frau Bronfen!
Elisabeth Bronfen: Guten Tag!
Scholl: Was macht Frida Kahlo, Frau Bronfen, für Sie so interessant? Finden Sie sie auch faszinierend?
Bronfen: Für mich ist Frida Kahlo immer schon eine interessante Künstlerin gewesen in Bezug zu der ganzen Frage, was möglicherweise eine spezifisch weibliche Ästhetik oder ästhetischer Ausdruck aus einer spezifisch weiblichen Sicht sein könnte. Das ist ja etwas, mit dem ich mich in mehreren Essays zur Kunst auch beschäftigt habe, vor allem gerade im Bezug auch auf den Surrealismus oder die frühe Moderne.
Und da spielt Kahlo deswegen so eine wichtige Rolle, weil sie einerseits durchaus, könnte man sagen, eine Art visuelles Tagebuch produziert hat mit ihren Gemälden, weil die Gemälde sind ja auf einer Ebene extrem persönlich, es ist extrem autobiografische Werke, gleichzeitig aber setzt sie diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben immer in Kunstformen um. Das heißt also, zu glauben, das ist jetzt eine rein subjektive unvermittelte Art und Weise über weiblichen Schmerz und die Situation von Frauen in dieser spezifischen Kultur, in der sie sich befunden hat, also die mexikanische Kultur, aber auch die internationale Kultur, das wird immer in eine sehr präzise und sehr ausdifferenzierte Kunstsprache übersetzt. Also bedient sie eigentlich zwei Seiten dessen, worüber man sich in Bezug auf diese ganze Frage von weiblicher Ästhetik interessiert hat.
Scholl: Lassen Sie uns auf diese künstlerischen Zusammenhänge noch später zurückkommen, Frau Bronfen. Was würden Sie sagen, worauf gründet sich dieser Kult, den sie erzeugt hat und der anscheinend ungebrochen durch die Epochen wirkt?
Bronfen: Also der Kult hat mit dem zu tun, was tatsächlich mit dem Aufkommen der ganzen Frage von Frauen in der Kultur, in der Kunst, in der Literatur sagen wir mal ab Mitte der 70er-Jahre zu tun hat. Das ist in etwa auch der Augenblick, in dem Frida Kahlo so bedeutend wurde. Das ist teilweise, was sie versucht zu sagen, auch ein Fehler. Wir haben dazu tendiert, die Frauen auf ihre Lebensgeschichten hin zu lesen und teilweise auch zu reduzieren.
Und bei Frida Kahlo hat das natürlich besonders gut funktioniert, weil sie ja diese unglaubliche Biografie hatte, dass sie früh, im frühen Alter einen ganz schrecklichen Unfall hatte und somit ihr Leben lang unter großen körperlichen Schmerzen leben und arbeiten musste und auch konnte. Der physische Schmerz und der psychische Schmerz, der dann in diesen ganzen Mythos um Kahlo eingeflossen ist, das sind so Steine einer Hagiografie, wenn Sie so wollen, die ganz besonders in das Bild passt, was man ab Mitte der 70er-Jahre über Künstlerinnen so gerne erzählt hat, nämlich dass sie sozusagen gegen Widerstände, gegen Hindernisse sich produzieren konnten und mussten.
Scholl: Sie, Elisabeth Bronfen, haben 2006 in einem Essay über Frida Kahlo geschrieben: "Wäre der Unfall am 17. September 1925 nicht passiert, Frida Kahlo hätte ihn erfinden müssen". Das hört sich so an, als ob Ihrer Meinung nach die Künstlerin ihr Leid auch als, ja, gewissermaßen künstlerische Selbststilisierung eingesetzt hätte?
Bronfen: Das ist gar nicht bös, also ich würde sagen, das ist etwas, was sehr viele Künstler tun, und da schreibt sich Frida Kahlo in eine lange Tradition ein, in der der Märtyrer sozusagen dieses Nicht-in-die-Normalität-des-bürgerlichen-Alltags-Passend benutzt, um seine Kunst zu legitimieren. Das ist, da könnten Sie Rimbaud als Vorbild nehmen, da könnte man Flaubert als Vorbild nehmen – das ist schon das 19. Jahrhundert und das 20. Jahrhundert sowieso. Der ganze Surrealismus, in dem sie ja Teil war, versteht sich ja als eine antibürgerliche – und zwar mit antibürgerlich meine ich jetzt eine sich aus den kapitalistischen Arbeitszwängen herausbewegende Kunstszene. Insofern ist es tatsächlich eine Form von Selbststilisierung, die aber, wenn ich das jetzt so formuliere, nichts Bösartiges ist, sondern eben eher etwas Genialisches.
Scholl: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, und Frida Kahlo ist unser Thema. Ein großer Teil des Werks von Frida Kahlo, Frau Bronfen, besteht ja aus Selbstbildnissen, und immer schaut sie einen dabei gewissermaßen frontal an. Ich meine, man kann sich von dieser Perspektive ganz schlecht lösen, und so gesehen lassen sich Werk und Leben überhaupt trennen oder getrennt betrachten und analysieren in ihrem Fall?
Bronfen: Also ich denke, bei diesem frontalen Blick muss man vielleicht noch an zwei Sachen dann festhalten. Erstens, sie hat ja bei ihrem Vater, der Fotograf war, auch gelernt, und das ist potenziell auch noch eine Erinnerung daran, dass in der frühen Fotografie, weil die Belichtungszeit so lang war, die Köpfe ja festgehalten wurden, also ein Metallobjekt, also dass sie da fast schon zurückgreift auf dieses etwas starre Blicken, also starr jetzt nicht von den Augen her, sondern von dem Körper her, was man aus der frühen Fotografie kennt.
Ich selber wollte das aber immer auch zusammen lesen mit dem, was ich in ihren Gemälden sehe, nämlich die Ikone. Und beides hätte für mich aber tatsächlich damit zu tun, dass sie auf eine sehr gekonnte Weise Leben und Kunst miteinander verbindet. Also das ist eben nicht einfach nur, ich bilde mich auf eine realistische Art und Weise ab, sondern ich nehme das, was ich habe, das Material, was ich habe, nämlich mein Innenleben, meine Fantasien, meine Träume, meine Ängste und mein Körperliches und setze das um in Kunst.
Scholl: Ich meine, immer steht die Gefühlsfrau Frida Kahlo im Mittelpunkt vieler Betrachtungen, auch im Film wird sie ja auch immer als Leidenschaftliche, Schmerzliche, Liebende und Lebende dargestellt. Wird denn die intellektuelle und auch ästhetisch-künstlerische Seite ihres Naturells vernachlässigt?
Bronfen: Also ich würde sagen Nein, weil man ja doch auch, wenn man sie im Kontext der internationalen Kunstbewegung sieht, deutlich wird, dass das nicht jetzt einfach eine naive Umsetzung von Leben in Kunst ist. Es gibt ja zum Beispiel dieses eine Gemälde, wo sie in der Badewanne liegt und man sieht so viele kleine Objekte oben auf der Oberfläche des Wassers, und das sind natürlich alles kleine Stückchen aus ihrer Biografie, aber es sind auch Stückchen aus ihrer Malerei. Das heißt, da wird ja auch etwas wirklich im wahrsten Sinne des Wortes reflektiert, also diese, die Spiegelung auf der Wasseroberfläche ist gleichzeitig auch wie eine Art Schirm, auf dem sie über sich reflektiert.
Und das Reflektieren über sich, das ist ja eine intellektuelle Haltung, das ist ja kein reiner emotionaler Ausguss sozusagen. Insofern denke ich, dass zumindest in den letzten 10, 15 Jahren eigentlich in der Kunstwelt zumindest und in der Kunstwissenschaft über Frida Kahlo nicht geredet wurde im Sinne von einer naiven Künstlerin, die eins zu eins ihr Leben auf der Leinwand wiedergibt, sondern jemand, die sich darüber Gedanken macht, was es heißt, Leben in Bilder umzusetzen.
Scholl: Sie haben Ihren Essay, Frau Bronfen, überschrieben mit "Das Wunder des verwundeten Körpers". Welches Wunder hat sich da vollzogen?
Bronfen: Das sind mehrere Wunder, die mich da interessiert haben, und zwar natürlich erst mal das Wunder, dass sie überlebt hat, dann das Wunder, dass sie aus dieser schrecklichen Verwundung so unglaublich hartnäckig und so langfristig, also über viele Jahre, Bilder schaffen konnte und aber natürlich auch das Wunder, dass sie so viel Bewunderung für diese Bilder bekommen hat. Und die ist ja wirklich zu ihren Lebzeiten eine der größten Stars Mexikos Kultur gewesen und nicht nur Mexikos Kultur. Und deswegen hatte ich sie in Zusammenhang mit dem, worüber ich bezüglich der Diva nachgedacht hatte, gelegt.
Die hat ja wirklich auch sehr, sehr gekonnt gewusst, wie sie sich als Kunstfigur immer wieder inszenieren konnte, ja, bis hin zu sich im Bett in eine Ausstellung hineintragen oder überhaupt auch, das fand ich ja ganz besonders schön, diese Vielzahl an Fotografien, die es zu Frida Kahlo gibt, wo man wirklich merkt, dass sie auch auf eine Art und Weise, wie das die großen Filmstars der Zeit können, weiß, wie mit der Kamera umgehen, damit sie eine bestimmte Celebrity von sich auch vermitteln kann. Und genau darauf, das ist ja auch eine Bewunderung vonseiten des Publikums, auf die sie da reagiert.
Scholl: Frida Kahlo. Ab heute läuft eine große Ausstellung in Berlin im Martin-Gropius-Bau bis zum 8. August, dann wandert die Schau weiter nach Wien, wo sie ab dem 1. September zu sehen sein wird. Wer sich für Elisabeth Bronfens Essay über Frida Kahlo interessiert: Er ist im letzten Jahr neu erschienen in Elisabeth Bronfens Buch "Crossmappings. Essays zur visuellen Kultur" im Züricher Verlag Scheidegger & Spiess. Frau Bronfen, schönen Dank für das Gespräch!
Bronfen: Vielen Dank!
Heinz Berggruen: "Sie ist ganz schwer einzuordnen. Sie ist so eine einmalige Erscheinung, und auch in der modernen Kunst, in unserer zeitgenössischen Kunst, ist sie ganz unabhängig, völlig unabhängig, einmalig. Sie ist ja absolut zu einem Mythos gewachsen, den sie gar nicht provozieren wollte – sie war viel zu bescheiden, aber so ist es geworden. Aber für mich ist Frida eben auch menschlich so unerhört bedeutend. Viele Dinge, die passiert sind, habe ich wahrscheinlich vollkommen vergessen und weiß gar nicht mehr, dass sie existierten, aber Frida bleibt mir im Bewusstsein."
Scholl: Der Sammler und Mäzen Heinz Berggruen über die Künstlerin Frida Kahlo. Ab heute ist ein Großteil ihrer Werke in einer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau zu bewundern, und ich bin nun mit Elisabeth Bronfen verbunden. Sie ist Kulturwissenschaftlerin an der Universität Zürich, hat ein viel beachtetes Buch über große Diven veröffentlicht und auch in mehreren Arbeiten Wesen und Werk von Frida Kahlo in den Blick genommen. Ich grüße Sie, Frau Bronfen!
Elisabeth Bronfen: Guten Tag!
Scholl: Was macht Frida Kahlo, Frau Bronfen, für Sie so interessant? Finden Sie sie auch faszinierend?
Bronfen: Für mich ist Frida Kahlo immer schon eine interessante Künstlerin gewesen in Bezug zu der ganzen Frage, was möglicherweise eine spezifisch weibliche Ästhetik oder ästhetischer Ausdruck aus einer spezifisch weiblichen Sicht sein könnte. Das ist ja etwas, mit dem ich mich in mehreren Essays zur Kunst auch beschäftigt habe, vor allem gerade im Bezug auch auf den Surrealismus oder die frühe Moderne.
Und da spielt Kahlo deswegen so eine wichtige Rolle, weil sie einerseits durchaus, könnte man sagen, eine Art visuelles Tagebuch produziert hat mit ihren Gemälden, weil die Gemälde sind ja auf einer Ebene extrem persönlich, es ist extrem autobiografische Werke, gleichzeitig aber setzt sie diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben immer in Kunstformen um. Das heißt also, zu glauben, das ist jetzt eine rein subjektive unvermittelte Art und Weise über weiblichen Schmerz und die Situation von Frauen in dieser spezifischen Kultur, in der sie sich befunden hat, also die mexikanische Kultur, aber auch die internationale Kultur, das wird immer in eine sehr präzise und sehr ausdifferenzierte Kunstsprache übersetzt. Also bedient sie eigentlich zwei Seiten dessen, worüber man sich in Bezug auf diese ganze Frage von weiblicher Ästhetik interessiert hat.
Scholl: Lassen Sie uns auf diese künstlerischen Zusammenhänge noch später zurückkommen, Frau Bronfen. Was würden Sie sagen, worauf gründet sich dieser Kult, den sie erzeugt hat und der anscheinend ungebrochen durch die Epochen wirkt?
Bronfen: Also der Kult hat mit dem zu tun, was tatsächlich mit dem Aufkommen der ganzen Frage von Frauen in der Kultur, in der Kunst, in der Literatur sagen wir mal ab Mitte der 70er-Jahre zu tun hat. Das ist in etwa auch der Augenblick, in dem Frida Kahlo so bedeutend wurde. Das ist teilweise, was sie versucht zu sagen, auch ein Fehler. Wir haben dazu tendiert, die Frauen auf ihre Lebensgeschichten hin zu lesen und teilweise auch zu reduzieren.
Und bei Frida Kahlo hat das natürlich besonders gut funktioniert, weil sie ja diese unglaubliche Biografie hatte, dass sie früh, im frühen Alter einen ganz schrecklichen Unfall hatte und somit ihr Leben lang unter großen körperlichen Schmerzen leben und arbeiten musste und auch konnte. Der physische Schmerz und der psychische Schmerz, der dann in diesen ganzen Mythos um Kahlo eingeflossen ist, das sind so Steine einer Hagiografie, wenn Sie so wollen, die ganz besonders in das Bild passt, was man ab Mitte der 70er-Jahre über Künstlerinnen so gerne erzählt hat, nämlich dass sie sozusagen gegen Widerstände, gegen Hindernisse sich produzieren konnten und mussten.
Scholl: Sie, Elisabeth Bronfen, haben 2006 in einem Essay über Frida Kahlo geschrieben: "Wäre der Unfall am 17. September 1925 nicht passiert, Frida Kahlo hätte ihn erfinden müssen". Das hört sich so an, als ob Ihrer Meinung nach die Künstlerin ihr Leid auch als, ja, gewissermaßen künstlerische Selbststilisierung eingesetzt hätte?
Bronfen: Das ist gar nicht bös, also ich würde sagen, das ist etwas, was sehr viele Künstler tun, und da schreibt sich Frida Kahlo in eine lange Tradition ein, in der der Märtyrer sozusagen dieses Nicht-in-die-Normalität-des-bürgerlichen-Alltags-Passend benutzt, um seine Kunst zu legitimieren. Das ist, da könnten Sie Rimbaud als Vorbild nehmen, da könnte man Flaubert als Vorbild nehmen – das ist schon das 19. Jahrhundert und das 20. Jahrhundert sowieso. Der ganze Surrealismus, in dem sie ja Teil war, versteht sich ja als eine antibürgerliche – und zwar mit antibürgerlich meine ich jetzt eine sich aus den kapitalistischen Arbeitszwängen herausbewegende Kunstszene. Insofern ist es tatsächlich eine Form von Selbststilisierung, die aber, wenn ich das jetzt so formuliere, nichts Bösartiges ist, sondern eben eher etwas Genialisches.
Scholl: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, und Frida Kahlo ist unser Thema. Ein großer Teil des Werks von Frida Kahlo, Frau Bronfen, besteht ja aus Selbstbildnissen, und immer schaut sie einen dabei gewissermaßen frontal an. Ich meine, man kann sich von dieser Perspektive ganz schlecht lösen, und so gesehen lassen sich Werk und Leben überhaupt trennen oder getrennt betrachten und analysieren in ihrem Fall?
Bronfen: Also ich denke, bei diesem frontalen Blick muss man vielleicht noch an zwei Sachen dann festhalten. Erstens, sie hat ja bei ihrem Vater, der Fotograf war, auch gelernt, und das ist potenziell auch noch eine Erinnerung daran, dass in der frühen Fotografie, weil die Belichtungszeit so lang war, die Köpfe ja festgehalten wurden, also ein Metallobjekt, also dass sie da fast schon zurückgreift auf dieses etwas starre Blicken, also starr jetzt nicht von den Augen her, sondern von dem Körper her, was man aus der frühen Fotografie kennt.
Ich selber wollte das aber immer auch zusammen lesen mit dem, was ich in ihren Gemälden sehe, nämlich die Ikone. Und beides hätte für mich aber tatsächlich damit zu tun, dass sie auf eine sehr gekonnte Weise Leben und Kunst miteinander verbindet. Also das ist eben nicht einfach nur, ich bilde mich auf eine realistische Art und Weise ab, sondern ich nehme das, was ich habe, das Material, was ich habe, nämlich mein Innenleben, meine Fantasien, meine Träume, meine Ängste und mein Körperliches und setze das um in Kunst.
Scholl: Ich meine, immer steht die Gefühlsfrau Frida Kahlo im Mittelpunkt vieler Betrachtungen, auch im Film wird sie ja auch immer als Leidenschaftliche, Schmerzliche, Liebende und Lebende dargestellt. Wird denn die intellektuelle und auch ästhetisch-künstlerische Seite ihres Naturells vernachlässigt?
Bronfen: Also ich würde sagen Nein, weil man ja doch auch, wenn man sie im Kontext der internationalen Kunstbewegung sieht, deutlich wird, dass das nicht jetzt einfach eine naive Umsetzung von Leben in Kunst ist. Es gibt ja zum Beispiel dieses eine Gemälde, wo sie in der Badewanne liegt und man sieht so viele kleine Objekte oben auf der Oberfläche des Wassers, und das sind natürlich alles kleine Stückchen aus ihrer Biografie, aber es sind auch Stückchen aus ihrer Malerei. Das heißt, da wird ja auch etwas wirklich im wahrsten Sinne des Wortes reflektiert, also diese, die Spiegelung auf der Wasseroberfläche ist gleichzeitig auch wie eine Art Schirm, auf dem sie über sich reflektiert.
Und das Reflektieren über sich, das ist ja eine intellektuelle Haltung, das ist ja kein reiner emotionaler Ausguss sozusagen. Insofern denke ich, dass zumindest in den letzten 10, 15 Jahren eigentlich in der Kunstwelt zumindest und in der Kunstwissenschaft über Frida Kahlo nicht geredet wurde im Sinne von einer naiven Künstlerin, die eins zu eins ihr Leben auf der Leinwand wiedergibt, sondern jemand, die sich darüber Gedanken macht, was es heißt, Leben in Bilder umzusetzen.
Scholl: Sie haben Ihren Essay, Frau Bronfen, überschrieben mit "Das Wunder des verwundeten Körpers". Welches Wunder hat sich da vollzogen?
Bronfen: Das sind mehrere Wunder, die mich da interessiert haben, und zwar natürlich erst mal das Wunder, dass sie überlebt hat, dann das Wunder, dass sie aus dieser schrecklichen Verwundung so unglaublich hartnäckig und so langfristig, also über viele Jahre, Bilder schaffen konnte und aber natürlich auch das Wunder, dass sie so viel Bewunderung für diese Bilder bekommen hat. Und die ist ja wirklich zu ihren Lebzeiten eine der größten Stars Mexikos Kultur gewesen und nicht nur Mexikos Kultur. Und deswegen hatte ich sie in Zusammenhang mit dem, worüber ich bezüglich der Diva nachgedacht hatte, gelegt.
Die hat ja wirklich auch sehr, sehr gekonnt gewusst, wie sie sich als Kunstfigur immer wieder inszenieren konnte, ja, bis hin zu sich im Bett in eine Ausstellung hineintragen oder überhaupt auch, das fand ich ja ganz besonders schön, diese Vielzahl an Fotografien, die es zu Frida Kahlo gibt, wo man wirklich merkt, dass sie auch auf eine Art und Weise, wie das die großen Filmstars der Zeit können, weiß, wie mit der Kamera umgehen, damit sie eine bestimmte Celebrity von sich auch vermitteln kann. Und genau darauf, das ist ja auch eine Bewunderung vonseiten des Publikums, auf die sie da reagiert.
Scholl: Frida Kahlo. Ab heute läuft eine große Ausstellung in Berlin im Martin-Gropius-Bau bis zum 8. August, dann wandert die Schau weiter nach Wien, wo sie ab dem 1. September zu sehen sein wird. Wer sich für Elisabeth Bronfens Essay über Frida Kahlo interessiert: Er ist im letzten Jahr neu erschienen in Elisabeth Bronfens Buch "Crossmappings. Essays zur visuellen Kultur" im Züricher Verlag Scheidegger & Spiess. Frau Bronfen, schönen Dank für das Gespräch!
Bronfen: Vielen Dank!

Frida Kahlo in ihrem Zuhause in Mexico City, 1939© AP