Meisterlich gestrickt

Von Anette Selg |
Vor über 30 Jahren entwickelte der Berliner Horst Schulz eine eigene Methode, um farbenfrohe Decken und Überwürfe herzustellen: das Patchworkstricken. 20 Jahre lang hat er auf Tourneen durch die ganze Welt seine Erfindung bekannt gemacht.
Betreff: Decke schulzen
Nur mal so nebenbei: Die Frau Schulz ist ein Herr Schulz. Nur ist Decke eben weiblich und meine heißt Mrs. Schulz aus ebendiesem Grund. Erst wollte ich sie ja Horst nennen!


Seit Ende der 60er-Jahre lebt Horst Schulz in einer geräumigen Jugendstilwohnung mitten in Berlin-Neukölln, umgeben von alten Möbeln, schweren Vorhängen, Glasleuchten - und viel Strick. Er hält sich aufrecht, der fast 80-jährige, weißhaarige Mann im dunklen Kordanzug, er besitzt keinen Computer und hat von seiner Präsenz im World Wide Web, von den vielen Seiten zum "schulzen", keinen Schimmer.

"Nicht, da ich nun, Gott sei Dank, kein Web habe oder so was, kann man mich damit auch nicht belästigen. Bin erstaunt auch über das, was Sie mir jetzt erzählen, ja bin wirklich erstaunt, natürlich freut mich das, wen erfreut denn Erfolg nicht, muss ich ganz klar sagen."

Der Grund für seine Berühmtheit ist seine Strickerfindung: das Patchworkstricken, auch "schulzen" genannt. Dabei werden zuerst einmal viele einzelne Strickstücke hergestellt, etwa von der Größe eines Topflappens, jedes Teil aus mehreren Wollfarben. Vernäht werden muss nichts, die Wollenden und -anfänge werden beim Stricken gleich mitverwebt. Am Ende werden diese Einzelstücke mit einer besonderen Technik zusammengestrickt, fertig ist ein farbenprächtiger Strick-Quilt. Auch Pullover, Jacken, Kissen in allen Farben lassen sich auf diese Weise "schulzen".

"So was zieht man sich nicht aus der Hosentasche. Das ist praktisch eine Lösung des ganz großen Problems des Vielfarbstrickens."

20 Jahre lang hat Horst Schulz Workshops zum Patchworkstricken gegeben, in Amerika und in der Schweiz, in Holland, Südafrika, Kanada. Dabei fing alles erst einmal ganz anders an, mit dem Stricken und Horst Schulz.

"Wir stammen noch aus Preußen und sind natürlich vertrieben worden. In Internierungslagern habe ich dann mit meinen Eltern vier Jahre verbracht. Da hatten wir morgens schon Feierabend. Eine Frau da im Lager, die hat aus Jutegarn, was aus diesen Scheuersäcken stammt, Spitzenstrickdecken gestrickt, und die hat sie dann immer vor die Baracke aufgespannt zum Trocknen. Ich war so fasziniert von dieser Arbeit. Das war'n Stück Sonnenschein in diesem grauen Lager."

Im Internierungslager in Dänemark hat der Elfjährige das Stricken gelernt, von der Frau mit den Spitzendecken. Als seine Familie nach vier Jahren endlich nach Deutschland reisen darf, hat Horst Schulz erst einmal genug vom Stricken. Er lernt Polsterer und Schaufensterdekorateur, arbeitet auf der Schwäbischen Alb, in Lüneburg und Göttingen. Aber als er in den 70ern Chefdekorateur eines großen Berliner Wollgeschäfts ist und immer mehr Kundinnen nach Strickkursen fragen, greift er doch wieder zur Nadel und unterrichtet. In den 80ern zunehmend das Patchworkstricken. Seine Kurse sind eine Berliner Attraktion.

"Dann dauerte es gar nicht lange, rief das Fernsehen an, Schautzer, und wie hieß die Nachrichtensprecherin, Dagmar Berghoff. Die hatten die Sendung Wunschkonzert und da durfte dann jeder die eigenen Sachen vorstellen. Ich war da noch am Gange, da kommt da so ein Techniker und sagt, Mensch, wir haben da so viele Anfragen, dürfen wir Ihre Telefonnummer einblenden."

Von diesem Tag an wird Horst Schulz überhäuft mit Angeboten, es folgen Einladungen zu Workshops überall in Deutschland, und bald darauf erobert er auch die internationale Strickwelt.

"Dann haben sich Amerikaner nach Düsseldorf auf die Fachmesse gemacht, um mich da zu treffen und haben gesagt, Mensch, so was gab ja noch gar nicht, hast du nicht Lust Amerikatournee zu machen. Ich bin da vielleicht mit flatternden Hosen hingefahren, auf Englisch bitte."

Nach den vielen Jahren auf Tournee mag Horst Schulz das Reisen nicht mehr, vor vier Jahren hat er aufgehört zu unterrichten. Es gibt das Internet, seine Fans, seine Bücher. Seine Erfindung wird weitergegeben und bleibt dadurch lebendig:

Jetzt "schulze" ich doch! Macht mega Spaß! Frau Schulz heißt sie, meine Restedecke.

Hallo Anabel! Deine Frau Schulz schaut wunderprächtig aus! Und deine Erklärung ist so einfach, dass ich jetzt auch schon fleißig an meiner "Frau Schulze" nadle.


Am Ende des Besuchs enthüllt der Meisterstricker noch einen verborgenen Arbeitsplatz in einer Fensternische. Helles Licht fällt auf sein letztes Strickstück.

"Ich habe mich entschieden, ich werde meine Sargdecke stricken, das is' die. Nicht, da kann ich doch umweltfreundlich ’nen Pappsarg nehmen, der wird toll zugedeckt."

Vor der Glasscheibe tost der Neuköllner Nachmittagsverkehr. Horst Schulz schlägt den Vorhang vor das Fenster, die Wohnung versinkt wieder im Halbdunkel.

"Ich hab damit überhaupt kein Problem, ich finde, das ist die einzige Gerechtigkeit auf dieser Welt. Na, hab ich das Glück gehabt, auch ’n schönes Leben gehabt zu haben, nee schön, doch schön, ja, erfolgreich auch und, ja, spannend, jo."

Service:

Wer neugierig geworden ist aufs Patchworkstricken nach Horst Schulz, kann sich im Internet weiter informieren, zum Beispiel in Anabels Strickblog.