Viktor Ullmanns Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“
28:36 Minuten
Im Ghetto Theresienstadt schuf Viktor Ullmann 1943/44 seine Oper „Der Kaiser von Atlantis“, die erst 1975 uraufgeführt wurde. Obwohl das Werk seitdem oft gespielt wurde, sind immer noch viele Fragen zur Gestalt und Deutung der Oper offen.
Viktor Ullmann war 1898 als Sohn eines österreichischen Offiziers zur Welt gekommen. Nach dem Militärdienst im 1. Weltkrieg hatte er in Wien einen Kompositionskurs bei Arnold Schönberg besucht. Danach war er nach Prag gezogen, wo ihn Alexander Zemlinsky wesentlich förderte. Stark prägte ihn aber auch die Musik von Alban Berg, Gustav Mahler und Kurt Weill. So verwendete Ullmann im "Kaiser von Atlantis" auch Modetänze wie Blues und Shimmy.
Der Prolog stellt die Figuren der Handlung vor: den Kaiser, den Trommler, den Lautsprecher, den Soldaten, ein Mädchen, den Tod und den Harlekin. Viktor Ullmann schuf diesen Prolog nicht nur für das Publikum, sondern auch, um den Veranstaltern einen Eindruck zu geben von seinem neuen Werk zu geben. Die Veranstalter – das war die von der SS kontrollierte Jüdische Selbstverwaltung im Ghetto Theresienstadt. Diese alte Festung nördlich von Prag hatte die deutsche Besatzungsmacht 1941 in eine Stadt für Juden umgewandelt. Viktor Ullmann, der bis dahin in Prag gelebt hatte, war wegen seiner jüdischen Herkunft 1942 hier eingeliefert worden. Die Jüdische Selbstverwaltung sorgte dafür, dass er von schweren körperlichen Arbeiten befreit wurde und sich ganz aufs Komponieren konzentrieren durfte.
Im Februar 1943 begann Ullmann mit der Arbeit an seiner Oper. Am 1. Mai 1944 hätte sie uraufgeführt werden sollen, doch dazu kam es nicht, denn die Meinungsverschiedenheiten zwischen Regieteam und Komponist waren zu groß. 1944 wurde der Komponist in Auschwitz ermordet. Erst 1975 kam seine Oper in Amsterdam zur Uraufführung.
Wer ist mächtiger - der Kaiser oder der Tod?
In Ullmanns Oper stehen sich zwei Hauptfiguren gegenüber: der Kaiser und der Tod. Als der Kaiser den Krieg aller gegen alle erklärt, protestiert der Tod. Er zerbricht sein Schwert und macht so das Töten und Sterben unmöglich. Der Kaiser ist zunächst entsetzt, weil nun auch von ihm verhängte Todesstrafen wirkungslos werden. Schließlich erklärt er listig die Tod-Verweigerung zu seiner eigenen Erfindung und behauptet, er habe sich entschlossen, verdienten Soldaten das ewige Leben zu schenken. Aber immer mehr Soldaten widersetzen sich seinem Tötungsbefehl, so dass die Macht des Kaisers zusammenbricht. Er wird wahnsinnig, worauf der Tod das Ende des Krieges aller gegen alle verkündet.
Der Tod ist bereit, wieder seine alte Rolle zu übernehmen, wenn der Kaiser als erster stirbt. Der Kaiser akzeptiert diese Forderung und verabschiedet sich mit einer großen Arie aus dem Leben. Erst nach dem Tod des Kaisers gibt es wieder ein normales Sterben. Damit ist das Gleichgewicht des Lebens wiederhergestellt, wie im Finale die Menschen erleichtert feststellen.
Verwirrung um das Libretto
Ullmann hat im Autograph Peter Kien als Autor des Librettos genannt. Dieser junge Grafiker, Zeichner und Schriftsteller befand sich damals ebenfalls in Theresienstadt. Peter Kien wurde allerdings erst zu einem Zeitpunkt, als die Opernpartitur schon fertig war, in das Projekt einbezogen. Da kein separates Libretto vorlag, wurde er gebeten, den Text aus der Partitur auszuschreiben. Kien war also lediglich der Kopist des Textbuchs. Beim Abschreiben hat er einige Änderungen vorgenommen, die er wohl als Verbesserungen empfand. Obwohl Peter Kien in seinem handschriftlichen Libretto Ullmanns Textvorlage verändert und verfälscht hatte, nannte ihn der Komponist schließlich auf dem Titelblatt als Textautor. Diese großzügige Geste gegenüber seinem jüngeren Kollegen trug zur Verwirrung bei. Alles spricht jedoch dafür, dass Ullmann das Libretto selbst verfasst hat. Zudem knüpfte er mit dem "Kaiser von Atlantis" inhaltlich an seine vorangehende Oper "Der Sturz des Antichrist" an.