Meisterwerk des magischen Realismus
Zwölf Jahre lang hat Michail Bulgakow an seinem Meisterwerk geschrieben. Erschienen ist der Roman 1966 - und zwar zensiert. Eine groß angelegte Satire auf die sowjetische Gesellschaft, zugleich ein Buch voller Allegorien und der Roman zählt zu den großen Werken der Weltliteratur.
1966/67 erschien Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita” erstmals in zensierter Fassung, knapp 30 Jahre nach dem Tod des bereits fast vergessenen Autors - und entfaltete unvergleichliche Wirkung. Das zwischen 1928 und 1940 entstandene Buch wurde wie eine brisante Flugschrift gelesen und zugleich als Wunderwerk wahrgenommen: Die mediokre russische Literatur der Sowjet-Ära hatte endlich Anschluss gefunden an die große Tradition von Gogol und Dostojewski. In ganz Osteuropa wurde der "Meister" zum Kultbuch und ist es bis heute geblieben. Auch im Westen war die Wirkung beträchtlich. Mick Jagger schrieb nach der Lektüre den Song "Sympathy for the Devil".
Der geheimnisvolle Magier Voland kommt mit seinen Gehilfen, darunter der sprechende Riesenkater Behemoth, nach Moskau und stellt das Leben in der Stadt völlig auf den Kopf. Die fantastisch-satanischen Ereignisse verstören eine Gesellschaft, in der der Materialismus zur Staatsdoktrin erklärt und die metaphysische Dimension abgeschafft wurde. Für die Inflation des Wunderbaren werden lächerliche Erklärungen zurechtgeschustert, etwa: Alles Hypnose! Eingefügt sind mehrere Kapitel aus einem unveröffentlichten Roman des "Meisters". Sie spielen im antiken Jerusalem und inszenieren hochbedeutsame Dialoge zwischen dem schwärmerisch-menschenfreundlich-pazifistischen Jesus Christus und dem schwer melancholischen Statthalter Pontius Pilatus, der schließlich zerknirscht die Kreuzigung befiehlt, die in erhabenem Ton geschildert wird: die große allegorische Hinrichtung des Menschlichen.
"Meister und Margarita" ist als Schlüsselroman über den Stalinismus verstanden und in allen Details interpretiert worden. Der Historiker Karl Schlögel hat den Roman als "besten Führer" ins Moskau der 30er-Jahre bezeichnet. Dem unbefangenen Leser fällt jedoch auf, dass vom damaligen Schreckensregime, abgesehen von Anspielungen auf das Spitzelwesen, auf die Panik vor "Saboteuren" oder das "Abgeholtwerden", konkret eher wenig zu spüren ist.
Statt Angst und Terror die heitere, entfesselte Satire auf die durchgängige Bürokratisierung und Korruption des sowjetischen Alltags (etwa bei der Wohnungsvergabe), sowie auf die Privilegien- und Günstlingswirtschaft des gleichermaßen überwachten wie gehätschelten Kulturbetriebs, der jeden wirklichen Künstler und Autor ausschließt (der Meister ist Insasse einer Irrenanstalt). Es werden menschliche Schwächen wie Duckmäusertum und Feigheit aufs Korn genommen, die im Sowjetreich zwar zur Blüte kamen, aber system- und zeitübergreifende Geltung beanspruchen können.
Eine Neuübersetzung war nach fast einem halben Jahrhundert fällig, allein um dem fortgeschrittenen Stand der komplexen Editionsgeschichte gerecht zu werden. Alexander Nitzberg will Bulgakows sprachliche Modernität und die poetische Instrumentierung des Romans im Deutschen kenntlich und genießbar machen, von den kühnen Metaphern und der gestischen Qualität der Dialoge bis hin zur grotesken Ironie und dem Spiel mit Klängen und Rhythmen. Inkohärenzen und Textfehler (Bulgakow konnte den Roman nicht mehr gänzlich überarbeiten) werden behutsam verbessert oder zumindest im Kommentar angesprochen.
So lädt diese frische Übersetzung ein zur Wiederentdeckung eines Meisterwerkes des Magischen Realismus, das mit grandiosen phantasmagorischen Exzessen aufwartet, wie dem Satansball, bei dem Margarita, die ebenso verwöhnte wie traurige Geliebte des Meisters, als Ballkönigen engagiert und mittels einer Flugsalbe zur Hexe gemodelt wird - eine Frau außer Rand und Band, die mit ihrem Teufelspakt jedoch eine Kindsmörderin erlöst und die Rückkehr des "Meisters" bewirkt. Wie überhaupt der satanische Voland zu jenen Teufeln gehört, die stets das Böse wollen, um das Gute zu schaffen.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita
Aus dem Russischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Nitzberg
Galiani, Berlin 2012
600 Seiten, 29,99 Euro
Der geheimnisvolle Magier Voland kommt mit seinen Gehilfen, darunter der sprechende Riesenkater Behemoth, nach Moskau und stellt das Leben in der Stadt völlig auf den Kopf. Die fantastisch-satanischen Ereignisse verstören eine Gesellschaft, in der der Materialismus zur Staatsdoktrin erklärt und die metaphysische Dimension abgeschafft wurde. Für die Inflation des Wunderbaren werden lächerliche Erklärungen zurechtgeschustert, etwa: Alles Hypnose! Eingefügt sind mehrere Kapitel aus einem unveröffentlichten Roman des "Meisters". Sie spielen im antiken Jerusalem und inszenieren hochbedeutsame Dialoge zwischen dem schwärmerisch-menschenfreundlich-pazifistischen Jesus Christus und dem schwer melancholischen Statthalter Pontius Pilatus, der schließlich zerknirscht die Kreuzigung befiehlt, die in erhabenem Ton geschildert wird: die große allegorische Hinrichtung des Menschlichen.
"Meister und Margarita" ist als Schlüsselroman über den Stalinismus verstanden und in allen Details interpretiert worden. Der Historiker Karl Schlögel hat den Roman als "besten Führer" ins Moskau der 30er-Jahre bezeichnet. Dem unbefangenen Leser fällt jedoch auf, dass vom damaligen Schreckensregime, abgesehen von Anspielungen auf das Spitzelwesen, auf die Panik vor "Saboteuren" oder das "Abgeholtwerden", konkret eher wenig zu spüren ist.
Statt Angst und Terror die heitere, entfesselte Satire auf die durchgängige Bürokratisierung und Korruption des sowjetischen Alltags (etwa bei der Wohnungsvergabe), sowie auf die Privilegien- und Günstlingswirtschaft des gleichermaßen überwachten wie gehätschelten Kulturbetriebs, der jeden wirklichen Künstler und Autor ausschließt (der Meister ist Insasse einer Irrenanstalt). Es werden menschliche Schwächen wie Duckmäusertum und Feigheit aufs Korn genommen, die im Sowjetreich zwar zur Blüte kamen, aber system- und zeitübergreifende Geltung beanspruchen können.
Eine Neuübersetzung war nach fast einem halben Jahrhundert fällig, allein um dem fortgeschrittenen Stand der komplexen Editionsgeschichte gerecht zu werden. Alexander Nitzberg will Bulgakows sprachliche Modernität und die poetische Instrumentierung des Romans im Deutschen kenntlich und genießbar machen, von den kühnen Metaphern und der gestischen Qualität der Dialoge bis hin zur grotesken Ironie und dem Spiel mit Klängen und Rhythmen. Inkohärenzen und Textfehler (Bulgakow konnte den Roman nicht mehr gänzlich überarbeiten) werden behutsam verbessert oder zumindest im Kommentar angesprochen.
So lädt diese frische Übersetzung ein zur Wiederentdeckung eines Meisterwerkes des Magischen Realismus, das mit grandiosen phantasmagorischen Exzessen aufwartet, wie dem Satansball, bei dem Margarita, die ebenso verwöhnte wie traurige Geliebte des Meisters, als Ballkönigen engagiert und mittels einer Flugsalbe zur Hexe gemodelt wird - eine Frau außer Rand und Band, die mit ihrem Teufelspakt jedoch eine Kindsmörderin erlöst und die Rückkehr des "Meisters" bewirkt. Wie überhaupt der satanische Voland zu jenen Teufeln gehört, die stets das Böse wollen, um das Gute zu schaffen.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita
Aus dem Russischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Nitzberg
Galiani, Berlin 2012
600 Seiten, 29,99 Euro