Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

Von Sven-Claude Bettinger |
Hunderttausende Besucher kommen jährlich nach Gent, um einen Höhepunkt der Kunstgeschichte und eines der begehrtesten Objekte der Beutekunst zu bewundern: Den "Genter Altar", der die Anbetung des Lamm Gottes zeigt. Jetzt wird er restauriert.
Staunend schieben sich die Touristen am "Genter Altar" in der Kathedrale der flämischen Stadt vorbei. Wie immer – und doch ganz anders. In die Kapelle, in der das Meisterwerk in einem Kasten aus Beton und Panzerglas steht, kommen sie in den nächsten Monaten nicht. Dafür sehen sie, wie dort – hinter einer Glasscheibe - Kunsthistoriker und Restauratoren demontierte Altarflügel sehr vorsichtig mit modernsten Apparaten untersuchen. Der Eingriff war nötig, betont Christina Ceulemans von Belgiens Königlichem Institut für das Kulturerbe:

"Der Zustand des Werks wurde ungenügend kontrolliert. Dabei hatte man die Beleuchtung im Kasten verändert, was Schäden verursachte. Als wir mit der Untersuchung begannen, fanden wir auch viel Staub auf dem Gemälde, die Folge einer schlechten Klimatisierung. Dieser Staub und der vergilbte Firnis müssen entfernt werden, damit man wieder die herrlich leuchtenden Farben sehen kann."

Die Koordinatorin des internationalen Projekts freut sich längst nicht nur darauf:

"Wir hoffen, mit den modernsten Methoden herauszufinden, ob zwei Maler am Altar gearbeitet haben und ob es zwei Entstehungsphasen gegeben hat. Das sind noch immer offene Fragen."

1823 wurde in Berlin nämlich eine Inschrift entdeckt: "Hubert van Eyck - einen Größeren gab es nicht – hat mit der Arbeit begonnen, sein jüngerer Bruder Jan hat sie vollendet." Leben und Oeuvre von Jan van Eyck sind gut dokumentiert. Schließlich war er der Hofmaler von Herzog Philipp dem Guten von Burgund, gefragter Porträtist des europäischen Hochadels seiner Zeit. Durchweg signierte er seine Gemälde. Aber Hubert van Eyck?

"Einen Maler Hubert van Eyck hat es gegeben. Wer er war, was er tat – das beschäftigt die Wissenschaft seit Jahrhunderten, bis heute!"

Faszinierend bleibt auch der "Krimi" um den Altar. Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Flügel mit den Nacktbildern von Adam und Eva entfernt. Ihre Körper entsprachen nicht dem klassizistischen Schönheitsideal.

Etwas später ließ Napoleon das Mittelstück des Altars mit dem Lamm Gottes in der paradiesischen Landschaft in den Louvre bringen. Nach der verlorenen Schlacht von Waterloo kam es zurück.

Doch das Bistum Gent, das Geld brauchte, verkaufte die Seitenflügel. Über mehrere Händler gelangten sie 1821 in den Besitz von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Der ließ sie ein paar Jahre später im "Alten Museum" aufhängen – säuberlich zersägt, damit die Besucher Vorder- und Rückseite bewundern konnten.

Ende des 19. Jahrhunderts folgte in Berlin eine neue Präsentation:

"Die Berliner Photographische Gesellschaft machte in Gent Aufnahmen des Mittelstücks und von Adam und Eva. Danach wurde der Altar in Berlin 'rekonstruiert'. Daneben kamen mehrere eingerahmte Reproduktionen des Werks in den Handel."

Nach dem Ersten Weltkrieg verlangte und bekam Belgien die Flügel als Teil der Reparationszahlungen. Der Original-Altar in der Genter Kathedrale war wieder vollständig.

Doch 1934 wurde das Paneel mit den "Gerechten Richtern" gestohlen und nie wiedergefunden. Und 1942 entdeckten Hitlers Spione das Werk, das man bei Kriegsausbruch eilig ins südfranzösische Pau gebracht hatte.

Der Altar, der zu den Prunkstücken des "Führermuseums" in Linz gehören sollte, kam in die Salzbergwerkstollen von Bad Aussee – und 1945 zurück nach Gent:

"Das Werk überstand auch das recht gut. Das ist wohl das größte Wunder: Der 'Genter Altar' ist während all dieser Abenteuer, seit Napoleon, nicht nennenswert beschädigt worden!"

Das wurde er erst nachdem er 1986, aus Sicherheitsgründen, in einen Beton-Glaskasten kam.