Mekong in Gefahr
Durch Chinas Wasserpolitik und den Klimawandel ist die einzigartige Flusslandschaft des Mekong bedroht. © AFP / Lillian Suwanrumpha
"Mutter allen Wassers" droht zu versiegen
24:20 Minuten
Der Mekong fließt von Tibet und China über Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam ins Südchinesische Meer. Er bringt Nahrung, ist Transportmittel und Wohnstatt. Aber durch Chinas Staudämme gerät der Rhythmus des Flusses durcheinander.
Buddhistische Mönche versammeln sich zum Gebet, die Morgensonne spiegelt sich in vergoldeten Pagoden und lässt die weißgekalkten französischen Kolonialbauten in zartem Rosa strahlen. An Obst- und Souvenirständen bereiten sich die Verkäufer auf den Tag und die Touristen vor. Ein Tuktukfahrer macht noch ein Nickerchen in seinem Gefährt. Am Ufer des Mekong trinken Frühaufsteher ihren Kaffee und schauen aufs Wasser. Träge wälzen sich die braunen Fluten durch die laotische Stadt Luang Prabang.
Ein hagerer Skipper löst die Festmachertaue seines Slowboats, eines jener traditionellen bunt bemalten Holzschiffe. Zwei Tage lang wird die Reise flussaufwärts dauern. Sivanh transportiert Passagiere von Luang Prabang, der alten Königsstadt, bis nach Houayxay an der Grenze zu Thailand, Richtung Goldenes Dreieck. Es ist kühl zu dieser frühen Morgenstunde, dichter Nebel liegt tief über dem Wasser.
Die Lebensader Südostasiens fließt aus den Bergen Tibets durch China, um dann Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha mit Wasser, Sediment und Fischreichtum zu versorgen und schließlich in Vietnam im Mekong-Delta ins Südchinesische Meer zu münden.
"Die Mutter allen Wassers"
Doch die Mutter allen Wassers, wie der Mekong heißt, droht zu versiegen. Darunter leiden auch die Bewohner des Dorfes Oua Khen Lay.
"Der Fluss hat dieses Jahr viel zu wenig Wasser", klagt Amphon, einer der Dorfbewohner. "Der Wasserstand ist zu niedrig! Normalerweise pflanzen wir auch Wassermelonen, Bananen, Kartoffeln an, aber dieses Jahr wächst nichts. Vor acht Jahren war es kein Problem, genügend Mais und Reis für das ganze Dorf anzupflanzen, aber dieses Jahr ist es zu trocken."
Vom Boot aus könnte man das Dorf leicht übersehen. Alles braun in braun, Hütten mit Palmstrohwänden stehen wie an den Hang geklebt, Reste von Kohlefeuern senden noch dünne Rauchfäden in den Himmel. Hier kochen die Dorfbewohner ihr Wasser ab, mit ein paar reinigenden Kräutern darin – es ist sonst zu schmutzig, um es zu nutzen. Ein Pfosten mit einigen wenigen Solarpaneelen steht da, Strom zum Handyaufladen, den sich die 35 Familien teilen müssen. Eine Ahnung von Stufen ist in die braune Erde getrampelt – wenn es hier regnet, verwandelt sich alles in rutschigen Matsch.
Aber es regnet nicht. Und der Mekong führt wenig Wasser, erzählt Amphon:
"Wir haben nicht genügend Reis, um uns zu ernähren. Wir versuchen noch Mais anzupflanzen, aber wir müssen unsere Ziegen, Kühe und Büffel verkaufen, um Reis kaufen zu können."
Die Neue Seidenstraße führt durch Laos
Der junge Mann deutet auf ein paar magere Tiere, die den Hang hinaufstaksen. Wie die anderen Bewohner gehört er zur Bevölkerungsgruppe der Khmu. Mit seiner Frau zusammen macht er sich gerade auf den Weg, um Gold zu sammeln. Ein winzig kleines Körnchen Gold zeigt sie auf ihrer Hand, das sind zwei Gramm, 40.000 Kip, ungefähr vier Euro wert. Dafür haben sie zu zweit vier Tage lang hart gearbeitet im kalten Wasser des Mekong, in Pfannen den Sand gewaschen. Sie brechen immer am Vormittag auf, mit ihrer verbeulten Ausrüstung in einem schmalen Boot – früh morgens ist das Wasser des Stroms noch viel zu kalt, um lange darin zu stehen. Sie warten, bis sich die Morgennebel gehoben haben und die Sonne sie wärmen kann.
Eine große Eisenbahnbrücke soll den Mekong bald überspannen. Momentan stehen nur die Stützpfeiler im Wasser und am Ufer, riesig hoch, massiv und grau ragen sie wie Saurierbeine in die Höhe. In wenigen Jahren soll hier entlang die Eisenbahnlinie von China durch Tunnel, Berg und Tal bis zur Hauptstadt von Laos, Vientiane, führen. Ein Teil der chinesischen Neuen Seidenstraße und eines von zig Infrastrukturprojekten, mit denen China die Erde umspannen will. Viele Laoten, besonders Angehörige der Bergstämme und Bauern, freuen sich über die Arbeitsmöglichkeiten, sie bauen Brücken und Hotels in chinesischem Auftrag, pflanzen Bananen und Reis an den Ufern des Mekong an, die direkt nach China geliefert werden.
Sivanhs Boot kommt nur langsam voran flussaufwärts. Der Diesel läuft auf vollen Touren, doch die Strömung wird jetzt immer stärker. Es ist ein schmales Fahrzeug, nur zweieinhalb Meter breit, aber 30 Meter lang.
"Das Schiff ist zwar lang, aber nicht schwer zu steuern, wenn, wie jetzt, die Chinesen Wasser haben zulaufen lassen", erklärt Sivanh.
Wasserschwankungen nehmen zu
Der Verlauf des Flusses ändert sich ständig. Das war schon immer so, der normale Wechsel von Regen- und Trockenzeiten sorgte dafür, meint Sivanh. Aber durch die heftigeren Schwankungen durch die Staudämme ist der Effekt größer geworden, und zwar nahezu täglich, beobachtet er: Wasser hoch, Wasser niedrig, starke Strömung, neue Kurse, plötzlich ist mehr Sand auf der anderen Seite, dann auf einmal müssen sie wieder näher am Felsen entlangfahren. Ein GPS nütze daher nichts, es brauche Kenner, die wissen, wo die Untiefen sind, und die wechseln auch häufig.
"Wenn der Damm in China zu ist, dann ist das Wasser in Laos niedrig. Und dann plötzlich steigt es um anderthalb Meter!"
Insgesamt elf Dämme hat China bisher in den Mekong gebaut, etwa die Hälfte seiner 4500 Kilometer fließt der Strom durch chinesisches Staatsgebiet. Bis zu 28.000 Megawatt Strom könnte die Volksrepublik durch die Wasserkraft gewinnen – eigentlich positive erneuerbare Energie. Doch die Anrainer am Unterlauf des Mekong leiden darunter. Sivanh erzählt, dass es gefährlich wird, wenn die Dämme geöffnet werden, zum Beispiel wenn China Unwetter oder eine Überlastung seiner Staustufen fürchtet. Dann reißt das das schnellfließende Wasser jede Menge Unrat mit sich. Baumstämme können den Holzrumpf des Bootes beschädigen, Plastikmüll sich in der Schraube verfangen.
Seit neun Jahren fährt Sivanh den Mekong entlang. Er lebt mit seiner Familie auf dem Boot, mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn. Nie wollte er etwas anderes lernen, sondern immer nur auf dem Fluss fahren. Während er das erzählt, blickt er aufs Ufer – es ist mit Nadelbäumen bewachsen, im flachen Wasser steht ein Wasserbüffel, ein Fischer steuert sein schmales Boot zwischen den Felsen entlang. Wie in den alten Zeiten sieht es aus, für einen Moment. Doch die sind unwiederbringlich vorbei.
Das Schiff passiert den Nam Ou, einen Zufluss des Mekong: "Er war so schön, der Nam Ou, aber seit sie dort Dämme bauen, ist alles anders. Vorher konnten sie dort fischen und Gold suchen, aber jetzt baut China die Dämme, die Dörfer werden umgesiedelt und alles geht unter."
Das große Fischsterben
Der Nam Ou soll mit insgesamt sieben Dämmen kontrolliert werden – ein Projekt zur Stromgewinnung, gebaut von chinesischen Firmen. Ein Großteil des Flusses, 80 Prozent, werden so am bisherigen Lauf gehindert und Experten fürchten, dass zwei Drittel des Fischreichtums dadurch verloren gehen: Denn die Dämme verhindern das Wandern der Fische, zudem blockieren sie den Fluss der Sedimente. Das angrenzende Land wird weniger fruchtbar, der Ackerbau leidet, wenn die Gärten nicht sowieso ganz versinken. Bewohner berichten, dass sie nur noch kleine Fische fangen – sie tragen die Konsequenzen des Dammbaus.
Sterben die Fische, sterben auch diejenigen, die sich von ihnen ernähren: Otter, Reptilien, Wasservögel. Und Umweltschützer fürchten, dass ein Naturschutzgebiet verloren geht, das bis jetzt noch Habitat war für Elefanten, Tiger, Gibbons und Muntjakhirsche.
Gebaut hat das Dammprojekt von Nam Ou, dem Zufluss des Mekong, der chinesische Wasserkraftriese Sinohydro, als Joint Venture mit dem laotischen Stromerzeuger Electricité du Laos. Für das kommunistische Einparteienregime ein Vorzeigeprojekt – und das soll nicht das einzige bleiben, sagt Naturschützer Sonchai Boonsong:
"Die Regierung von Laos hat diese Idee von der Batterie Asiens sehr deutlich gemacht, und es ist bereit, die Kosten dafür zu tragen. Die Bewohner leiden zwar auch unter den Folgen, aber das System macht es ihnen schwer, darüber offen zu reden."
Der Umweltaktivist aus dem Nachbarland Thailand engagiert sich für den Schutz des Mekong. Gemeinsam mit Gleichgesinnten organisiert er Kampagnen, um vor dem Schaden durch die Staudämme zu warnen. Aber er ist vorsichtig – er selbst vermeidet es, nach Laos zu fahren.
"Meine laotischen Freunde und Mitkämpfer erhalten Drohungen. Manchmal folgt ihnen jemand, oder sie werden zu Diskussionen vorgeladen, so war es früher. Jetzt gerade ist jemand verhaftet worden, der die Regierung von Laos dafür kritisiert hat, dass sie zu langsam auf die Überschwemmungen reagiert hat."
Thailands Umweltschützer fordern einen Boykott von laotischem Strom – denn sie sehen die Folgen der Dämme täglich in ihrem eigenen Land: leere Fischernetze, Rinnsale statt Flussarme, Wasser ohne Nährstoffe.
Wasser ohne Nähstoffe
Denn der Mekong ist nach globalen Maßstäben außergewöhnlich in seiner Konzentration von Sedimenten, seiner Artenvielfalt und in der Fischerei, die er ermöglicht.
So trägt er mehr Sedimente mit sich als der Amazonas, etwa 160 Millionen Tonnen jährlich: Nährstoffe wie Phosphor, Stickstoff und Kalium sind lebensnotwendig für das Ökosystem am Unterlauf des Mekong, für die Fischbestände, für die Menschen dort. Doch weitere geplante Staudammprojekte würden 95 Prozent davon zurückhalten – in China, Laos, Kambodscha und Myanmar sind noch Dutzende Dämme als chinesisch geförderte Bauprojekte vorgesehen.
Normalerweise wälzt sich der Mekong schlammig-braun in seinem Bett, doch im Norden Thailands beobachteten die Anwohner Ende 2019 eine Veränderung der Flussfarbe: Statt schmutzig braun wurde der Mekong klar blau. Kurz danach tauchten dicke Klumpen grüner Algen auf, viel mehr als sonst in den Trockenzeiten. Sie verklebten die Netze und machten das Fischen unmöglich.
Die Staudämme verändern die hydrologischen Muster des Unteren Mekongs, sagen Wissenschaftler. Normalerweise beginnt der Strom gerade in den Ebenen von Laos, die Sedimente aufzunehmen, die die Länder am Unterlauf benötigen. Doch die laotischen Dammprojekte halten Nährstoffe und Sedimente zurück, während das ‘ärmere’ Wasser weiterfließt. Das alles beeinflusst das aquatische Ökosystem negativ. Und auch die Menschen kommen mit den unberechenbaren Schwankungen der Wasserstände nur schwer zurecht. Von sehr niedrig zu sehr hoch, oft ohne Ankündigung, so steuere China den Fluss des Mekong, erzählt Sonchai Boonsong. Er beobachtet das für seine Flussschutzorganisation genau:
"Wir können die Veränderungen sehen, wenn der Mekong Thailand erreicht – wir messen vor allem in Chiangsaen (ein Landkreis ganz im Norden Thailands, am Goldenen Dreieck). Als China im Jahr 1993 angefangen hat, das Wasser zu stoppen, um den Man Wan Damm zu bauen, war der Mekong so trocken, dass wir noch nicht einmal einen ordentlichen Wasserstand messen konnten. Und seitdem hat China einen Damm nach dem anderen gebaut, elf Stück. Und diese elf Staudämme haben zusammen eine Kapazität von mehr als 40 Milliarden Kubikmeter."
Wasser wird zum Machtinstrument
Mehr als 40 Milliarden Kubikmeter Wasser, die nun also unter Chinas Kontrolle sind. Mal gibt das Land mehr, mal weniger Wasser frei. Auch um politischen Druck auf seine Nachbarländer auszuüben. Wasser als Machtinstrument, sagen Experten. Immer wieder fordern Organisationen, die den Mekong schützen wollen, China auf, kooperativer und transparenter zu arbeiten.
Nach dem Bericht einer US-Beraterfirma hat China mit seinen Dämmen im Jahr 2019 den Mekong am Oberlauf auf hohem Niveau gehalten – während Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam unter einer extremen Dürre litten. Die Pegelstände dort waren so niedrig wie seit 50 Jahren nicht. Das belegten Sattelitenaufnahmen, laut der Wasserbeobachter von "Eyes on Earth", während China die Ergebnisse der Studie zunächst in Zweifel zog.
Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam sind in der Mekong River Commission organisiert. Dort ist China jedoch kein Mitglied – und die anderen Mitglieder sind oft uneins in ihrer Stoßrichtung. Doch diesmal fordern sie gemeinsam von China verlässliche Daten und Berichte über Flut und Trockenperioden, darüber, wann Wasser zu oder abläuft: Nur so könnten die Menschen am unteren Mekong wissen, ob sie Dürre oder Flutwellen erwarten.
Statt mit sechs Metern Tiefe, wie es normalerweise der Fall war, fließt der Mekong jetzt nur noch halb so tief durch Chiangsaen. Dann wieder gibt es regelrechte Flutwellen, wenn China Wasser ablässt. Alle zwei Jahre etwa, berichtet Sonchai Boonsong, steigt das Wasser plötzlich um zwei bis drei Meter, wie im vergangenen Januar.
"Es begann hier, es stieg um zwei Meter, vertikal, und dann wanderte die Flut den ganzen Fluss hinab, bis dorthin, wo er Thailand verlässt. In nur einer Woche stieg das Wasser überall dort so hoch und die Ernten starben."
Das Geschäft mit dem Sand
An vielen Stellen des Mekongs schwimmen große Baggerschiffe, unaufhörlich pumpen und schaufeln sie das neue Gold aus dem Flussbett: Sand. Der Rohstoff ist weltweit gefragt, denn Städte wachsen, Glas und Beton werden in Unmengen benötigt und dafür eben Sand. Der Handel mit ihm ist ein Riesengeschäft, und der Mekong ist eine Quelle, aus der sich viele bedienen, legal und illegal. In Kambodscha und Vietnam holen die Sandgräber geschätzte 50 bis 100 Millionen Tonnen des Materials aus dem Fluss – die dann natürlich fehlen. Ufer und Flussbett sind in ihrer Stabilität, Fische in ihrem Lebensraum bedroht.
Das glanzvolle Singapur ist auf Sand aus dem Mekong gebaut, Dubai, Schanghai – die Megacitys fordern Material. Auf Kosten der Mekong-Anwohner. Denn dort, wo dem Mekong der Sand geraubt wird, fließt er schneller, wird breiter, frisst Straßen und Häuser. Die Erdrutsche mehren sich, erzählt eine Frau in einem kambodschanischen Dorf:
"Der Sand ist eine natürliche Ressource von Kambodscha. Und der Sand gehört dem Fluss. Niemandem sonst gehört dieser Sand. Aber wir sehen, dass die reichen Menschen, Investoren, Geschäftsleute, alle hierherkommen, den Sand einsammeln und verkaufen. Die Regierung sagt, diese Leute dürfen den Sand ausbaggern und für die Entwicklung Kambodschas verkaufen, zum Wohle aller."
Zum Wohle aller ist ihr Heim in den Mekong gerutscht.
Nicht nur Kambodscha gilt als Sandquelle. Früher hat Vietnam viel Sand in andere Länder geliefert, nach Singapur zum Beispiel, aber das hat die Regierung limitiert. Dafür gibt es in Vietnam selbst einen Boom, erklärt Le Hong Hiep vom Institut für Südostasienstudien:
"Es gibt sehr viel Sandabbau, gerade im Mekong-Delta, denn der Bedarf wächst – für Städte oder große Landgewinnungsprojekte, gerade an den Küsten."
Neben lizensierten Förderern mischen auch viele illegale Sandgräber in dem Geschäft mit, das mache es der Regierung schwer, den Sandabbau zu kontrollieren, meint Le. Also nehmen Berichte über Erdrutsche zu, die Menschen im Mekong-Delta verlieren ihre Heime und ihre Einkommensquellen.
Schwimmende Märkte ohne Zukunft
Doch das Delta ist nicht nur durch den Sandabbau gefährdet – auch der Klimawandel bedroht diese einzigartige Landschaft, und mit ihr eine Besonderheit:
Wenn die Nacht sich langsam dem Morgen nähert, herrscht auf dem Wasser des Mekong-Deltas Geschäftigkeit: Von hunderten kleineren und größeren Booten aus werden Ananas, Durian oder Kumquat gehandelt, Kokosnüsse, Pomelos und Melonen, Reis und Fisch losgeschickt zum Transport ins Landesinnere. Ein buntes Mosaik aus hellblauen, hellgrünen oder braunen schmalen Booten, mit roter Schrift, aber vor allem mit einer Fracht voller Farbenpracht: Die Berge von Rambutan, Mangos, Drachenfrüchten und Blumen leuchten in grün, rot, pink und gelb – wie das, was Yen Yi anbietet:
"Ich heiße Yen Yi, bin 63 Jahre alt – und wenn ich eine Ananas aufschneide, viertele ich sie und zeige sie den Touristen, und dann können sie zu unserem Boot kommen und Ananas kaufen. Diese Ananas kommen aus der Region flussabwärts, hier wachsen keine, wir fahren extra weiter runter im Delta, um sie zu kaufen."
Das Mekong-Delta – berühmt als Garten Eden von 70.000 Quadratkilometern Größe, ertragreich, voller Flussarme, kleiner Inseln, Mangrovensümpfe, mit buntem Leben, Üppigkeit, Fruchtbarkeit. Lebensgrundlage von mindestens 17 Millionen Menschen. Sie bauen hier Obst und Gemüse an, andere züchten Fische oder Garnelen aller Art. Aber vor allem wächst hier Reis – "Reisschüssel Vietnams" wird das Delta auch genannt, die Hälfte der vietnamesischen Produktion stammt von hier. Verkauft oft auf schwimmenden Märkten, an verschiedenen Knotenpunkten, Zusammenflüssen und größeren Siedlungen des Deltas. In ihrer Buntheit sind die Märkte ein faszinierender Anblick – den vor allem Touristen in Zeiten ohne Pandemie schätzen.
"Ich bin froh, auf dem schwimmenden Markt zu leben. Hier, sehen Sie, wir haben hier alles. Fischsauce, Fisch, alles ist schon da. Ich habe das Gefühl, dass ich hier die größte Freiheit habe. Und ich habe das Gefühl, dass das Geschäft in den vergangenen zehn Jahren besser geworden ist. Ich glaube also nicht, dass die schwimmenden Märkte verschwinden. Unser Markt ist der größte hier in der Gegend, das ist mein Heim, es sollte nicht verschwinden."
Der 63-jährige Ming Lang Ha lebt und arbeitet seit 20 Jahren auf dem schwimmenden Markt von Can Tho. Er hat viel gesehen in dieser Zeit: Spuren des Krieges, viel zu ruhige Zeiten und zunehmenden Tourismus. Manche Besucher lieben neben dem wuseligen Farbspektakel auch den Grusel, der von lokalen Spezialitäten ausgeht: Schlange, Schildkröte, Eidechse, frisch vom Boot zum Genuss verkauft. Neben anderen Gerichten der südvietnamesischen Küche, von Pfannkuchen bis Pho.
Fluss der Erinnerungen
Eine besondere Stimmung. An die auch die Bewohner selbst schönste Erinnerungen haben, selbst wenn sie nicht mehr auf dem Boot leben, wie Fu. Der 18-Jährige arbeitet in Ho-Chi-Minh-Stadt und besucht seinen Vater Ching.
"Ich bin sehr glücklich, ihn zu sehen", sagt Fu. "Wenn ich nach Hause zurückkehre, kommen alle Erinnerungen hoch und ich habe das Gefühl wie damals, als ich auf dem Boot lebte. Ich weiß noch, als ich ganz klein war und von einer Seite des Flusses zu anderen geschwommen bin. Das war schön."
Doch Fu arbeitet jetzt in einer Papierfabrik, er kann nicht mehr auf dem Boot leben, weil der schwimmende Markt die Familie nicht mehr ernährt. Die Märkte nehmen an Bedeutung ab, seit mehr Straßen gebaut werden.
"Unser Business hat abgenommen in den vergangenen Jahren, denn die neue Autobahn ist fertig. Und es ist einfacher, die ganzen Früchte im LKW zu transportieren."
Ching und seine Frau mussten eine schwere Entscheidung treffen: Sie und die beiden Kinder arbeiten in Ho-Chi-Minh-Stadt, er bleibt hier auf dem schwimmenden Markt
"Damals war ich sehr traurig, aber es gab keine andere Möglichkeit – wir konnten uns nicht mal das Schulgeld für die Kinder leisten."
Der Mekong-Fischer wird bald der Vergangenheit angehören
Egal, ob die Bauern die Früchte ihrer Arbeit über den Fluss oder die Straße verkaufen – die Probleme nehmen zu: Auch hier im Delta ist der Verlust der Sedimentmenge deutlich zu spüren. Das Flussbett des Mekong wird tiefer, weil sich kein Sediment mehr ablagert, also können größere Mengen des schwereren Seewassers hineinfließen. Die Flussufer erodieren, die Böden versalzen, weil kein Süßwasser sie spült, erklärt Vietnam-Spezialist Le Hong Hiep:
"Weil weniger Süßwasser vom Oberlauf des Mekong ankommt, kann der wichtige Prozess der Entsalzung der Böden im Mekong-Delta nicht stattfinden. Das Meerwasser bleibt länger stehen, die Bodenqualität im Delta leidet und das wiederum führt dann zu weiteren Problemen zum Beispiel im Reisanbau."
Staudämme, Klimawandel, Sandabbau, Versalzung, fehlende Sedimente, Dürre und Erosion haben schon Hunderttausende in die Flucht getrieben. Das Bild des friedlichen Fischers, der auf dem Mekong seine Netze auswirft, gehört bald ebenso der Vergangenheit an, wie die bunten schwimmenden Märkte und üppigen Reisfelder entlang des Mekong. Die Mutter allen Wassers kann ihre Kinder nicht mehr ernähren.