Melancholie als Triebfeder der Kunst
Wie sich Melancholie als künstlerische Triebfeder in der Kunst ausgewirkt hat, zeigt derzeit eine Ausstellung in Paris, die nun nach Berlin wandert. Zur Ausstellung ist ein 400-seitiger Katalog erschienen. Dieser zeigt Beispiele aus der Kunstgeschichte und liefert kulturphilosophische Hintergrundbetrachtungen.
Über 400 Seiten des Buches sind mit Bildern gefüllt. Es handelt sich hier nämlich um den erweiterten Katalog einer großen Kunstausstellung, die vom 17. Februar bis zum 7. Mai 2006 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin stattfinden wird. Eine deutsch-französische Koproduktion. Die Ausstellung war bis Mitte Januar in Paris zu sehen und dort ein riesiger Erfolg: rund 4000 Besucher täglich. Nun hofft man, dass sich dieser Erfolg in Berlin wiederholt.
Melancholie. Genie. Wahnsinn. Klingt ziemlich düster. Welche Art Bilder erwarten uns in diesem Buch und in der Ausstellung -
In erster Linie sind Bilder - von der Antike bis zur Gegenwart - von Menschen zu sehen, denen ihre Leidenschaften und ihre Affekte ins Gesicht geschrieben stehen: Wut, Angst, Liebesraserei, Verzweiflung und verrücktes Lachen. Aber auch stille Sehnsucht, leise Traurigkeit und tiefe Trauer - und Apathie: Bilder von Menschen, die zu nichts mehr fähig sind . Außer zum Grübeln.
Bei dem Titel "Melancholie - Genie- Wahnsinn" hat Jean Clair, Herausgeber des Buches und Chef der Ausstellung von Paris, wohl ein bisschen um die Ecke gedacht. Die Bilder sind größtenteils Bilder von Wahnsinnigen - "Wahnsinnig" hier im antiken Sinn des Wortes. Von der Antike bis ins 19. Jahrhundert galt jeder als "verrückt", der sich außerhalb dessen bewegte und benahm, was als normal, gesittet und vernünftig galt.
Was die Begriffe "Melancholie" und "Genie" betrifft, so sind damit in erster Linie die Künstler gemeint. Ein Melancholiker, das ist ein Mensch von einer tiefen, inneren Traurigkeit: "mit zuviel schwarzer Galle im Blut", wie die antiken Ärzte sagen. Hippokrates hatte nämlich angenommen: die schwarze Galle sei ein Körpersaft, der Menschen zwingt, die Welt durch eine dunkle Brille zu betrachten. "Schwarze Galle hin oder her", meinen dazu viele antike Philosophen: Das menschliche Leben ist doch tatsächlich eine traurige Angelegenheit. Denn all unsere irdischen Bemühungen sind letztendlich vergänglich und vergeblich. Wir leben nicht von der Erfüllung, sondern von der Sehnsucht, und das Einzige, was jedem Menschen in diesem Leben sicher ist, das ist der Tod. Aristoteles hat deshalb die Frage gestellt: Muss nicht jeder redlich denkende Mensch, und ein Genie sowieso, Melancholiker sein?
"Selbstredend", antworten die meisten Autoren in diesem Buch. "Melancholie ist die Auszeichnung jedes Menschen, der zu Ende denkt"; schreibt Christina Weiss, bis letztes Jahr Kulturstaatsministerin und Schirmherrin der Ausstellung in Berlin. Wer tiefsinnig ist, der muss schwermütig sein. Tatsächlich? Muss er das?
Über diesen Syllogismus hat sich schon Cicero geärgert: "Ein Glück, dass ich nicht tiefsinnig bin!" Und auch, wer sich ein bisschen mehr "Aristoteles" gönnt, wird feststellen: Das Ziel des Denkens ist eben nicht die Melancholie, sondern - im Gegenteil! - "eudaimonia", die Glückseligkeit. Aristoteles meint, man soll seinen melancholischen Gedanken über die Welt die Philosophie entgegensetzen. Und die Religion. Wenn der Apostel Paulus ein Melancholiker gewesen wäre, hätte er’s wohl nicht geschafft, die kleine Christen-Sekte in Jerusalem auf den Weg einer Weltreligion zu bringen. Und war Paulus etwa kein tiefsinniger Mensch?
Wenn man bestimmte Bilder von Caspar David Friedrich betrachtet oder von Edward Hopper oder auch von Albrecht Dürer (alle finden Sie im Buch und in der Ausstellung): Es besteht wohl kein Zweifel, welche Gemütsverfassung da zugrunde liegt. Und so geht es einem bei sehr vielen Bildern und Skulpturen dieses Bandes: Man ist seltsam ergriffen, schmerzlich berührt, oft schaudert’s einen ob der Phantasie des Künstlers.
Respekt vor allen, die an diesem Buch mitgewirkt haben: eine gelungene Synthese von Bildern, Kunstgeschichte und Kulturphilosophie. Und Respekt natürlich vor den Ausstellungsmachern. Unbedingt hingehen! In der Berliner neuen Nationalgalerie werden gerade Bilder und Skulpturen aus aller Welt zusammen getragen: aus dem Louvre, dem Prado, der Eremitage, dem Palazzo Pitti in Florenz, dem Metropolitan Museum. So ziemlich alle Museen mit Rang und Namen werden in Berlin vertreten sein. Und auch viele Privatleute haben ihre Kostbarkeiten zur Verfügung gestellt. Von den Ferraris aus Mailand zum Beispiel kommt eine Skulptur von Claudio Parmiggiani, einem Lieblingskind der modernen Kunstszene. Eine ganz schlichte, geometrische Figur aus kaltem, schwarzem, poliertem Marmor -Erste (melancholische) Sahne!
Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, Dezember 2005
512 Seiten. 49,80 Euro
Melancholie. Genie. Wahnsinn. Klingt ziemlich düster. Welche Art Bilder erwarten uns in diesem Buch und in der Ausstellung -
In erster Linie sind Bilder - von der Antike bis zur Gegenwart - von Menschen zu sehen, denen ihre Leidenschaften und ihre Affekte ins Gesicht geschrieben stehen: Wut, Angst, Liebesraserei, Verzweiflung und verrücktes Lachen. Aber auch stille Sehnsucht, leise Traurigkeit und tiefe Trauer - und Apathie: Bilder von Menschen, die zu nichts mehr fähig sind . Außer zum Grübeln.
Bei dem Titel "Melancholie - Genie- Wahnsinn" hat Jean Clair, Herausgeber des Buches und Chef der Ausstellung von Paris, wohl ein bisschen um die Ecke gedacht. Die Bilder sind größtenteils Bilder von Wahnsinnigen - "Wahnsinnig" hier im antiken Sinn des Wortes. Von der Antike bis ins 19. Jahrhundert galt jeder als "verrückt", der sich außerhalb dessen bewegte und benahm, was als normal, gesittet und vernünftig galt.
Was die Begriffe "Melancholie" und "Genie" betrifft, so sind damit in erster Linie die Künstler gemeint. Ein Melancholiker, das ist ein Mensch von einer tiefen, inneren Traurigkeit: "mit zuviel schwarzer Galle im Blut", wie die antiken Ärzte sagen. Hippokrates hatte nämlich angenommen: die schwarze Galle sei ein Körpersaft, der Menschen zwingt, die Welt durch eine dunkle Brille zu betrachten. "Schwarze Galle hin oder her", meinen dazu viele antike Philosophen: Das menschliche Leben ist doch tatsächlich eine traurige Angelegenheit. Denn all unsere irdischen Bemühungen sind letztendlich vergänglich und vergeblich. Wir leben nicht von der Erfüllung, sondern von der Sehnsucht, und das Einzige, was jedem Menschen in diesem Leben sicher ist, das ist der Tod. Aristoteles hat deshalb die Frage gestellt: Muss nicht jeder redlich denkende Mensch, und ein Genie sowieso, Melancholiker sein?
"Selbstredend", antworten die meisten Autoren in diesem Buch. "Melancholie ist die Auszeichnung jedes Menschen, der zu Ende denkt"; schreibt Christina Weiss, bis letztes Jahr Kulturstaatsministerin und Schirmherrin der Ausstellung in Berlin. Wer tiefsinnig ist, der muss schwermütig sein. Tatsächlich? Muss er das?
Über diesen Syllogismus hat sich schon Cicero geärgert: "Ein Glück, dass ich nicht tiefsinnig bin!" Und auch, wer sich ein bisschen mehr "Aristoteles" gönnt, wird feststellen: Das Ziel des Denkens ist eben nicht die Melancholie, sondern - im Gegenteil! - "eudaimonia", die Glückseligkeit. Aristoteles meint, man soll seinen melancholischen Gedanken über die Welt die Philosophie entgegensetzen. Und die Religion. Wenn der Apostel Paulus ein Melancholiker gewesen wäre, hätte er’s wohl nicht geschafft, die kleine Christen-Sekte in Jerusalem auf den Weg einer Weltreligion zu bringen. Und war Paulus etwa kein tiefsinniger Mensch?
Wenn man bestimmte Bilder von Caspar David Friedrich betrachtet oder von Edward Hopper oder auch von Albrecht Dürer (alle finden Sie im Buch und in der Ausstellung): Es besteht wohl kein Zweifel, welche Gemütsverfassung da zugrunde liegt. Und so geht es einem bei sehr vielen Bildern und Skulpturen dieses Bandes: Man ist seltsam ergriffen, schmerzlich berührt, oft schaudert’s einen ob der Phantasie des Künstlers.
Respekt vor allen, die an diesem Buch mitgewirkt haben: eine gelungene Synthese von Bildern, Kunstgeschichte und Kulturphilosophie. Und Respekt natürlich vor den Ausstellungsmachern. Unbedingt hingehen! In der Berliner neuen Nationalgalerie werden gerade Bilder und Skulpturen aus aller Welt zusammen getragen: aus dem Louvre, dem Prado, der Eremitage, dem Palazzo Pitti in Florenz, dem Metropolitan Museum. So ziemlich alle Museen mit Rang und Namen werden in Berlin vertreten sein. Und auch viele Privatleute haben ihre Kostbarkeiten zur Verfügung gestellt. Von den Ferraris aus Mailand zum Beispiel kommt eine Skulptur von Claudio Parmiggiani, einem Lieblingskind der modernen Kunstszene. Eine ganz schlichte, geometrische Figur aus kaltem, schwarzem, poliertem Marmor -Erste (melancholische) Sahne!
Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, Dezember 2005
512 Seiten. 49,80 Euro