Melancholischer Komiker mit Reibeisenstimme

Von Susanne Burkhardt · 12.09.2013
Er war einer der gefragtesten deutschen Theaterschauspieler, Synchron- und Radiosprecher. Seine dunkle und sonore Stimme war unverwechselbar und wurde selten ohne den Zusatz "Reibeisen" erwähnt. Jetzt ist der großartige Schauspieler im Alter von 72 Jahren gestorben.
Es waren seine Augen, diese leicht wässrigen, unschuldig-treu, manchmal auch verschmitzt blickenden blauen Augen, die ihm den Eindruck des Fragilen verliehen, des lebensklugen, manchmal auch lebensleidenden Melancholikers. Es war dieser Blick, der ihn mit allen großen Komikern dieser Welt verbindet. Ein Blick der verrät, dass Humor aus der Trauer kommt.

Otto Sander bei Proben zum Hörspiel "Unterwegs im Haus"" DLF 2009 (Bild: Jonas Maron)


Otto Sander: "Beim Frühstück in Zürich, da waren morgens zum Kaffee so Zuckerpäckchen, da standen immer solche Sinnsprüche drauf, wunderbar, nicht die Sternzeichen, sondern Sinnsprüche, da war eben einer von Georg Bernhard Shaw, den fand ich gar nicht so schlecht, hab ich mir auch gemerkt: 'Ihr seht und fragt warum, ich aber träume und sage warum nicht', das finde ich zum Beispiel gut, wegen des Hinterfragens und so weiter, weil die Schauspielerei ja auch viel mit Fantasiewelten zu tun hat, das macht ja Schauspielerei zum großen Teil aus - Spiel bei Kindern sowieso und Schauspielerei , wo das Wort Spiel ja auch noch drin steckt, im Besonderen ..."

Die reale Welt seiner Kindheit in Kassel überwand Otto Sander im Spiel mit den Rollen. Er machte auf Clown, um dem Spott zuvorzukommen, dem er immer wieder ausgesetzt war. Hänseleien wegen seiner roten Haarfarbe, wegen seiner Sommersprossen. Während des Schauspiel-Studiums an der Falckenberg-Schule in München spielte er Kabarett. Hier konnte er bestimmen, wann über ihn gelacht wird. Den Demütigungen der Kindheit setzte Otto Sander Härte entgegen - im Trinken, im Rauchen, aber auch in der Arbeit.

Otto Sander bei Proben zum Hörspiel "Unser halbes Leben"" Dkultur 2008 (Bild: Jonas Maron) - mit Ingo Hülsmann, Hedi Kriegeskotte, Otto Sander, Rosemarie Fendel, Christine Oesterlein, Judith Lorentz (Regie) v.l.


"Es gibt komische Rollen, die spiele ich am liebsten, wenn es denn gelingt, denn es ist schwerer. Jemanden zum Weinen zu bringen, ist komischerweise nicht so schwer, jedenfalls fällt mir das nicht so schwer, als jemanden zum Lachen zu bringen."



Auf der Bühne wurde Otto Sander endlich ernst genommen. Weil im Theater zählt, was man bringt, nicht wie man aussieht. Nach Stationen in Düsseldorf und Heidelberg landete er 1970 im Kollektiv von Peter Steins Mitbestimmungstheater Schaubühne in Berlin, wo er zehn Jahre blieb, und auch selbst inszenierte. Hier wurde gespielt und viel diskutiert:

"Das Theater wird von Schauspielern gemacht und muss Spaß machen, das war dann der Schlusssatz eines langen Protokolls, das wir festgelegt hatten und was mit der Mitbestimmung zu tun hatte."

Alle großen Regisseure haben Otto Sander besetzt: Klaus Michael Grüber als "General Amphitryon" oder Luc Bondy in Botho Strauss' "Schlusschor". Und er floss in die Rollen, er wuchs in sie hinein. Niemals schwitzend oder aufgeregt, sondern vielmehr passiv und still erduldend. Bei Robert Wilson lernte er singen und steppen.



"Das habe ich geübt wie ein Besengter und hab es dann auch einigermaßen hingebracht, zwar langsam gesteppt, so stand es auch in der New York Times: 'The first slow motion tap dance in the history of tapdance', also der erste 'Zeitlupenstep', den es jemals gegeben hat, weil es sowieso eine Masche von Wilson war, die Zeit auf der Bühne zu verlangsamen, damit man sie einfach besser beobachten kann."

Als Engel saß er auf der Schulter der Göttin Viktoria auf der Berliner Siegessäule. In Wim Wenders Film "Himmel über Berlin". Als guter Geist neben Bruno Ganz, überirdisch irgendwie, aber dann auch wieder ganz irdisch und menschlich traurig und verletzlich. Einer, der hinnimmt ohne zu resignieren.

Otto Sander bei Proben von "Therapeutenstory", DeutschlandRadio Berlin 1999


In der Arbeit war Otto Sander ein heimlicher Perfektionist, ein anarchistischer Workoholic. Privat zog er mit Ziehsohn Ben Becker durch die Berliner Kneipen, früher zumindest. Otto Sander war einer, der in den Ferien entspannt, in dem er - natürlich dafür voll ausgebildet - auf ein Hochsee-Segelboot stieg und sich den Naturgewalten aussetze. Segeln, als Möglichkeit, das Leben besser in den Griff zu bekommen. "Umspannen" nannte er diese Form des Ausruhens.

"Alle zwei Jahre segle ich mal, wenn man das Motorgeräusch nicht hört, bis das nächste Land dann kommt, man sieht erst so einen ganz kleinen Punkt auf dem Horizont, die Insel ist ein anderes Zeitvergehen, als wen man mit einem Intercity-Zug in Bahnhof einfährt. Das macht auch das Sehen anders im Kopf."

Das Sehen im Kopf und die Sicht auf das Leben und die Arbeit änderte sich nicht mit dem Rentenantrag 2006, sondern im Frühjahr 2007 schlagartig: Bei Otto Sander wurde Krebs diagnostiziert. Seine Rolle in Shakespeares "Was ihr wollt", das bei den Wiener Festwochen Premiere haben sollte, wurde umbesetzt. Fast schien es, als würde die Rolle des "Krapp" in Becketts "Letztem Band" im Hamburger St. Pauli Theater zu seiner Abschiedsvorstellung werden. Ein alter Mann, der eine ironisch-melancholische Lebensbilanz zieht.

Doch Otto Sander überwand die Krankheit, spielte an der Seite von Nina Hoss im Film "Das Herz ist ein dunkler Wald", wurde 2008 mit einer Berlinale-Kamera geehrt, spielte in Bochum in Thomas Bernhards "Der Ignorant und der Wahnsinnige". Er war wieder da - als wäre nichts gewesen.

"Aber es wird einem dann bewusst, dass man eben die Zeit nicht anhalten kann. Also muss man versuchen die Zeit zu überholen, das geht auch, das ist nicht schwer, schneller zu sein als die Zeit, die dauernd hinter mir her rennt. Aber der Zeit ein Schnippchen zu schlagen, in dem man sie überrundet, aber das ist ja auch kaum zu schaffen."

Jetzt hat die Zeit Otto Sander ein Schnippchen geschlagen. Den Wettlauf mit ihr hat nur der Mensch Otto Sander verloren, der Schauspieler bleibt Sieger, solange seine Filme und seine Stimme unser Leben berühren.

Sander rezitiert Ringelnatz:

""In Hamburg lebten Zwei Ameisen
die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee, da taten ihnen die Beine weh.
Und da verzichteten sie weise,
dann auf den letzten Teil der Reise."
"