Melanie Garanin: "NILS. Von Tod und Wut. Und von Mut"

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Cover der Graphic Novel "NILS: Von Tod und Wut. Und von Mut".
Die Geschichte eines toten Kindes: Melanie Garanin ist eine große Erzählung gelungen. © Carlsen / Deutschlandradio
Von Kim Kindermann |
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Gegen Wut und Trauer anmalen, das wollte Melanie Garanin, als ihr Sohn an den Folgen einer Krebsbehandung starb. Dabei ist eine starke und emotionale Graphic Novel entstanden, die traurig stimmt und trotzdem Mut macht.
Wenn ein Mensch stirbt, unerwartet und plötzlich, bleiben die Angehörigen starr vor Schreck zurück. Wenn sich dann noch herausstellt, dass der Tod vermeidbar gewesen wäre, kommt die Wut. Und wenn es der eigene dreijährige Sohn ist, der stirbt, hilft nur noch riesiger Mut, sich gegen die erdrückende Verzweiflung zur Wehr zu setzen.

Eine Anklage an die Medizin

Wie das gelingt, davon erzählt Melanie Garanin - und zwar in Bildern. Ihre autobiografische Graphic Novel ist die berührende Geschichte ihres jüngsten Sohns. Nils hatte Leukämie, starb aber in Folge einer durch die Therapie verursachten Entzündung der Bauchspeicheldrüse.
Die Entzündung wurde nicht erkannt, trotz heftiger Bauchschmerzen des Kindes, trotz zahlreicher Untersuchungen, Krankenhausaufenthalte, Blutabnahmen. Das verabreichte Medikament führte zur Zersetzung des Organs. Nils starb aufgrund eines Behandlungsfehlers.
Ein Fehler. Schlimm. Aber noch schlimmer ist, dass niemand schuld sein will: die Ärzte nicht, das Krankenhaus nicht. Genau das aber bräuchte die Familie, um besser mit der Trauer leben zu können. Trotz Entschädigungszahlung - kein Wort der Entschuldigung.
Und so ist dieses Buch auch eine Anklage an eine Medizin, die ihre Menschlichkeit verloren hat, in der Mitgefühl im Alltagsstress auf der Strecke bleibt und in der Fehler einfach nicht vorkommen dürfen, weil Approbationen auf dem Spiel stehen.

Kein Tag ohne Nils

Gegen all das malt und schreibt die Kinderbuchillustratorin an: Sie nimmt uns mit in ihr Leben. In das heute und das gestern, wo alles miteinander verwoben ist. Wo kein Tag ohne Nils ist.
Sie beginnt bei seiner Geburt, erzählt von seiner Liebe zu Schwertern, seiner Erkrankung, den vielen Klinikaufenthalten und von seinem Tod. Plötzlich und unerwartet. Nachts in den Armen der Eltern. Mit anschließendem Polizeieinsatz, Gerichtsmedizin und Obduktion. Und sie berichtet vom zermürbenden Kampf um Anerkennung eines Behandlungsfehlers, in einer Welt, in der Sachverständige und Richter entscheiden und Gefühle keine Rolle spielen.
Aber Melanie Garanin erzählt auch vom Weiterleben und davon, wie es gelingt, Licht ins Dunkel zu bringen. "Das Licht ist so wichtig, wenn man in dieser dunklen Traurigkeit ist", schreibt Garanin auf ihrer Homepage.

Licht ins Dunkel bringen

Im Buch sieht man sie selbst immer wieder am Tisch sitzend, von einer Lampe direkt beleuchtet, einer Verhörsituation gleich, so nimmt sie sich und andere ins Gebet.
Im Licht kommt alles heraus, so ihre Hoffnung. Dazu passen ihre Kerzentiere, wie sie sie nennt. Pferde, Gänse, Löwen, Hasen, die eine Kerze auf dem Kopf tragen und so Licht in die Welt bringen.
Wie die Kerzentiere sind all ihre comicartigen Bilder filigran gezeichnet: Jedes Detail, jeder Gesichtsausdruck sitzt. Die bunt tuschierten Bilder fügen sich perfekt ein in die Sprech- und Erzähltexte, die je nach Aussage unterschiedliche Schriftarten haben. Offizielle Aussagen sind mit der Schreibmaschine geschrieben. Alles andere mit der Hand.
Eine feine Mischung ist so entstanden, in der sich immer wieder auch wild übereinander liegende Zeichnungsseiten finden, die sinnbildlich für das Gefühlschaos der Illustratorin stehen. Einer Mutter, die sich verzweifelt wünscht, dass ihr toter Sohn sie im Traum besuchen kommt.

Ein tröstendes Buch

Und so kann man sich dieser zutiefst traurigen Geschichte nicht entziehen, leidet mit, wird sprachlos wütend und versteht doch: Man muss weiterleben – auch nach einem solchen Schlag. Damit es Menschen gibt, die sich erinnern. Die um Nils wissen.
Melanie Garanin hat ein tröstendes Bilderbuch für Große und Kleine geschrieben. Für alle, die einen großen Verlust erlitten haben und die lernen wollen, wie es weiter gehen kann.
Das ist große Kunst. Nichts zu beschönigen, sich der Trauer zu stellen, und mit ihr dem Leben.

Melanie Garanin: "NILS: Von Tod und Wut. Und von Mut"
Carlsen Verlag, Hamburg 2020
200 Seiten, 22 Euro

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