Melanie Schiller: Soundtracking Germany - Popular Music and National Identity
Rowman & Littlefield International, 2018
290 Seiten, 87,97 Euro
Spuren des deutschen Traumas in Pop-Hits
08:22 Minuten
Pop gilt oft als leicht konsumierbar und unpolitisch. Dem ist mitnichten so, wie die Kulturwissenschaftlerin Melanie Schiller auf 300 Seiten nachweist: Durch die Jahrzehnte seit Kriegsende analysiert sie, wie Schuld und Trauma in der Popmusik verhandelt werden.
"Mir ging es vor allem darum, nachzuvollziehen, wie sich deutsche nationale Identität und populäre Musik zueinander verhalten und wie deutsche Geschichte in Musik verhandelt wird", sagt Melanie Schiller. Die Kulturwissenschaftlerin, die im holländischen Groningen lehrt, hat einen fast 300 Seiten starken Band dazu vorgelegt und versucht an fünf deutschen Songs aus fünf verschiedenen Jahrzehnten zu zeigen, wie sich Schuld und Trauma von NS-Zeit und Krieg durch die Unterhaltungsmusik ziehen.
Als "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" von Karl Berbuer 1948 erschien, gab es noch keine BRD, keine DDR, sondern nur die vier Besatzungszonen und der Kultursektor war stark kontrolliert und zensiert. Doch weil Schlager und Popmusik als unpolitisch angesehen waren, gab es gewisse Freiheiten, ordnet Schiller ein.
Doch fremder Mann, damit du's weißt/
ein Trizonesier hat Humor/
er hat Kultur, er hat auch Geist/
darin macht keiner ihm was vor/
Selbst Goethe stammt aus Trizonesien/
Beethovens Wiege ist bekannt/
ein Trizonesier hat Humor/
er hat Kultur, er hat auch Geist/
darin macht keiner ihm was vor/
Selbst Goethe stammt aus Trizonesien/
Beethovens Wiege ist bekannt/
Moderne Idee einer deutschen Identität
Das Lied von Karl Berbuer war eigentlich ein Karnevalslied, doch war auch über die Grenzen des Rheinlandes hinaus sehr populär. Das Besondere daran: Dass sich jemand nur wenige Jahre nach Kriegsende traute, darüber zu singen, dass er stolz darauf ist, Deutsch zu sein.
Ein weiteres Beispiel ist "Poor Boy" von The Lords aus dem Jahr 1965:
"Es ist ein großer Gegensatz zum 'Trizonesien'-Lied, weil hier geht es darum, nicht zu besprechen, was es heißt, Deutsch zu sein, sondern zu probieren, nicht Deutsch zu sein", meint Schiller. "Die Idee einer modernen deutschen Identität bedeutete in dem Moment, so Englisch wie möglich zu sein." Pop würde dadurch zur Sprache, sich mit der Vergangenheitsbewältigung nicht auseinandersetzen zu müssen, sagt sie.
Entwicklung voller Widersprüche
"Wir sind wir" von Peter Heppner und Paul van Dyk von 2004 beschäftige sich wiederum explizit mit der Frage, wer wir als Deutsche seien, sagt Schiller.
"Dieses Lied funktioniert ähnlich wie das Trizonesien-Lied", meint sie. "Es beschäftigt sich sehr damit, dass man als Deutscher ja auch viel erreicht hat": die deutsche Identität als Erfolgsgeschichte.
Melanie Schiller sieht keine lineare Entwicklung durch die Jahrzehnte, und "es gibt ganz viele Widersprüche". Verkrampft sei es ausßerdem, meint sie, sie nennt das in ihrem Buch "die Melancholie". Die Vergangenheit sei bis heute Teil dessen, wie wir uns beschreiben, "das wird immer wieder zurückkommen." Oft sei das auch unbewusst.