Schlafstörungen

Wem Melatonin beim Einschlafen hilft - und wem nicht

06:20 Minuten
Eine rosa retro Schlafmaske.
Gab es früher gegen Schlafprobleme kaum mehr als die gute alte Schlafmaske, stehen heute gegen Schlafstörungen zahlreiche Mittel zur Verfügung. Im Trend liegt derzeit das Hormon Melatonin. © imago / fStop Images / Lena Clara
Von Horst Gross |
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Gegen Schlafstörungen greifen immer mehr Menschen zu Melatoninpräparaten. Das Hormon steht im Ruf, auf natürliche Weise bei Schlafproblemen zu helfen. Das hängt jedoch stark von der Ursache der Schlafstörungen ab, warnen Experten.
"Dass man sich hin und her wälzt. Nicht einschlafen kann. Man guckt auf die Uhr und kommt einfach nicht in den Schlaf. Gedanken gehen einem durch den Kopf. Am nächsten Morgen ist man unkonzentriert, gerädert."

Chronische Schlafstörungen sind zermürbend. Viele Schlaflose greifen in ihrer Not zu Schlaftabletten, doch die können abhängig machen und sollten nie länger als drei Wochen eingenommen werden. Eigentlich. Fachleute gehen davon aus, dass allein in Deutschland 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen schlaftablettenabhängig sind. Da kommt das Hormon Melatonin als natürlicher Schlafhelfer wie gerufen.
Doch so einfach ist das leider nicht, gibt die Freiburger Schlafforscherin Johanna Ell zu bedenken:
"Melatonin wird verknüpft mit Müdigkeit, Einschlafneigung. Und dem gegenüber haben wir noch das Kortisol. Das ist eher ein Hormon, das mit Aktiviertheit und Wachheit zusammenhängt. Und das ist am niedrigsten, ein bis zwei Stunden bevor wir schlafen, und steigt dann über die Nacht hinweg."

Nicht nur Hormone steuern den Schlaf-Wach-Rhythmus

Kortisol ist demnach der natürliche Gegenspieler des Melatonin. Es aktiviert den Stoffwechsel und macht fit für den Tag. Doch es sind bei Weitem nicht nur die beiden Hormone, die unseren Schlaf-Wach-Rhytmus regulieren. Der sogenannte zirkadiane Rhythmus wird sehr komplex gesteuert:
"Dieser zirkadiane Rhythmus, das kann man sich vorstellen wie eine innere Uhr, die immer gleichmäßig tickt. Das Ganze wird gesteuert in einem kleinen Zentrum im Gehirn, so ein kleines Nervenbündel. Das nennt sich Nucleus suprachiasmaticus, der über verschiedene biologische Rhythmen in unserem Körper den Takt vorgibt, wann wir müde sind, wann wir wach werden oder schlafen."
Diese innere Uhr ist ziemlich unempfindlich gegen Manipulationen durch Medikamente. Deshalb wirkt Melatonin nicht bei den typischen Einschlafstörungen, die etwa durch Stress oder Sorgen verursacht werden. Ganz anders dagegen ist die Situation bei Schichtarbeit.
"Wenn ich von meiner Nachtschicht komme und mich morgens hinlege, dann ist Melatonin im Blut null. Da ist einfach nichts da. Wenn ich das ersetze, schlafe ich wahrscheinlich besser ein."

Melatonin hilft bei Jüngeren nicht

Professor Ingo Fietze, leitet an der Berliner Charité das schlafmedizinische Zentrum. Für ihn macht Melatonin aber nicht nur bei Schichtarbeit Sinn:
"Ab dem 55., 60. Lebensjahr sinkt langsam der Melatoninspiegel. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Melatonin abends oder nachts zum Schlafen hilft, umso höher, je älter ich bin. Wenn jemand mit 60, 70 oder 80 Melatonin probiert, wird das möglicherweise helfen. Wenn jemand mit 20, 30, 40 sowas zum Schlafen probiert, wird es nicht helfen."
Niedrig dosiert ist das Mittel in Drogerien frei verkäuflich. Höhere Dosen muss der Hausarzt verschreiben. Doch Melatonin ist teuer. Auch deshalb sind Hausärzte hier eher zurückhaltend.
"Man kann Melatonin jederzeit ausprobieren. Wobei ich eher davor warne, immer generell was auszuprobieren, was Geld kostet. Man kann, was den Schlaf betrifft, eine Menge Sachen ausprobieren. Da braucht man ja nur ins Internet gehen oder in die Drogerie."

Über die Langzeitfolgen ist wenig bekannt

Angeboten werden teure Schlafkissen und Wohlfühlbettwäsche, aber auch kostspielige Melatoninpräparate. Ohne fachkundigen Rat meist Fehlinvestitionen. Doch wie sieht es mit den Nebenwirkungen von Melatonin aus? 

"Der positive Effekt ist, dass Melatonin in den Dosierungen, wie wir sie für das Schlafen nutzen, tatsächlich auch sehr nebenwirkungsarm ist. Die häufigste Nebenwirkung, die mir Patienten berichten, ist eigentlich, dass sie sagen: Ich habe Melatonin genommen: Ich habe das Gefühl, ich bin eher wach gewesen."

Ein seltener Effekt, der den prinzipiellen Nutzen kaum schmälert. Deshalb gilt das Hormon auch als sicheres Medikament, meint der Experte. Aber was ist mit der Langzeitwirkung? Schichtarbeiter etwa müssten das Hormon dann über Jahre einnehmen. Geht das überhaupt?

"Ein Gewöhnungseffekt mag es auch bei Melatonin geben. Aber da gibt's keine Veröffentlichung, keine Wissenschaft, die sagt: Wenn ich ein Jahr lang Melatonin nehme, dann lässt die Wirkung nach. Das wissen wir nicht. Das kann bei dem einen sein, beim anderen nicht."

Verhaltenstherapie-App für Schichtarbeitende

Jetlag, Schichtarbeit und höheres Alter. Das sind die Indikationen, bei denen Melatonin helfen kann. Bei jüngeren Betroffenen ist dagegen eine systematische Veränderung des eigenen Schlafverhaltens die beste Alternative zur Tablette. Die Freiburger Schlafforscher sind deshalb dabei, eine Verhaltenstherapie-App für Schichtarbeitende zu entwickeln. Johanna Ell, von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Freiburg.
"Bei der Verhaltenstherapie haben wir das Ziel, unser eigenes Verhalten, unser emotionales Erleben oder unsere Gedanken, die vielleicht auch mal automatisch aufkommen, zu beeinflussen. Es geht aber auch um das Thema Grübeln und Gedanken im Bett. Da lernen die Teilnehmenden auch Strategien kennen, wie sie damit umgehen können, mit so Gedanken und wie Sie aus diesem Gedankenkreislauf auch ausbrechen können."

Die innere Uhr ist genetisch festgelegt

Doch auch die moderne Schlafmedizin kann keine Wunder vollbringen. Wer morgens immer gerädert aufwacht und ewig braucht, bis er in Fahrt kommt, hat oft einfach nur Pech. Seine innere Uhr passt nicht zur modernen Arbeitswelt.

"Wenn ich ein Spättyp bin und dann aber zum Beispiel morgens schon um sechs oder sieben Uhr bei der Arbeit erscheinen muss, dann lebe ich tatsächlich chronisch gegen meinen zirkadianen Rhythmus. Und der ist genetisch ziemlich stark festgelegt. Das bedeutet, dass ich da dauerhaft Schlafmangel, vielleicht Konzentrationsschwierigkeiten habe oder auch einfach mich nicht fit fühle."

Und da hilft dann auch kein Melatonin. Höchstens ein Jobwechsel mit anderen Arbeitszeiten.
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