Melodien aus vier Tönen

Von Tarik Ahmia |
Computerspiele werden zum Thema der Wissenschaft: Musikwissenschaftler erstellen zurzeit einen Überblick zum Genre der Spielmusik. Für das englischsprachige Werk haben Forscher von sieben Universitäten aus Deutschland Beiträge geliefert.
Computerspiele haben sich in den letzten Jahrzehnten von einem Kinderhobby zu einem der Unterhaltungsmedien der Gegenwart entwickelt. Schon seit Jahren übertreffen die Milliardenumsätze der Branche die der Kinoindustrie. Da überrascht es kaum, dass sich auch Forscher aus den unterschiedlichsten Disziplinen für das beliebte Medium interessieren. Wenig bekannt ist, dass Computerspiele auch in den Musikwissenschaften ein großes Thema sind.

Beim ersten Hören mag diese Musik nicht viel mit dieser verbinden: Zwischen beiden Liedern liegen fast 30 Jahre. Beide Musiken wurden für Computerspiele komponiert. Während der spartanische Sound aus dem Jahr 1983 und dem Spiel "Donkey Kong Junior" stammt, untermalt der opulente Chor des Liedes "Baba Yetu" das Spiel "Civilisations 4" aus dem Jahr 2011.

Die beiden Songs illustrieren, welch große Entwicklung die Computerspielmusik durchgemacht hat: Was einst mit Piepsgeräuschen begann, ist mittlerweile ein Teil gefeierter Massenkultur geworden: Mit "Baba Yetu" wurde im vergangenen Jahr zum ersten Mal überhaupt ein Song aus einem Computerspiel mit einem Grammy ausgezeichnet.

Musik aus Computerspielen beschränkt sich längst nicht mehr auf das Medium für das sie geschaffen wurde. Ein Autohersteller nutzt in einem Werbefilm die Optik und Musik des Computerspielklassikers "Tetris", um das Stauvolumen seines Kleinwagens zu demonstrieren. Der deutschen Elektroband Scooter verhalf ihr Remix der Tetris Melodie zu einem Chart Hit.

Aber auch in klassischen Konzertsälen sind seit Jahren Soundtracks von erfolgreichen Computerspielen zu hören. Live-Aufführungen mit Originalkompositionen sind zu Publikumsrennern geworden. So verwandelt etwa das zwölfköpfige "C64 Orchestra" die Lieder für den legendären Heimcomputer in akustische Orchesterarrangements.

Für Musikwissenschaftler ist der Sound aus dem Computer längst ein ernstzunehmender Forschungsgegenstand geworden. Peter Moormann von der Freien Universität Berlin beschäftigt sich seit Jahren damit. Der 32-Jährige gehört zu einer Generation, die mit Computerspielen groß geworden ist. Die Forschungen zeigen, dass sich die Musik in Computerspielen zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt hat. Allerdings muss sie - wie einst die Filmmusik - in diesem Prozess viele abschätzige Vorurteile überwinden.

"Das ist für mich sehr reizvoll, diese Vorurteile abzubauen, weil sie absolut ungerechtfertigt sind. Denn die Qualität der Computerspielmusik ist genauso hoch wie die der Filmmusik und der andern Musik. Dort Werturteile abzugeben, pauschale Werturteile ohne die Musik je gekannt zu haben, ohne sich damit beschäftigt zu haben: diesen Beton in den Köpfen etwas aufzuweichen, da bin ich doch sehr interessiert dran."

In der Anfangsphase der Computerspieleära ging es noch stumm zu - vor allem wegen technischer Begrenzungen. Zum Standard wurde die akustische Untermalung erst Ende der 70er-Jahre. Etwa in dem Spiel "Space Invaders", dessen Melodie aus nur vier Tönen bestand.

"Die erste große Komposition für ein Computerspiel kann man festmachen an dem Spiel Super Mario Brothers. Der heute sehr berühmte Komponist Kōji Kondō hat damals die Musik für dieses NEDS-Spiel konzipiert und dort schon faszinierend die Möglichkeiten, die damals sehr begrenzt waren sehr gut ausgereizt. Wir haben da eine Melodie, die bis heute zum Klassiker geworden ist."

Mit dem Erfolg und dem Wachstum der Computerspiele-Branche wurden auch die Budgets für die Entwicklung neuer Spiele größer. Die Produktion der Soundtracks von Computerspielen ist seitdem oft mit der von Filmmusik vergleichbar. Seit Ende der 90er-Jahre prägt der Hollywood-Sound auch das Computergenre. Doch mit der Verschmelzung von Computerspiele- und Filmmusik endet die Entwicklung nicht.

Denn wer Musik für Computerspiele schreibt, muss im Vergleich zu traditionellen Komponisten erstmal umlernen, weil der Soundtrack von Computerspielen schon bei der Entstehung interaktiv angelegt wird. Die Musik reagiert dabei etwa in Tempo und Dynamik unmittelbar auf die Aktionen des Spielers.

"Die gesamte Komposition wird maßgeblich durch das Spielverhalten bestimmt und da besteht für den Komponisten die Schwierigkeit, so viele Sequenzen ineinander zu komponieren, dass diese zueinanderpassen und diese einzelnen Fragmente ein großes Ganzes ergeben."

Musikwissenschaftler Peter Moormann glaubt, dass sich durch den neuen Kompositionsstil die Frage ganz neu stellt, was eigentlich ein Kunstwerk ausmacht?
"Ich glaube, dass der Werkbegriff nochmals neue diskutiert werden könnte in Bezug auf die Computerspielemusik. Dieses 'Genie sein', das ist völlig aufgelöst bei einer Komposition für ein Computerspiel. Es ist Musik, die für den Konsumenten direkt geschrieben ist und ihn dazu veranlasst, an der Komposition selbst teilzuhaben und diese mit zu gestalten."
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