Der Einfluss der Katzen auf die Geschichte des Internets
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Welche Tiere sind die Maskottchen des Internets? Wahrscheinlich denken Sie jetzt: Katzen! Doch leider stimmt diese Antwort nicht. Oder zumindest nicht ganz. Auch wenn Katzen einen nicht unerheblichen Anteil an der Entwicklung hatten.
15 Prozent des Internet-Traffics weltweit hat mit Katzen zu tun – Katzenvideos, Katzenbilder, Katzenmemes. Doch halt! 15 Prozent, diese Zahl ist Quatsch. Tatsächlich werden nur ein Prozent des Datenverkehrs im Netz Tierinhalten zugeordnet. Trotzdem kann man die Geschichte des Internets und vor allem, wie Menschen das Internet genutzt haben, anhand von Katzen-Content erzählen. Und das geht weit darüber hinaus, dass Katzen einfach so süße Tiere und sie deswegen überall beliebt sind.
Wie beliebt Katzen sind, lässt sich daran erkennen, dass es allein bei Youtube zwei Millionen Katzenvideos gibt, die schon über zwei Milliarden mal angeschaut wurden. Und Katzenvideos machen glücklich, sagt die Medienforscherin Jessica Gall Myrrick: "Insgesamt fühlen sich die Leute dadurch glücklicher, zufriedener und haben nach dem Schauen eines Katzenvideos sogar mehr Energie als vorher."
Die Medienforscherin Rhada O’Meare sieht das vor allem in der Natur der Katzen begründet: "Zum Teil liegt es daran, dass Katzen vor der Kamera sehr unbefangen agieren. Und sie scheinen ziemlich unberechenbar. Sie vermitteln uns dadurch den Eindruck von Unmittelbarkeit: Was in dem Video passiert kann nicht erzwungen sein und scheint deshalb authentischer."
"Meowchat" – eine Art Katzensprech
Katzen machen also glücklich. Videos anderer Tiere aber ebenso. Von Hunden gibt es mittlerweile sogar mehr Videos als von Katzen. Das Image der Katze als Maskottchen des Internets gehört eher zur Vergangenheit des Internets.
Der Katzenvideo-Historiker Jason Eppink, gleichzeitig Multimedia-Künstler und Kurator, hat zu dem Thema die Ausstellung "How Cats Took Over The Internet" in New York gemacht. Einer der ersten Momente, in denen Katzen das Internet geprägt haben, war eine Art Katzensprech namens "Meowchat", die 1995 in Newsgroups entstand. Das "LoL speech"-Sprachmuster, bekannt durch viele Memes und Gifs, basiert in gewisser Weise auf Meowchat.
Katzen-Scans als Erster User Generated Content
Katzen gehörten also schon zu den Anfängen des Internets. Die eigene Katze auf den Fotokopierer zu setzen und abzuscannen, daraus entstand Ende der 90er-Jahre eine Art Wettbewerb. Für Jason Eppink wurde dort die Basis des Internets gelegt:
"Dem allen liegt diese Idee des User Generated Contents zu Grunde. Diese Idee, dass wir alle Teil haben können am Web mit unseren Fotos, mit unserer Foto-Software oder einfach nur mit albernen, spielerischen Unterhaltungen in Meowchat. Katzen waren schon im Zentrum dieser ganzen Dinge."
Und warum musste dies mit Katzen verknüpft sein? Jason Eppink hat hierzu eine spannende These: "Die These meiner Ausstellung ist, dass Katzen online so populär geworden sind wegen der Technologien, die wir damals zur Verfügung hatten. Der Zugang zum Internet war lange Zeit eine sehr häusliche Angelegenheit. Die Internetverbindung war nicht einfach verfügbar, man musste warten, bis sich das Telefon eingewählt hatte. Und da kommen Katzen ins Spiel. Sie leben hauptsächlich drinnen. Sie liegen gerne auf der Couch rum, auf Stühlen, auf Schreibtischen, weil sie klein sind. Und machen ab und zu lustige Sachen. Sie sind ideale Motive. Katzen waren einfach die naheliegendsten Werkzeuge für uns, um mit dem Internet zu spielen."
Der Kapitalismus frisst den Katzen-Content
Doch es ist so wie mit vielen Dingen, an denen Menschen Spaß haben: Irgendwann kommt der Punkt, an dem es darum geht, wie viel Geld damit gemacht werden kann. Der Kapitalismus schlägt zu. Auch die Katzen konnten sich nicht dagegen wehren. Jason Eppink meint dazu: "Kapitalismus ist großartig darin, eine coole Sache kaputt zu machen. Cat-Content ist etwas spaßiges, verspieltes – genauso wie Bloggen oder Vloggen. Aber so ziemlich alle Aktivitäten online werden immer schneller kapitalisiert."
Eine der bekanntesten Katzen, die der Kapitalismus hervorgebracht hat, ist Grumpy Cat, die pro Jahr Einnahmen im niedrigen sechsstelligen Bereich vorzuweisen hat. Und es gibt natürlich auch Videos und Bücher, die einen darüber aufklären, wie man seine Katze am Besten vermarktet. Wie Jason Eppink schon feststellte, alle Aktivitäten, die online stattfinden, werden kapitalisiert. Auch diese Entwicklung des Internets lässt sich an den Katzen ablesen.
Die Katze von nebenan auf Instagram
Aber nicht nur die Kapitalisierung von Content war in den letzten Jahren ein großes Thema, sondern auch Datenschutz und Aktivismus. Und auch hierfür gibt es Beispiele aus der Welt des Internetmaskottchens, der Katze.
Auf der Webseite Iknowwhereyourcatlives.com kann man nachschauen, wo in der eigenen Nachbarschaft Katzen zuhause sind und wie diese aussehen. Hier sind aber keine Kamera-Autos von Google unterwegs, um diese Daten zu erheben. Vielmehr haben Userinnen und User auf Instagram Fotos ihrer Katzen geteilt – und die Geo-Daten freiwillig freigegeben.
Der Entwickler der Webseite, Owen Mundy, wollte damit vor allem auf das Thema Datenschutz hinweisen: "Viele Foto-Sharing-Websites speichern die Geo-Koordinaten der Bilder ohne das Wissen der Nutzerinnen und Nutzer. Deshalb habe ich mir überlegt, wie ich diese Erfahrung am besten kommunizieren könnte – dieses Gefühl, ein Opfer zu sein von dieser Art von Überwachungskapitalismus, in dem wir heute leben. Die Web-Economy ist leider zu einem sehr großen Überwachungsapparat geworden. Und jeder Schritt in die richtige Richtung, sei es durch so ein Kunstprojekt, das einen vielleicht zum Nachdenken bringt, oder die europäische Datenschutz-Grundverordnung – ich glaube, das alles ist zumindest ein kleiner Fortschritt."
China: Tier-Meme als Zeichen des Widerstands
Der amerikanische Medienwissenschaftler Ethan Zuckermann stellte vor Jahren die Theorie auf, dass Videos von süßen Kätzchen Internet-Aktivismus erst möglich machen. Er begründet dies damit, dass die gewöhnlichen Userinnen und User im Internet nicht politisch aktiv sein wollen, sondern einfach Unterhaltung suchen. Dadurch entstanden Facebook, Twitter und Instagram. Aber diese Plattformen können auch politisch genutzt werden. Staaten, in denen die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, kontrollieren die sozialen Netzwerke verstärkt. Doch würden sie diese abschalten, würden Menschen für eine Aufruhr sorgen, die eigentlich nur Katzen-Content sehen wollen.
Die Künstlerin und Tech-Journalistin An Xiao Mina bestätigt das: "Ein sehr konkretes Beispiel für die 'Cute Cat Theorie of Digital Activism' gab es 2011 in China. Chinesische Aktivisten haben es besonders schwer, weil die freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht dort sehr eingeschränkt sind. Um sich trotzdem ausdrücken zu können, haben die Aktivisten dort die Meme-Kultur für sich entdeckt. Es gibt ein sehr weit verbreitetes Tier-Meme namens Grass Mud Horse. Und dieses Grass Mud Horse wurde zu einem Symbol gegen Zensur. Denn wenn man Grass Mud Horse auf chinesisch sagt, dann klingt das fast so wie 'fick deine Mutter'. Und dieses Meme zu benutzen wurde eine Art zu sagen: 'Fick die Zensur' – ein Zeichen des Widerstands."
Hunde laufen Katzen mittlerweile den Rang ab
Zwar gelten die Katzen noch als Maskottchen des Internets, Hunde jedoch haben ihnen mittlerweile den Rang abgelaufen.
Die Kulturjournalistin Leigh Alexander hat dafür auch eine Erklärung: "Ich glaube der Aufstieg des Hundes ist eine gute Repräsentation der Mainstreamisierung des Internets. Als ich damals mit dem Internet groß geworden bin, musste alles schräg, eklig, unangenehm oder indirekt sein, weil eben hauptsächlich Leute online waren, die nicht die allerbesten sozialen Fähigkeiten hatten. Süße, flauschige, glückliche Dinge gab es nur in der richtigen Welt."
Und Jason Eppink hat natürlich auch hierzu eine Meinung und unterstützt die Theorie von Leigh Alexander: "Je mehr Menschen das Internet benutzen, desto mehr wird es das alltägliche Leben repräsentieren. Vor einem Jahrzehnt gab es im Netz noch diese Kultur der Abgrenzung, der Einzigartigkeit. Aber je transparenter das Internet für uns wird, desto mehr verschwindet diese Andersartigkeit und wie wir das Netz benutzen, reflektiert immer mehr unser Offline-Leben."
Für die Menschen ist die Nutzung des Internets etwas Selbstverständliches geworden. Viele Nutzer sind damit groß geworden und geben sich dort so, wie sie sind. "Die Menschen fühlen sich mittlerweile wohler damit, online ihre authentische Persönlichkeit zu zeigen und nicht mehr so sehr darauf zu achten, wie sie glauben, sich auf Social Media verhalten zu müssen. Langsam kommt vielen die Erkenntnis: Vielleicht ist es okay, auch online einfach man selbst zu sein", sagt die Meme-Expertin Amanda Brennan.
Und ob man sich jetzt wohlfühlt, indem man Hunde- oder Katzenvideos schaut, das ist jedem selbst überlassen.