Memet Kilic: "Verheerendes Ergebnis"
Der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates, Memet Kilic (Bündnis 90/Die Grünen), hat davor gewarnt, die Ausübung von Grundrechten zum Gegenstand von Volksabstimmungen zu machen.
Marcus Pindur: Integrationsverantwortung der Mehrheitsgesellschaft, Integrationswille der islamischen Zuwanderer, Überfremdungsängste, Statusunsicherheit, legitime Anliegen und populistische Stimmungsmache, all das durchmischt sich in dieser Debatte. Und die Wähler in der Schweiz haben ein Zeichen gesetzt. Wir sind jetzt verbunden mit Memet Kilic. Er ist migrations- und integrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und er ist auch der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates. Guten Morgen, Herr Kilic!
Memet Kilic: Guten Morgen, Herr Pindur!
Pindur: Wie schätzen Sie dieses Minarettverbot ein? Ist das ein legitimes Anliegen der Schweizer, oder eine intolerante Ablehnungsgeste?
Kilic: Wir sollten von der Bewertung beider extremen Positionen, wo möglich Abstand nehmen, damit wir eine sachliche Diskussion führen können. Aber es ist auf jeden Fall sehr, sehr bedauerlich. Die Gebrauchmachung von Grundrechten darf nicht Gegenstand von Volksabstimmungen sein, ansonsten werden wir in Teufelsküche kommen im wahrsten Sinne des Wortes. Stellen Sie sich vor, dass morgen die Todesstrafe wieder zur Debatte steht und wir darüber eine Volksabstimmung machen, weil ein Kindesmissbrauch geschehen ist. Solche Grundrechte dürfen nicht zu Volksabstimmungen gestellt werden, mit dieser populistischen Art sowieso nicht.
Pindur: Sie sind selbst Jurist. Wie schätzen Sie es ein, ähnlich wie die schweizerische Bundesjustizministerin, dass das Ganze keinen Bestand haben wird international vor dem Europäischen Menschengerichtshof?
Kilic: Ich denke auch, weil die Einschränkungen von Grundrechten dürfen nur mit Grundrechten von Dritten eingeschränkt werden, wie wir auch in unserem eigenen Grundgesetz manifestiert haben. Die persönliche Freiheit hat jeder, um eigene Persönlichkeit zu entfalten, aber solange die Grundrechte von Dritten nicht eingeschränkt werden – und die Bauten in der Öffentlichkeit dienen für diese Auseinandersetzung in der Tat nicht. Ein bisschen mehr Gelassenheit brauchen wir. So etwas wird womöglich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte keinen Bestand haben.
Pindur: Das Minarettverbot in der Schweiz zielt ja eigentlich auf etwas anderes, und das hört man ja auch immer aus den Stellungnahmen der Volksbegehrensinitiatoren deutlich heraus. Da macht sich so ein generelles Unbehagen am Islam Luft. Wie wird das Ihrer Ansicht nach auf die muslimischen Zuwanderer in Europa wirken?
Kilic: Die muslimischen Zuwanderer werden womöglich ein bisschen beängstigt sein und in Sorge sein. Wir müssen auf der anderen Seite auch merken, dass die angestammte Bevölkerung eine gewisse Sorge hat um die eigene kulturelle Identität. Man muss die Sorgen der Bevölkerung immer ernst nehmen, ob sie begründet sind oder nicht, aber auch sachliche Diskussionen im Voraus führen, damit solche Dinge nicht entstehen. Sogenannte Leitkulturdebatten, all diese Dinge haben wir erlebt. Jetzt sind die Intellektuellen an der Reihe, um diese Sorgen von der Bevölkerung zu zerstreuen, damit wir keinen vorbereiteten Kulturkampf vor der Tür haben.
Pindur: Wie macht man das, indem man diese Debatte beständig führt, indem man Integration vorantreibt, oder wie sehen Sie die Chance, dass man da tatsächlich herangehen kann?
Kilic: Ich mache die Erfahrung, dass die Bevölkerung in Sorgen und Ängsten ist und die glauben, dass wir keine Richtschnur haben, wie wir zusammen leben können. Das ist unberechtigt. Zum Beispiel in Deutschland haben wir unser Grundgesetz. In diesem Grundgesetz sind die Freiheiten definiert, aber auch die Schranken der Freiheiten definiert. Wenn wir das der Bevölkerung deutlich machen, ich mache immer wieder diese Erfahrung, nach dieser Diskussion sind die Menschen viel gelassener. Sie merken schon, dass deren Rechte, deren kulturelle Rechte nicht ohne Schutz ist, sondern unter Garantie von unserem Grundgesetz und Menschenrechtskodex stehen. Dann sind sie viel gelassener und ein Umgang miteinander ist viel besser. Diese Diskussion müssen wir führen und jetzt insbesondere Intellektuelle und Repräsentanten der Bevölkerung müssen das deutlich machen, dass die Rechte und kulturellen Identitäten der angestammten Bevölkerung überhaupt nicht in Gefahr sind, sondern die genießen auch höchsten Schutz des Grundgesetzes.
Pindur: Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hat gesagt, wir sollten dieses Abstimmungsergebnis nicht hochmütig kritisieren. Ist es Hochmut, wenn wir die Entscheidung der Schweizer kritisieren?
Kilic: Überhaupt nicht. Eine sehr, sehr berechtigte Kritik. Wenn man die Grundrechte von anderen zu Volksabstimmungen stellt, dann kann man auch womöglich morgen die Grundrechte von Herrn Bosbach auch zur Volksabstimmung stellen. Da werde ich mich auch davorstellen und sagen, nein, die Grundrechte von Herrn Bosbach dürfen nicht zur Volksabstimmung gestellt werden, weil dieses Ergebnis wirklich miserabel sein kann wie in der Schweiz. Vorher haben dort natürlich rassistische Diskussionen stattgefunden. Wir dürfen das nicht vergessen. Das ist wirklich ein verheerendes Ergebnis auch für die Schweiz. Die Schweiz ist ein wunderbares Land und verdient so etwas nicht.
Pindur: In den meisten Fällen gingen Moscheebauten in Deutschland konfliktfrei über die Bühne. Das muss man auch mal festhalten. Aber es hat auch in Deutschland zum Beispiel eine Auseinandersetzung um überdimensionierte Moscheebauten gegeben, zum Beispiel in Köln-Ehrenfeld. Da gründete sich dann eine populistische Bürgerinitiative dagegen. Erwarten Sie, dass es so was in Zukunft öfter geben wird?
Kilic: Womöglich, aber ich glaube daran auch, dass die Muslime auch eine gewisse Bringschuld haben, um diese Sensibilität in der Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen und nicht in einem Wetteifer in Gebäudebauten oder andere eigene Rechte sozusagen im Übermaß operieren. Das ist wichtig. Aber auf der anderen Seite haben auch die Repräsentanten in der Bevölkerung die Pflicht, gelassen auf solche Dinge zu reagieren, weil unser Grundgesetz wirklich die Religionsfreiheit mit einfachen Gesetzen nicht einschränken lässt. Das ist auch gut so. Wir müssen die Grundrechte gegeneinander abwägen. Wenn solche Abstimmungen hier noch zur Debatte stehen sollten – das ist ja nicht der Fall -, müssen wir gemeinsam dagegenhalten.
Pindur: Herr Kilic, vielen Dank für das Gespräch!
Kilic: Ich danke Ihnen, Herr Pindur!
Pindur: Memet Kilic, migrations- und integrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.
Memet Kilic: Guten Morgen, Herr Pindur!
Pindur: Wie schätzen Sie dieses Minarettverbot ein? Ist das ein legitimes Anliegen der Schweizer, oder eine intolerante Ablehnungsgeste?
Kilic: Wir sollten von der Bewertung beider extremen Positionen, wo möglich Abstand nehmen, damit wir eine sachliche Diskussion führen können. Aber es ist auf jeden Fall sehr, sehr bedauerlich. Die Gebrauchmachung von Grundrechten darf nicht Gegenstand von Volksabstimmungen sein, ansonsten werden wir in Teufelsküche kommen im wahrsten Sinne des Wortes. Stellen Sie sich vor, dass morgen die Todesstrafe wieder zur Debatte steht und wir darüber eine Volksabstimmung machen, weil ein Kindesmissbrauch geschehen ist. Solche Grundrechte dürfen nicht zu Volksabstimmungen gestellt werden, mit dieser populistischen Art sowieso nicht.
Pindur: Sie sind selbst Jurist. Wie schätzen Sie es ein, ähnlich wie die schweizerische Bundesjustizministerin, dass das Ganze keinen Bestand haben wird international vor dem Europäischen Menschengerichtshof?
Kilic: Ich denke auch, weil die Einschränkungen von Grundrechten dürfen nur mit Grundrechten von Dritten eingeschränkt werden, wie wir auch in unserem eigenen Grundgesetz manifestiert haben. Die persönliche Freiheit hat jeder, um eigene Persönlichkeit zu entfalten, aber solange die Grundrechte von Dritten nicht eingeschränkt werden – und die Bauten in der Öffentlichkeit dienen für diese Auseinandersetzung in der Tat nicht. Ein bisschen mehr Gelassenheit brauchen wir. So etwas wird womöglich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte keinen Bestand haben.
Pindur: Das Minarettverbot in der Schweiz zielt ja eigentlich auf etwas anderes, und das hört man ja auch immer aus den Stellungnahmen der Volksbegehrensinitiatoren deutlich heraus. Da macht sich so ein generelles Unbehagen am Islam Luft. Wie wird das Ihrer Ansicht nach auf die muslimischen Zuwanderer in Europa wirken?
Kilic: Die muslimischen Zuwanderer werden womöglich ein bisschen beängstigt sein und in Sorge sein. Wir müssen auf der anderen Seite auch merken, dass die angestammte Bevölkerung eine gewisse Sorge hat um die eigene kulturelle Identität. Man muss die Sorgen der Bevölkerung immer ernst nehmen, ob sie begründet sind oder nicht, aber auch sachliche Diskussionen im Voraus führen, damit solche Dinge nicht entstehen. Sogenannte Leitkulturdebatten, all diese Dinge haben wir erlebt. Jetzt sind die Intellektuellen an der Reihe, um diese Sorgen von der Bevölkerung zu zerstreuen, damit wir keinen vorbereiteten Kulturkampf vor der Tür haben.
Pindur: Wie macht man das, indem man diese Debatte beständig führt, indem man Integration vorantreibt, oder wie sehen Sie die Chance, dass man da tatsächlich herangehen kann?
Kilic: Ich mache die Erfahrung, dass die Bevölkerung in Sorgen und Ängsten ist und die glauben, dass wir keine Richtschnur haben, wie wir zusammen leben können. Das ist unberechtigt. Zum Beispiel in Deutschland haben wir unser Grundgesetz. In diesem Grundgesetz sind die Freiheiten definiert, aber auch die Schranken der Freiheiten definiert. Wenn wir das der Bevölkerung deutlich machen, ich mache immer wieder diese Erfahrung, nach dieser Diskussion sind die Menschen viel gelassener. Sie merken schon, dass deren Rechte, deren kulturelle Rechte nicht ohne Schutz ist, sondern unter Garantie von unserem Grundgesetz und Menschenrechtskodex stehen. Dann sind sie viel gelassener und ein Umgang miteinander ist viel besser. Diese Diskussion müssen wir führen und jetzt insbesondere Intellektuelle und Repräsentanten der Bevölkerung müssen das deutlich machen, dass die Rechte und kulturellen Identitäten der angestammten Bevölkerung überhaupt nicht in Gefahr sind, sondern die genießen auch höchsten Schutz des Grundgesetzes.
Pindur: Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hat gesagt, wir sollten dieses Abstimmungsergebnis nicht hochmütig kritisieren. Ist es Hochmut, wenn wir die Entscheidung der Schweizer kritisieren?
Kilic: Überhaupt nicht. Eine sehr, sehr berechtigte Kritik. Wenn man die Grundrechte von anderen zu Volksabstimmungen stellt, dann kann man auch womöglich morgen die Grundrechte von Herrn Bosbach auch zur Volksabstimmung stellen. Da werde ich mich auch davorstellen und sagen, nein, die Grundrechte von Herrn Bosbach dürfen nicht zur Volksabstimmung gestellt werden, weil dieses Ergebnis wirklich miserabel sein kann wie in der Schweiz. Vorher haben dort natürlich rassistische Diskussionen stattgefunden. Wir dürfen das nicht vergessen. Das ist wirklich ein verheerendes Ergebnis auch für die Schweiz. Die Schweiz ist ein wunderbares Land und verdient so etwas nicht.
Pindur: In den meisten Fällen gingen Moscheebauten in Deutschland konfliktfrei über die Bühne. Das muss man auch mal festhalten. Aber es hat auch in Deutschland zum Beispiel eine Auseinandersetzung um überdimensionierte Moscheebauten gegeben, zum Beispiel in Köln-Ehrenfeld. Da gründete sich dann eine populistische Bürgerinitiative dagegen. Erwarten Sie, dass es so was in Zukunft öfter geben wird?
Kilic: Womöglich, aber ich glaube daran auch, dass die Muslime auch eine gewisse Bringschuld haben, um diese Sensibilität in der Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen und nicht in einem Wetteifer in Gebäudebauten oder andere eigene Rechte sozusagen im Übermaß operieren. Das ist wichtig. Aber auf der anderen Seite haben auch die Repräsentanten in der Bevölkerung die Pflicht, gelassen auf solche Dinge zu reagieren, weil unser Grundgesetz wirklich die Religionsfreiheit mit einfachen Gesetzen nicht einschränken lässt. Das ist auch gut so. Wir müssen die Grundrechte gegeneinander abwägen. Wenn solche Abstimmungen hier noch zur Debatte stehen sollten – das ist ja nicht der Fall -, müssen wir gemeinsam dagegenhalten.
Pindur: Herr Kilic, vielen Dank für das Gespräch!
Kilic: Ich danke Ihnen, Herr Pindur!
Pindur: Memet Kilic, migrations- und integrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.