Memoiren

Im Schatten der großen Schwester

Die französische Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir, aufgenommen bei einer Pressekonferenz in der dänischen Botschaft in Paris am 21.04.1983 nach der Entgegennahme des dänischen Sonning Kulturpreises.
Die französische Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir. © picture alliance / dpa / Foto: UPI
Von Eva Hepper |
Sie wusste, dass sie nie die literarische Qualität ihrer Schwester erlangen würde, deshalb drückte sich die zwei Jahre jüngere Hélène de Beauvoir in der Malerei aus. Mit kleinem Erfolg sogar, bis sie heiratete und wieder aus der Pariser Kunstszene verschwand. Ein Sittengemälde.
Picasso fand ihre Bilder originell, Sartre hielt sie für talentiert und Camus widmete der bewunderten Malerin seinen "Sisyphos“. Vielversprechend waren die künstlerischen Anfänge von Hélène de Beauvoir, der zwei Jahre jüngeren Schwester Simone de Beauvoirs. Die Berühmtheit der Schriftstellerin sollte sie allerdings nicht erlangen. Hélènes Œuvre, zirka 3000 Gemälde und grafische Werke, geriet nach ihrem Tod 2001 mit 91 Jahren in Vergessenheit. Ihre Memoiren – in Frankreich bereits 1987 veröffentlicht und nun erstmals ins Deutsche übersetzt und um viele Dokumente, Fotografien und Werkabbildungen ergänzt – lassen Leben und Schaffen der Künstlerin neu entdecken.
Geistige Enge und rigide Erziehungsmethoden
Chronologisch aufgebaut, erinnern die "Souvenirs“ zunächst an eine Befreiungsgeschichte. Bedrückend sind Hélènes Schilderungen des konservativen Elternhauses, das den beiden Schwestern (1908 und 1910 geboren) vor geistiger Enge und rigider Erziehungsmethoden kaum Luft zum Atmen ließ. Ähnliches hatte auch Simone de Beauvoir in ihren "Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ berichtet. Die Kunst wurde den Schwestern zum Ausweg. Weil Simone die deutlich talentiertere Schreiberin war, wählte Hélène, die die Ältere zwar über alles liebte, aber aus deren Schatten treten wollte, die Malerei. Erste Ausstellungserfolge gaben ihr Recht.
Diese Entwicklung fand 1942 mit der Heirat mit dem Sartreschüler Lionel de Roulet ein Ende. Hélène de Beauvoir wurde, ganz traditionell, die Frau an der Seite ihres Mannes. Als Botschaftsangehöriger bestimmte er die Stationen des gemeinsamen Lebens; darunter Wien, Bukarest, Marokko und schließlich, von 1963 bis zu Hélènes Tod, Goxviller im Elsass. Für die Malerin bedeutete jeder dieser Orte die künstlerische Diaspora. Bitter reut es sie in ihren Memoiren, dass sie so aus dem Fokus der Pariser Kunstszene verschwand.
Klug ausgewählte Dokumente, Briefe und Tagebucheinträge
Dabei schuf Hélène de Beauvoir ein vielfältiges – Abstraktes und Figürliches kombinierendes – Œuvre. Leider schreibt sie davon wenig. Umso häufiger erwähnt sie ihre Schwester, die sie glühend verehrte ("Sie war ... mein einziger Maßstab, ... mein Alles.“). Als Simone ihr schließlich den Vorwurf der Verbürgerlichung an den Kopf warf und sogar mangelndes Talent konstatierte, verletzte sie das tief. Doch auch davon ist in den Memoiren nichts zu finden. Die Leser erfahren von den Anwürfen nur durch die klug ausgewählten Dokumente, Briefe und Tagebucheinträge Simones oder gemeinsamer Freunde, die die Herausgeberin Karin Sagner Hélènes Worten an die Seite stellt.
Die Sprache der Malerin selbst ist oftmals hölzern und ungelenk, viele Passagen wirken eigentümlich blutleer; auch solche, in denen sie Begegnungen mit den Größen der Kunstavantgarde wie Picasso oder Dali schildert. So lesen sich ihre Memoiren ein wenig zäh. Das ist schade, denn als Sittengemälde sie sind so lesenswert wie aufschlussreich. Sie zeigen das – durchaus tragische – Bild einer Frau, die mit einem Bein aus den gesellschaftlichen Zwängen heraustrat und mit dem anderen dort stecken blieb.

Hélène de Beauvoir: "Souvenirs - Ich habe immer getan, was ich wollte"
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2014
272 Seiten, 24,95 Euro

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